Einkaufstour der Post: Was hat der Staatskonzern mit den gekauften Firmen vor? Und gibt es dafür eine rechtliche Grundlage? Betriebswirtschaftlich scheint die digitale Offensive des Staatskonzerns riskant, aber vertretbar. Grenzen kann der Post nur das Parlament setzen.

Betriebswirtschaftlich scheint die digitale Offensive des Staatskonzerns riskant, aber vertretbar. Grenzen kann der Post nur das Parlament setzen.

 

Die Post sagt: «Wir bringen das Briefgeheimnis in die digitale Welt.» Bild: pixabay

Warum tut sich Nicole Burth das an? Die Volkswirtin hatte sich bei Adecco, wo sie 15 Jahre arbeitete, zur Schweiz-Chefin hochgearbeitet. Beim börsenkotierten Personalvermittler wäre sie wohl bereit für höhere Weihen gewesen. Doch statt ihre Karriere im internationalen Konzern fortzusetzen, wechselte sie ausgerechnet zu einem Staatsunternehmen. Als sie von einem Headhunter kontaktiert worden sei, sei sie skeptisch gewesen, gab Burth in einem Podcast der Post zu.

Digitale Entwicklungshilfe für die Schweiz

Doch der Post-Chef Roberto Cirillo, dem alles Beamtenhafte abgeht, konnte Burth von seinen Ideen überzeugen. So leitet sie nun seit 2021 den neu geschaffenen Bereich Kommunikations-Services. Sie ist damit die oberste Digitalisiererin der Post.

Zugleich ist Burth aber auch so etwas wie die Einkaufsministerin. Ihr Bereich ist es, der für die meisten der umstrittenen Firmenkäufe der Post verantwortlich ist. Damit befindet sich Burth im Zentrum der politischen Diskussion darüber, was ein Staatskonzern darf – und was nicht.

Die Behauptung der Kritiker, die Post kaufe planlos Firmen zusammen, trifft nicht zu. Der Bereich Kommunikations-Services verfolgt eine klare Strategie. Im Wesentlichen geht es darum, die Digitalisierung in jenen Bereichen der Schweiz voranzutreiben, in denen Nachholbedarf besteht. Das sind aus Sicht der Post vor allem drei Bereiche:

  • KMU: Rund um die 2020 von der Post übernommene IT-Firma Klara Business soll ein sogenanntes Ökosystem für KMU entstehen. Bausteine dafür sind etwa ein Kassensystem, eine Software für die Kundenpflege oder das Rechnungswesen. Das System soll Schritt für Schritt ausgebaut werden. Es soll ein umfassendes, aber einfaches und sicheres «Betriebssystem» für KMU entstehen. Statt die verschiedenen Bausteine selber zusammenstellen zu müssen, sollen die Firmen alles aus einer Hand bekommen.
  • Behörden: 2021 hat die Post das Unternehmen Dialog Verwaltungs-Data gekauft. Bekannt ist die Firma vor allem für ihre Gemeindesoftware. Auch für Behörden will die Post ein Ökosystem aufbauen. Die Prozesse bei Bund, Kantonen und Gemeinden sollen digitalisiert und die Kommunikation zwischen Bürgern und Staat vereinfacht werden. Auch die umstrittene E-Voting-Lösung der Post gehört zu diesem Bereich.
  • Gesundheitswesen: Die Post und die Swisscom haben bisher je eigene technologische Lösungen für das elektronische Patientendossier (EPD) betrieben. Mit dem Kauf der überregionalen EPD-Anbieterin Axsana hat sich das geändert. Axsana hatte bisher eine Swisscom-Lösung eingesetzt. Nun nutzt Axsana die Plattform der Post. Die Swisscom hat sich aus dem EPD zurückgezogen. Damit wird das ohnehin komplizierte EPD-Projekt zumindest aus technologischer Sicht einfacher. Seit diesem Jahr bietet die Post zudem eine digitale Gesundheitsplattform für Spitäler, Arztpraxen und andere Leistungserbringer im Gesundheitswesen an.

Obwohl die «Einkaufstour» der Post in den betroffenen Branchen und in der Politik für einigen Wirbel gesorgt hat, ist Nicole Burths Einheit noch klein. Erst kürzlich ist sie dem Status eines KMU entwachsen. Per Ende 2021 hatte der Bereich knapp 250 Mitarbeiter. Bis Ende 2022 dürften es laut Burth wohl um die 700 sein. Zudem kann der Bereich auf das Personal und die Ressourcen der Informatikabteilung der Post zugreifen. Dort arbeiten derzeit rund 1300 Mitarbeiter.

Weite Auslegung des Gesetzes

Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive scheint der Vorstoss der Post in digitale Geschäftsfelder riskant, aber vertretbar. Weil der Erlös im Kerngeschäft mit der stetig abnehmenden Briefmenge sinkt, braucht der Konzern neue Einnahmequellen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist allerdings fraglich, warum ein Staatskonzern in Märkte eingreifen soll, in denen sich zahlreiche privatwirtschaftliche Akteure tummeln. Die digitale Offensive ist auch juristisch umstritten.

Wo der Staatskonzern tätig werden darf, ist im Postorganisationsgesetz festgehalten. Genannt werden als Haupttätigkeiten die Beförderung von Postsendungen, Finanzdienstleistungen und der Personentransport. Von digitalen Dienstleistungen für KMU, Behörden und das Gesundheitswesen steht im Gesetz nichts. Wie legitimiert die Post ihren Vorstoss in die digitale Welt?

In einem Gutachten im Auftrag des Konzerns argumentiert Andreas Stöckli, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Freiburg, etwa so: Ein Gesetzesartikel erlaube der Post auch Nebentätigkeiten («damit zusammenhängende Dienstleistungen»). Gewisse Postdienste, die bisher physisch angeboten wurden, dürfen laut Stöckli in die digitale Welt übergeführt werden. Die digitale Informationsübermittlung sei grundsätzlich vereinbar mit dem Gesetzesartikel.

Es fragt sich allerdings, was die Post gemäss dieser Interpretation nicht darf. In der physischen Welt sind ihr Grenzen gesetzt. So darf die Post kaum ein Pharma- oder Industrieunternehmen gründen. In der Welt der Bits und Bytes wäre hingegen fast alles erlaubt. Dass dies im Sinne des Gesetzgebers ist, darf bezweifelt werden. Da der Bundesrat die Strategie der Post gutgeheissen hat, wäre es am Parlament, den Bewegungsradius der Post einzuschränken. Nicole Burth wird derweil Ökosysteme bauen. Das ist ihre Aufgabe als Managerin.

Stefan Häberli, «Neue Zürcher Zeitung»

Das könnte Sie auch interessieren: