Investieren in die «silver economy»: Die neuen Bedürfnisse der alternden Konsumenten bieten Chancen Die demografische Entwicklung hat Auswirkungen auf Wirtschaft und Unternehmen. Welche Aktien von starker Nachfrage der Älteren profitieren könnten.

Die demografische Entwicklung hat Auswirkungen auf Wirtschaft und Unternehmen. Welche Aktien von starker Nachfrage der Älteren profitieren könnten.

 

Aktive Rentner sind auch fleissige Konsumenten. Bild: Joël Hunn / NZZ

Die Gesellschaft wird immer älter. Während die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz zwischen 1970 und 2020 um 40 Prozent gewachsen ist, stieg die Zahl der Personen ab 65 Jahren im gleichen Zeitraum um 129 Prozent.

Dadurch ist der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung im selben Zeitraum um fünf Prozentpunkte auf 19 Prozent gestiegen, und die Prognosen des Bundesamts für Statistik (BfS) gehen davon aus, dass bis im Jahr 2050 mehr als jede vierte Person über 65 Jahre alt sein wird.

Diese Entwicklung ist gemäss einem Uno-Bericht ein weltweiter Trend. Nach den Daten der World Population Prospects wird im Jahr 2050 jeder sechste Mensch auf der Welt über 65 Jahre alt sein (16 Prozent), während es 2019 noch jeder elfte war (9 Prozent).

Weniger Kinder und höhere Lebenserwartung

Die Gesellschaft wird älter, weil einerseits die Geburtenraten abnehmen, andererseits die Lebenserwartung weltweit steigt. Die Lebenserwartung liegt bei 73 Jahren verglichen mit 65 Jahren Anfang der 1990er Jahre. Gegenwärtig ist die Lebenserwartung bei der Geburt in der Schweiz eine der höchsten der Welt. Bei Frauen liegt sie bei 85,7 Jahren, bei Männern bei 81,6 Jahren.

Im Jahr 2018 gab es weltweit zum ersten Mal in der Geschichte mehr Menschen im Alter von 65 Jahren oder älter als Kinder unter fünf Jahren. Da stellt sich die Frage, was die Veränderung der Altersstruktur für die Gesellschaft und die Wirtschaft bedeutet.

Bald nur zwei aktive Arbeitnehmer pro Rentner

Auf dem Arbeitsmarkt in der Schweiz zeigt sich, dass die Belastung der Erwerbsbevölkerung durch die betagte Bevölkerung stetig zunimmt. 2022 entfielen auf 100 Erwerbspersonen im Alter von 20 bis 64 Jahren 37 Personen ab 65 Jahren. Im Jahre 1991 waren es erst 28 Rentner. In Vollzeitäquivalenten umgewandelt, kamen im Jahr 2022 auf 100 Erwerbspersonen knapp 43 Rentner.

Das sich verschlechternde Verhältnis zwischen Erwerbspersonen und Rentnern belastet vor allem die AHV. Diese wird im Umlageverfahren finanziert, das heisst, die berufstätige Bevölkerung alimentiert mit ihren Beitragszahlungen direkt die auszuzahlenden Renten.

Kommen annähernd 43 Rentner auf 100 Erwerbstätige, müssen etwas mehr als zwei Berufstätige die Rente eines AHV-Bezügers finanzieren. Dies ist nicht nachhaltig. Weitere Reformen werden deshalb notwendig sein.

Demografischer Wandel bedroht Tragfähigkeit des Systems

Nicht nur das umlagefinanzierte System, auch das kapitalgedeckte wird von der Bevölkerungsalterung negativ beeinflusst. Dies zeigt ein Projekt des World Demographic and Ageing Forum, das auch von der Schweizerischen Nationalbank unterstützt wird. Es untersucht die Auswirkungen des demografischen Wandels im Allgemeinen und der Bevölkerungsalterung im Besonderen auf die Finanzmärkte.

Umlagefinanzierte Systeme sind wie erwähnt nicht mehr tragfähig, da die Zahl der Beitragszahler im Verhältnis zur Zahl der Leistungsempfänger abnimmt. Vollständig kapitalgedeckte Systeme sind von den Erträgen des Kapitalmarkts abhängig. Wenn in einer alternden Gesellschaft die Renditen sinken, weil die Babyboomer ihre Aktien und Immobilien verkaufen, steht auch die Tragfähigkeit der kapitalgedeckten Systeme auf dem Spiel.

