Die Bio-Revolution frisst ihre Kinder – doch der Trend zu ökologischen Lebensmitteln dürfte nicht zu Ende sein Die Gewichte unter den Schweizer Bio-Anbietern verschieben sich seit längerem. Das Traditionsunternehmen Reformhaus Müller verschwindet nun – aber es gibt auch klare Gewinner.

Die Gewichte unter den Schweizer Bio-Anbietern verschieben sich seit längerem. Das Traditionsunternehmen Reformhaus Müller verschwindet nun – aber es gibt auch klare Gewinner.

 

Bio ist ein Wachstumsmarkt – unter anderem bei der Bio-Supermarkt-Kette Alnatura. Bild: Annick Ramp / NZZ

Die Geschäfte der Reformhauskette Müller sind vom Konkursamt Dübendorf versiegelt worden. Das Unternehmen hatte vergangene Woche nach fast hundertjährigem Bestehen Insolvenz angemeldet. Ist das ein schlechtes Zeichen für den Bio-Markt?, fragen sich nun auch viele Konsumenten.

«Der Schweizer Bio-Markt ist in den vergangenen Jahren ein klarer Wachstumsmarkt gewesen», sagt Boris Pesek, der Geschäftsführer der Alnatura AG in der Schweiz. «Das ist ein gutes Zeichen, denn Bio-Produkte sind besser für die Umwelt als konventionelle Lebensmittel, und sie sind auch gesünder für die Konsumenten.»

Starkes Umsatzwachstum

Tatsächlich waren Bio-Produkte in den letzten Jahren wirtschaftlich erfolgreich. Das belegen die Marktzahlen, die der Branchenverband Bio Suisse erhebt. Der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln in der Schweiz ist von 2016 bis 2021 um 60 Prozent auf rund 4 Milliarden Franken gestiegen. Bio-Produkte haben einen Marktanteil von knapp 11 Prozent am gesamten Lebensmitteldetailhandel.

Von diesem Wachstum haben grundsätzlich auch die Bio-Fachmärkte profitiert. Ihr Umsatz legte laut den Bio-Suisse-Zahlen von 2016 bis 2021 um 36 Prozent zu.

Bei den Spezialgeschäften gab es aber Verschiebungen. Die Reformhauskette Müller klagte bereits seit 2016 über sinkende Verkäufe. Stark vergrössert hat sich aber beispielsweise die Bio-Supermarkt-Kette Alnatura. Ihre Läden werden in der Schweiz zwar von der Migros-Genossenschaft Zürich bewirtschaftet, aber in der Statistik wird Alnatura unter den Bio-Fachmärkten geführt. Jüngst machte die Kette in Basel ihre 21. Filiale auf.

Coop und Migros dominieren den Markt

Die klaren Gewinner des wachsenden Bio-Geschäfts sind allerdings die Grossverteiler. Coop und Migros haben ihre Bio-Sortimente stark ausgebaut. Auf sie entfallen mittlerweile 72 Prozent aller Umsätze im Schweizer Bio-Geschäft. «Die Grossverteiler haben viel dazu beigetragen, den Bio-Markt zu entwickeln», anerkennt der Alnatura-Schweiz-Chef Pesek.

Zudem holen die Discounter Aldi und Lidl auf: In ihrem Bestreben, den Schweizer Kunden hohe Qualität zu bieten, bringen sie immer mehr Bio-Produkte in die Regale. Ihre Umsätze mit Bio-Lebensmitteln sind in den letzten Jahren stark gewachsen.

Wachsende Konkurrenz

Der Müller-Konkurs wirft die Frage auf: Verdrängen die Grossen und Günstigen im Bio-Geschäft nun die Traditionsunternehmen? Die Müller-Reformhäuser waren 1929 als Teil der Lebensreform-Bewegung gegründet worden. Sie legten den Fokus auf ökologische Lebensmittel, Spezialnahrung und Naturkosmetik.

Tatsächlich dürfte die Bio-Revolution ein Stück weit ihre Kinder fressen. Dass Bio der Schritt in den Massenmarkt gelungen ist, dürfte ein wichtiger Grund für den Niedergang von Müller sein. Es gelang dem Unternehmen nicht, sich eine Nische zu erhalten in einem Markt, der in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend umkämpft wurde. Die Reformhäuser galten als vergleichsweise teuer und wenig fokussiert.

In den vergangenen Jahren hat nicht nur die Konkurrenz bei Bio-Lebensmitteln zugenommen. Auch das Angebot bei Speziallebensmitteln hat sich stark vergrössert. Vor zwanzig Jahren waren die Müller-Reformhäuser eine der ersten Adressen beispielsweise für Menschen, die sich glutenfrei ernähren müssen. Mittlerweile führen aber alle Supermarktketten ein grosses Sortiment an glutenfreien Lebensmitteln.

Normalisierung nach Corona-Boom

Die Corona-Pandemie hat den Bio-Trend nicht gebrochen. Im Gegenteil: Sie war für die Bio-Händler grundsätzlich eine gute Zeit. In den Jahren 2020 und 2021 nahmen die Bio-Umsätze in der Schweiz besonders stark zu. Die Menschen konnten weniger im Restaurant essen und kochten mehr zu Hause. Sie leisteten sich dabei auch teurere und gesündere Lebensmittel.

Das Jahr 2022 dürfte hingegen eine leichte Schrumpfung des Bio-Marktes gebracht haben. Konkrete Zahlen liegen noch nicht vor. Die Grossverteiler sprechen von einem stabilen Geschäft, aber im Bio-Fachhandel sind die Umsätze laut Branchenbeobachtern spürbar zurückgegangen. Die Menschen essen jetzt wieder mehr auswärts und achten wegen der Inflation stärker auf ihre Ausgaben.

Allerdings handelt es sich um eine Normalisierung nach einem Boom: Der Bio-Markt ist immer noch deutlich grösser als im Vor-Corona-Jahr 2019. Zudem ist die Lage besser als etwa im Nachbarland Deutschland. Dort wandten sich die Kunden in den letzten Monaten vermehrt von Bio-Produkten ab, weil die Teuerung bei Lebensmitteln mit zeitweise über 20 Prozent ausserordentlich hoch war.

Bleibender Trend

Insgesamt deutet wenig darauf hin, dass der Bio-Trend in der Schweiz bereits zu Ende ist. Die Grossverteiler und die Discounter wollen ihre Sortimente weiter ausbauen. Zwar hat nun das Traditionsunternehmen Müller seine Tore geschlossen. Aber grundsätzlich ist es für die Konsumenten ein Vorteil, wenn im Markt Dynamik herrscht. Besonders wünschenswert wäre es, wenn es noch mehr Anbieter gäbe, welche die in der Schweiz vergleichsweise teuren Bio-Lebensmittel für breitere Käuferschichten erschwinglicher machen würden.

Matthias Benz, «Neue Zürcher Zeitung»

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