Chanel-Uhren: Ein exklusiver Blick hinter die Kulissen der Schweizer Manufaktur 1987 begann Chanel mit der Herstellung von Uhren. Mittlerweile kann das Pariser Modehaus auch in der Horlogerie mit den Besten der Branche mithalten.

1987 begann Chanel mit der Herstellung von Uhren. Mittlerweile kann das Pariser Modehaus auch in der Horlogerie mit den Besten der Branche mithalten.

 

Die Manufaktur von Chanel befindet sich bei der 1993 erworbenen G&F Châtelain am Rande von La Chaux-de-Fonds. Bild: PD

Wenn es um Diskretion geht, steht das Haus Chanel einem bekannten Uhrenhersteller mit Krönchen-Logo in nichts nach. Während andere Marken ihre Manufakturen zu Museen ausbauen und Führungen anbieten, um wissbegierigen Uhrenfans zu demonstrieren, was sie alles selbst herstellen, bleiben die Tore bei Chanel beharrlich verschlossen.

Das Pariser Modehaus mit eigener Uhrenfertigung in der Schweiz hat es wohl schlicht nicht nötig, seine uhrmacherische Kompetenz an die grosse Glocke zu hängen. Anders ist die Zurückhaltung kaum zu erklären. Denn was Chanel sich in wenigen Jahren in diesem Bereich an Know-how angeeignet hat, ist beeindruckend, wie die NZZ nun doch mit eigenen Augen sehen durfte.

Erkennbare Design-Codes

Begonnen hat das Kapitel Uhren bei Chanel in den 1980er Jahren. Coco Chanel präsentierte zwar 1932 im Rahmen ihrer ersten Schmuckkollektion auch schon zwei Uhren, doch es sollte bis 1987 dauern, dass das Unternehmen sich auch dieses Produkts vertieft annahm. Damals wurde die «Première» vorgestellt – eine Uhr, die verschiedene Stilelemente der Welt Chanels vereinte: Das achteckige Gehäuse und das facettierte Glas widerspiegelten den Flaconstöpsel des Parfums N° 5 und damit den Grundriss der Place Vendôme, während das mit einem Lederband durchwirkte Kettchen von der Handtasche 2.55 entlehnt war.

Diese Uhr war der Startschuss zum Abenteuer Uhrenproduktion. Bereits sechs Jahre später kaufte Chanel das Unternehmen G&F Châtelain in La Chaux-de-Fonds, das als Hersteller von Gehäusen und Armbändern die Produktion der «Première» übernommen hatte. Wie alle von Chanel im Laufe der Zeit akquirierten Zulieferer behielt der Betrieb seine Eigenständigkeit und beliefert bis heute auch Kunden, die nicht zum Mutterkonzern gehören. So findet, wer die Manufaktur von Chanel sucht, auch kein Unternehmen mit dieser Anschrift, sondern eben die Tochterfirma G&F Châtelain.

Das unscheinbare, langgezogene Gebäude von G&F Châtelain befindet sich am Rand der Stadt La Chaux-de-Fonds in einem Industrieviertel auf 1000 Metern über dem Meer. Die Schneeschaufel im Windfang steht auch beim Besuch im Juni da – sie wird im Sommer gar nicht erst weggeräumt.

Der Gang durch die Ateliers, die zurzeit eine Fläche von 18 000 Quadratmetern belegen, beginnt in einem Raum, der mit CAD-Computern und 3-D-Druckern ausgerüstet ist. Erfahrene Uhrmacher arbeiten hier daran, aus den Entwürfen, die von der Designabteilung in Paris stammen, funktionierende Zeitmesser zu kreieren.

Diese Umsetzung kann ganz schön herausfordernd sein, denn der Fokus der Designer am Hauptsitz sind nicht Uhren, sondern die Welt von Chanel mit ihren ikonischen Produkten wie etwa dem Parfum Chanel Nº 5 oder der Tweedjacke. Dies führt dann zu so überraschenden Modellen wie der «Code Coco», die dem Verschluss der Handtasche 2.55 nachempfunden ist und sich auch wie die Tasche öffnen lässt. Oder zu einer «Premiere Squeletta Camelia», bei der das von aussen sichtbare Werk mit seinen Brücken die Umrisse einer Kamelie formt, Coco Chanels Lieblingsblume.

Bei der «Premiere Squeletta Camelia» formt das von aussen sichtbare Werk die Umrisse einer Kamelie, Coco Chanels Lieblingsblume. Bild: PD

Anspruchsvolle Kundschaft

Gleich nebenan befindet sich die «Folterkammer». Hier werden die fertigen Prototypen auf Herz und Nieren getestet, bevor die Produktion gestartet wird. «Wir haben eine andere Käuferschaft als traditionelle Uhrenmarken», sagt der freundliche Herr, der die ihm anvertrauten Uhren, Gehäuse und Uhrenbänder auf Herz und Nieren prüft. «Unsere Kunden wollen ein Produkt, um das sie sich im Alltag nicht zu kümmern brauchen, selbst wenn es ein Tourbillon ist. Deshalb sind unsere Prüfverfahren so gnadenlos.»

So werden die Chanel-Uhren nicht nur durch spezielle Maschinen mit Schlägen traktiert oder zu Boden fallen gelassen. Es wird auch die Situation ­simuliert, dass die Besitzerin die Uhr in der Handtasche vergisst und diese dort zusammen mit Schlüsselbund und Portemonnaie über Tage durchgeschüttelt wird. Tests mit Kosmetik, Mückenspray, Sonnencrème oder Schweiss gehören ebenfalls zum Programm, denn auch diese Stoffe gehören zum Alltag und dürfen den Uhren nichts anhaben.

