Die Schweiz bangt um ihren «Deal» mit den USA – jetzt bringt die Politik sogar den Fifa-Chef Infantino ins Spiel Schweizer Politiker sind frustriert, weil sich im Zollstreit nichts tut. Derweil warnen die Wirtschaftsverbände vor den Folgen des Handelsstreits – selbst wenn die Schweiz vom Schlimmsten verschont bleiben sollte.
Schweizer Politiker sind frustriert, weil sich im Zollstreit nichts tut. Derweil warnen die Wirtschaftsverbände vor den Folgen des Handelsstreits – selbst wenn die Schweiz vom Schlimmsten verschont bleiben sollte.

In einem weltberühmten Theaterstück des irischen Schriftstellers Samuel Beckett warten die Landstreicher Estragon und Wladimir auf einen Mann namens Godot, der einfach nicht kommt. Sie warten und warten. Wer ist dieser Godot überhaupt? Und kommt er wirklich? Immer mehr verzweifeln sie, weil sich einfach nichts tut.
Die Schweiz wartet nicht auf Godot, sondern auf einen «Deal» im Zollstreit mit den USA. Seit einigen Tagen heisst es aus Kreisen der Schweizer Verhandler, eine Einigung stehe kurz bevor, der US-Präsident Donald Trump müsse sie nur noch durchwinken.
Doch statt «Deals» verkündete dieser vergangene Woche neue Zölle gegen wichtige Handelspartner wie Kanada, Mexiko oder die EU. Die Schweiz blieb von neuen Drohungen verschont, bekam aber auch keine Entwarnung.
Die Schweiz wartet weiter. Und manche Aussenpolitiker überlegen sich, was das Land der Weltmacht USA entgegenhalten könnte.
So könnte die Schweiz Druck ausüben
Die SP forderte schon im April, der Bundesrat solle auf Zugeständnisse und Verhandlungen mit Washington verzichten. Stattdessen soll die Schweiz gemeinsam mit der EU Gegenmassnahmen beschliessen. Der SP-Nationalrat Fabian Molina sagt heute über die Verhandlungen mit den USA: «Es scheint sich zu bewahrheiten, was wir von Beginn weg gesagt haben.»
Es gäbe Mittel, mit denen die Schweiz Druck auf die Amerikaner ausüben könnte. Ebenfalls von der SP kommt die Idee, die Schweiz solle auf den Kauf der amerikanischen F-35-Kampfjets verzichten. Die Partei hat eine entsprechende Petition lanciert, bis Mitte Juni unterschrieben 40 000 Personen. Wenige Wochen später sickerte in die Medien durch, dass es die von der früheren Bundesrätin Viola Amherd versprochene Preisgarantie auf die Flugzeuge gar nicht gibt.
Ein weiteres Druckmittel wären die Währungsreserven der Schweizerischen Nationalbank (SNB). So hält die SNB gegenwärtig rund 380 Milliarden Dollar an amerikanischen Anlagen, in US-Staatsanleihen oder Aktien. Sie könnte massenweise Dollar verkaufen und die Leitwährung so schwächen – müsste dann aber im Gegenzug in Kauf nehmen, dass der Franken aufgewertet wird. Und: Die SNB müsste diesen Entscheid selber fällen, da ihr die Politik keine Weisungen geben darf.
Für viele bürgerliche Politiker sind solche Forderungen kein Thema – zumindest bis jetzt. Der Mitte-Nationalrat Gerhard Pfister sagt, die Schweiz müsse die Antwort aus Washington abwarten, bevor sie über Gegenmassnahmen diskutiere: «Erst dann wird sich zeigen, ob es überhaupt einen ‹Deal› gibt.»
Der SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel sagt, der Bundesrat solle die Verhandlungen beschleunigen, indem er einen prominenten Schweizer um einen Gefallen bitte: «Ich frage mich, wie lange der Bundesrat noch zögert und herumeiert, bevor er die Karte Gianni Infantino spielt.» Dass Büchel an den Fifa-Chef denkt, ist kein Zufall. Büchel war selbst bis 2002 im Marketing der Fifa tätig, er kennt die Organisation und ihren Einfluss gut.
Erst vergangene Woche kündete Infantino an, dass seine Organisation im Trump Tower in New York ein Büro eröffnet. Er versteht sich prächtig mit dem US-Präsidenten: Am Sonntag verfolgten sie gemeinsam den Final der Klub-Weltmeisterschaft und überreichten dem Siegerteam Chelsea die goldene Trophäe. Trump lobte Infantinos «grossartige Arbeit» – und bedankte sich für das Duplikat des Pokals, das jetzt im Oval Office stehe.
Verbände warnen: Selbst mit einem «Deal» droht ein Einbruch
Die Wirtschaftsverbände sind skeptisch, was die Hebel der Schweiz betrifft. Economiesuisse lehne Gegenmassnahmen ab, sagt Jan Atteslander, Mitglied der Geschäftsleitung beim Dachverband. Als kleine Volkswirtschaft könne die Schweiz nur verlieren, wenn sie sich an einer Eskalation beteilige.
Atteslander betont jedoch, dass sich die Aussichten für die Schweizer Wirtschaft mit Trumps Zolldrohungen von vergangener Woche verschlechtert hätten, selbst wenn das Land nur indirekt betroffen sei: «Wir verfolgen die aktuelle Situation mit Sorge. Zölle wirken sich negativ auf die Weltwirtschaft aus und sind für alle Beteiligten gleichermassen schädlich.»
Jean-Philippe Kohl, Vizedirektor von Swissmem, betont: «Die Schweizer Tech-Industrie ist stark in internationale Wertschöpfungsketten eingebunden.» Damit sei die heimische Wirtschaft stark betroffen, wenn die USA beispielsweise hohe Zölle gegen die EU erhebe.
Das sagt auch Hans Gersbach von der Konjunkturforschungsstelle KOF: «Sollte die Schweiz selbst nur moderat, etwa mit Zöllen von 10 Prozent, betroffen sein, könnten sich die positiven Effekte einer verbesserten Wettbewerbsposition im Handel mit den USA weitgehend mit den negativen Auswirkungen einer abgeschwächten Nachfrage infolge der konjunkturellen Abkühlung in den USA und der EU ausgleichen.» Es könnte sogar noch schlimmer kommen, sagt der Wirtschaftsprofessor: Wenn die EU Gegenzölle einführt und diese dann auch gegenüber Drittstaaten gelten, drohen der Schweiz laut der KOF reale Einkommensverluste von über einem Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP).
Weiterhin ist offen, wie hoch die US-Regierung Importe von Pharmaprodukten verzollen will. Der Sektor war von den Strafzöllen bisher ausgenommen. Trump hat angekündigt, Pharmagüter später zu behandeln. Dabei hat er auch schon von Zöllen von 200 Prozent gesprochen. Die Schweizer Verhandler haben ein grosses Interesse, ein solches Szenario mit einem «Deal» zu verhindern. Rund 60 Prozent aller Schweizer Exporte in die USA sind pharmazeutische Produkte.
Der Bund hält sich bedeckt zum Stand der Verhandlungen
Das Eidgenössische Departement für Wirtschaft hält sich auf Anfrage bedeckt zum Stand der Verhandlungen mit den USA. Der Bundesrat werde kommunizieren, sobald es Entwicklungen gebe. Die Schweiz stehe weiterhin in Kontakt mit den verantwortlichen Stellen in Washington.
In Becketts Theaterstück haben Estragon und Wladimir die Warterei irgendwann satt. «Wir gehen? – Gehen wir!», sagen sie. Doch die beiden bleiben auf der Bühne stehen und warten weiter auf Godot.