Finanzmärkte können Demografie nicht ignorieren

«Diese Beobachtungen machen deutlich, wie wichtig die internationale Kapitalmobilität ist: Der Kapitalstock alternder Gesellschaften sollte dort angelegt werden, wo die Kapitalrendite hoch bleibt, also in Ländern mit jüngeren Bevölkerungen. Nachhaltige Finanzmärkte können es sich nicht leisten, die Demografie zu ignorieren», schreiben die Autoren der Studie «Financial Demography: How Population Aging Affects Financial Markets», zu denen Professor Heinz Zimmermann von der Universität Basel und Manuel Buchmann vom Kompetenzzentrum Demografik gehören.

Doch auch andere Bereiche der Wirtschaft spüren die alternde Bevölkerung. Menschen über 60 Jahre werden mit ihren Bedürfnissen bis 2030 in Europa, Asien und Nordamerika für mehr als die Hälfte des Konsums verantwortlich sein.

Die Konsumausgaben von Europäern im Alter von mehr als 50 Jahren ist in den letzten 20 Jahren dreimal so stark gestiegen wie die Konsumausgaben der übrigen Bevölkerung. Auch in den USA besitzt die Babyboomer-Generation, die etwa ein Viertel der Bevölkerung bildet, den grössten Teil der Vermögen der Privathaushalte und trägt am meisten zum Konsum bei.

«Silver economy» ist ein wirtschaftlicher Machtfaktor

Das macht die «silver economy», wie dieser Bereich bezeichnet wird, zu einem wirtschaftlichen Machtfaktor, der Auswirkungen auf Unternehmen hat. Diesen eröffnet die demografische Entwicklung wirtschaftliche Chancen. Beim Anlegen eröffnen Branchen und Unternehmen, die vom Konsumverhalten der «silver generation» profitieren, neue Optionen.

Dabei durchlaufen die Senioren drei Phasen: Unmittelbar nach der Pensionierung sind die meisten Rentner aktiv, sie reisen, treiben Sport und besuchen kulturelle Anlässe. In dieser Zeit geben sie auch relativ viel für Güter und Dienstleistungen aus.

In einer zweiten Phase sind sie weniger aktiv, aber noch selbständig und wohnen zu Hause. Ihre Ausgaben gehen tendenziell zurück. In der dritten Phase nehmen gesundheitliche Probleme zu. Entsprechend steigen die Kosten für Pflege und Gesundheit.

Höhere Wachstumsraten als Gesamtmarkt

Gemäss der Grossbank UBS fragen Senioren vor allem Produkte und Dienstleistungen von fünf Wirtschaftssektoren nach. Dabei verändern sich die Schwerpunkte je nach Phase: Tourismus, Körperpflege und Kosmetik, Gesundheitsdienstleistungen, Senioren-Wohnen und Finanzplanung. Diese Bereiche könnten aufgrund der wachsenden Nachfrage durch die Senioren höhere Wachstumsraten als der Gesamtmarkt erzielen.

Aufgrund der demografischen Entwicklung sieht Christoph Wirtz, Aktienanalytiker bei der Rothschild & Co. Bank, vor allem bei den Pharma- und Medtech-Branchen Potenzial. Die medizinische Forschung habe in den vergangenen Jahren bahnbrechende Resultate erzielt, was dazu führe, dass das Leben kranker Menschen nicht nur verlängert, sondern in vielen Fällen auch die Krankheit geheilt werden könne.

Hörgeräte und Augenoptik

Bei Medtech gehe es um Produkte, welche zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen oder im medizinischen Bereich angewendet würden. Als besonders interessant gelten dabei die Märkte für Hörgeräte und Augenoptik. Diese Sektoren profitieren davon, dass sich immer mehr Menschen solche Behandlungen leisten können und wollen, was die Unternehmen auch für Anleger interessant macht.

Der globale Markt für Hörgeräte dürfte laut Wirtz von 10,2 Milliarden Dollar im Jahr 2022 auf 17,7 Milliarden Dollar im Jahr 2029 wachsen. Dies entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von 8,1 Prozent. Das Schweizer Unternehmen Sonova ist einer der weltweit grössten Hersteller und Vertreiber von hochwertigen Hörgeräten. Das Unternehmen profitiert vom langfristigen Megatrend der alternden Gesellschaft – gerade auch in den Schwellenländern.

Auch der globale Optik-Markt dürfte bis 2030 markant wachsen. Hier erwähnt der Analytiker Alcon. Das US-schweizerische Unternehmen ist weltweit führend in der Augenheilkunde. Auch der Zahnimplantate-Hersteller Straumann dürfte angesichts der alternden Bevölkerung höhere Umsätze erzielen. Interessant ist auch die in Kalifornien angesiedelte Intuitive Surgical, deren europäischer Hauptsitz in Aubonne (VD) liegt. Die Firma entwickelt und produziert Roboter-assistierte Operationssysteme.

Zudem seien Gesundheitsorganisationen in den USA vielversprechend, die eigene Krankenhäuser vertreiben und aufgrund ihrer Grösse beim Medikamenteneinkauf Discounts erzielen können, wie United Health.

Altersgerechtes Wohnen erfordert Know-how

Unternehmen, die im Bereich altersgerechtes Wohnen tätig sind, dürften aufgrund der alternden Bevölkerung überdurchschnittlich wachsen. Dazu zählen Aufzugshersteller wie Schindler und Otis. Diese sind weltweit führende Unternehmen für die Herstellung, Installation und Wartung von Liften und Rolltreppen. Die Kunden sind loyal und nehmen nach hohen Vorab-Investitionen das Serviceangebot der Unternehmen in Anspruch, da für viele gutsituierte Rentner eine verbesserte Lebensqualität wichtiger ist als der Preis.

Beim Thema Anti-Aging und Easy Aging bieten Unternehmen wie Estée Lauder und Unilever verschiedene Produktlinien an. Die Lebensmittelindustrie hat die Babyboomer ebenfalls im Auge. Mit Marken, die traditionelle Geschmacksvorlieben bieten, setzen die Unternehmen auf die Kundentreue dieser Generation und entkräften gleichzeitig deren allfällige Gesundheitsbedenken mit Zusatzstoffen.

Der Schweizer Lebensmittelkonzern Nestlé hat in mehreren Ländern das Design von Instantkaffee-Gläsern und Verpackungen für Schokolade so umgestaltet, dass sie sich auch von betagten Menschen problemlos öffnen und halten lassen.

Der Kreuzfahrten-Boom neigt sich dem Ende zu

Was den Tourismusbereich betrifft, glaubt Wirtz, dass die Zeit der Kreuzfahrten langsam, aber sicher abläuft. Zwar reisen viele Senioren nach der Pandemie wieder gerne mit den grossen Passagierschiffen herum, da es für sie bequem ist. Angesichts der Umweltbilanz dieser Branche glaubt er allerdings, dass diese in Zukunft nicht mehr derart boomen wird. Die Leute würden eher Events oder individuelle Erlebnisse suchen.

Für Anleger, die auf die wachsende Konsum-Macht der Senioren setzen, aber nicht in Einzeltitel investieren wollen, haben Fondsgesellschaften Produkte aufgelegt.

Folgen für Zinsen und Aktienmärkte

Die alternde Bevölkerung beeinflusst ihrerseits die Zinsentwicklung und die Aktienmärkte. Die Auswirkungen einer alternden Bevölkerung auf die langfristigen Realzinsen seien nicht eindeutig, heisst es bei den Experten des Projekts des World Demographic and Ageing Forum.

Auf die Aktienmärkte wirkt sich die Alterung der Bevölkerung gemäss dem Bericht vierfach aus. Eine alternde Bevölkerung – ob gesund oder pflegebedürftig – könnte erstens zu einem Anstieg des Angebots an und einem Rückgang der Nachfrage nach Aktien führen und damit einen Abwärtsdruck auf die Aktienkurse bewirken.

Zweitens beeinflusst die Altersstruktur einer Gesellschaft nicht nur die Nachfrage nach Aktien, sondern auch nach Waren und Dienstleistungen. So ist die Nachfrage – wie weiter oben bereits aufgezeigt – in Bereichen wie Spielzeug, Fahrräder, Lebensversicherungen und Pflegeheime sehr altersabhängig. Daher sollte sich der demografische Wandel vorhersehbar auf die Rentabilität in vielen Sektoren und damit auf die Rendite bestimmter Aktien auswirken.

Drittens wird davon ausgegangen, dass ältere Menschen konservativer und weniger risikofreudig sind. Es ist daher zu erwarten, dass die ältere Generation ihr Portfolio auf weniger riskante Vermögenswerte wie Staatsanleihen umschichtet oder sich ganz vom Kapitalmarkt verabschiedet. Viertens wird auch erwartet, dass Dividenden-zahlende Aktien mit zunehmendem Alter attraktiver werden, da der kurzfristige Cashflow wichtiger wird als das langfristige Wachstum.

Pierre Weill, «Neue Zürcher Zeitung»

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