Weiter geht es in die Produktion für Gehäuse und Metallarmbänder. Dort stehen Dutzende CNC-Maschinen in Reih und Glied. Nicht nur Uhrenbestandteile entstehen hier, sondern auch Schmuckstücke wie zum Beispiel Ringe der «Coco Crush»-Kollektion. Das Gold wird in langen Stangen mit unterschiedlichen Durchmessern angeliefert und die Komponenten aus dem Vollen gefräst. Reinlichkeit ist hier oberstes Gebot, denn der «Abfall» ist wertvoll. Sämtliche Abschnitte und Späne werden aufgefangen, um wieder zu Goldbarren verarbeitet zu werden.

Gleich nebenan ist es mucksmäuschenstill. Hier werden Gehäuse, Schmuckstücke, Zifferblätter und sogar Uhrwerke mit Edelsteinen besetzt. Das Fassen von Edelsteinen gehört im Uhrmacherjargon zu den «métiers d’art», den Kunsthandwerken, und mutet inmitten der industriellen Umgebung etwas exotisch an.

Hightech-Keramik

Besonders stolz ist man bei G&F Châtelain auf die interne Produktion von Komponenten aus Hightech-Keramik. Sie sind seit der Lancierung des Modells J12 im Jahr 2000 ein wichtiger Eckpfeiler der Horlogerie Chanel. Die von Jacques Helleu, dem 2007 verstorbenen künstlerischen Direktor von Chanel, entworfene Sportuhr mit inte­griertem Gliederarmband in pechschwarzer Keramik, die es sowohl als Quarzuhr als auch mit einem Automatikwerk gibt, machte Chanel mit einem Schlag zu einem ernstzunehmenden Uhrenhersteller. Als 2003 dasselbe Modell in Weiss den Erfolg wiederholte, wurde klar, dass das extrem harte Material in Schwarz oder Weiss fortan zu Chanel gehören würde.

Der Aufbau des dazu notwendigen Maschinenparks war damals bereits im Gang. Er sollte 2006 den Betrieb aufnehmen. Das mit einem Binder vermischte Keramikpulver wird zunächst im Spritzgussverfahren mit hohem Druck in seine künftige Form gebracht. Die sogenannten Grünlinge sind 30 Prozent grösser als das Endprodukt, da sie beim Sintern bei über 1000 Grad Celsius auf die gewollte Grösse schrumpfen. Nach dem Sintern benötigen die Teile nur noch wenig Nachbearbeitung. Sie werden in grosse, sich drehende Tonnen gefüllt und mit körnigem Schleifmedium poliert.

Kenissi für die Volumen

Mittlerweile ist G&F Châtelain nicht mehr nur für das Äussere der Uhr – das sogenannte Habillage – zuständig. 2011 kam ein internes Uhrmacheratelier mit Entwicklungsabteilung dazu, nachdem Chanel für komplizierte Uhren zunächst mit externen Spezialisten wie Renaud & Papi (seit 1992 bei Audemars Piguet) zusammengearbeitet hatte. Hier entstehen Werke mit fliegendem Tourbillon, retrograden Anzeigen und springender Stunde sowie skelettierte Uhrwerke in verschiedenen Formen, darunter die erwähnte Kamelie.

Selbstverständlich macht ­Chanel, dem weiter Anteile an den Haute-Horlogerie-Herstellern F. P. Journe und ­Romain Gauthier gehören, nicht nur komplizierte High-End-Zeitmesser. Die grossen Volumen – Produktionszahlen gibt es keine – werden mit Drei-Zeiger-Uhren gemacht, wie etwa mit der J12. Für diese Uhrwerke ist nicht G&F Châtelain mit seinen rund 350 Mitarbeitern zuständig.

Aber auch hier besteht seit 2019 eine interne Lösung. Statt von externen Anbietern wie unter anderem der Swatch-Group-Tochter ETA stammen die Automatikkaliber nun vom Hersteller Kenissi im benachbarten Le Locle, an dem Chanel beteiligt ist (mit wie viel Prozent, wurde nie kommuniziert). 50 Prozent befinden sich im Besitz von Rolex, deren Tochter Tudor ihre Werke ebenfalls von Kenissi bezieht. Auch Kenissi hat – wen wundert’s – seine Tore bis jetzt nicht für Besucher geöffnet.

Timm Delfs und Andrea Martel «Neue Zürcher Zeitung»

Coco Chanels Erbe

Chanel, 1910 von der so genialen wie umstrittenen Gabrielle «Coco» Chanel (1883−1971) in Paris gegründet, gehört heute der Familie Wertheimer, da Coco Chanel sich 1924 mit dem Unternehmer Pierre Wertheimer zusammengeschlossen hatte, um das Kapital zur Lancierung ihres Parfums N° 5 aufzubringen. Seit 1974 sind es Pierre Wertheimers Enkel Gérard und Alain, die das Erbe Chanels verwalten, wobei Alain als CEO waltet. Die beiden zeigen sich kaum je in der Öffentlichkeit und überlassen das Lenken der drei Sparten Mode, Parfum und Kosmetik sowie Uhren und Schmuck erfahrenen Führungspersonen. Die Maxime Diskretion gehört zu den Erfolgsrezepten von Chanel, denn sie macht nicht nur die Konkurrenz neugierig, sondern auch die Kundschaft.

Das könnte Sie auch interessieren: