Pleitewelle erfasst den Gastrobereich: Dieses Jahr schlossen so viele Restaurants wie noch nie Mit Mieten von bis zu einer Million Franken im Jahr kämpfen Stadtrestaurants ums Überleben. Auf dem Land ist das Beizensterben schon weiter fortgeschritten.
Mit Mieten von bis zu einer Million Franken im Jahr kämpfen Stadtrestaurants ums Überleben. Auf dem Land ist das Beizensterben schon weiter fortgeschritten.

Es war ein Ort mit Herz: das «Il Gallo» am Escher-Wyss-Platz in Zürich. Pizzen, Meeresfrüchte, ein Glas Vermentino – dazu Spielboxen für Kinder und eine Bedienung, die Wünsche vorausahnte. «Obwohl der Laden bis auf den letzten Platz voll war, haben wir uns mit unseren Kindern herzlich willkommen gefühlt. Das gibt es in Zürich leider nur noch selten», schrieb ein Gast online.
Die Familie Gallo führte hier seit den 1970er Jahren ein italienisches Restaurant. Dann kam das Ende. Kein grosses Drama, einfach geschlossen. Seit zwei Jahren sticht nur das Hinweisschild «Il Gallo – coming soon» ins Auge.
Mieten am Limit
Von wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Stadtrestaurants zeugt in Zürich eine andere Adresse: Bahnhofplatz 2, mitten in Zürich. Wo früher die «Newsbar» und das «Au Gratin» standen, herrschte zwischendurch Stillstand. Die Vermieterin PSP Swiss Property liess sich Zeit auf der Suche nach einem neuen Betreiber – die geforderte Jahresmiete von rund 900 000 Franken schreckte etablierte Gastronomen ab.
Eine derart hohe Jahresmiete für 300 Quadratmeter und Nebenräume – für die meisten Betriebe kaum zu stemmen. Dabei sind das noch nicht einmal die Spitzenmieten in Zürich. Boutiquen an der Bahnhofstrasse zahlen fürs Erdgeschoss wesentlich mehr.
Jetzt fand sich ein Nachfolger: Ayverdi’s, eine Zürcher Kebab-Kette, eröffnete diese Woche eine neue Filiale. Der Betreiber Ali Ayverdi will hier bis zu 2000 Döner pro Tag verkaufen. Reto Grunder von PSP zeigt sich vom Konzept überzeugt: «Hier wird nicht irgendein Kebab verkauft.» Tatsächlich: Ayverdi führt eine Gourmet-Linie, der Trüffel-Kebab kostet 25 Franken, die Variante mit Wagyu-Fleisch sogar 91 Franken.
Doch was bedeutet das für klassische Gaststätten? «Ein Restaurant ist personalintensiv. Ungefähr 50 Prozent sind Personalkosten», sagt Urs Pfäffli, Präsident vom Branchenverband Gastro Kanton Zürich. Dazu kommen hohe Energiepreise, kostspielige Umbauten und teure Technik wie Kühlgeräte und Lüftungen. «Eine Jahresmiete von mehreren hunderttausend Franken – ein traditionelles Restaurant kann das nicht bezahlen», so Pfäffli. Er weiss, wovon er spricht: Vor fünf Jahren musste er sein Restaurant am Bahnhofplatz schliessen.
Die Gastronomiebranche steht im Gegenwind. Als die Beizen während der Pandemie geschlossen waren, wanderten viele Angestellte in den Detailhandel ab. Dort sind die Arbeitszeiten geregelt und die Löhne höher.
Die Gastrobranche musste beim Salär nachlegen, um die Leute zurückzuholen. In den letzten Jahren gehörte sie zu den Branchen mit den höchsten Lohnzuschlägen. Die Kundschaft bekommt dies in Form höherer Preise zu spüren. Ein Teller Pasta für 25 Franken? Immer mehr Gäste winken ab.
Aber das ist nicht alles. Eine tiefgreifendere Veränderung ist längst im Gang. «Man geht mittags weniger ins Restaurant und holt sich stattdessen eine schnelle Verpflegung», sagt Urs Pfäffli. Ein Sandwich im Karton, ein Salat für unterwegs, danach eine Glace vom Stand – das klassische Mittagsmenu mit Tischtuch gönnen sich nur noch Touristen.
Konkurse und eine hohe Fluktuation
Viele Betriebe können die Kosten nicht decken. Die Folge ist eine wachsende Zahl von Konkursen. Laut der Wirtschaftsauskunftei Creditreform stieg die Zahl der Pleiten im Gastrobereich im Vergleich zum Vorjahr um 16 Prozent. Zwischen Januar und Mai 2025 gaben über 530 Betriebe auf.
Dank Staatshilfe sank die Zahl der Konkurse zwar während der Pandemie. Doch die Strukturbereinigung wurde dadurch nur aufgeschoben: Seit vier Jahren nehmen die Pleiten zu. Der Höhepunkt ist noch nicht erreicht.

«Der Alkoholkonsum ist rückläufig. Und weil Krankenkassenprämien und Mieten steigen, bleibt vielen Haushalten weniger Einkommen für den Restaurantbesuch», sagt Raoul Egeli, Präsident von Creditreform.
Der Branchenverband Gastrosuisse stellt fest, dass die Dichte der Restaurants pro 1000 Einwohner seit Jahren sinkt. Zwischen 2011 und 2022 ging sie von 3,34 auf 3,07 Betriebe zurück. Besonders betroffen sind Regionen wie die Ostschweiz und kleine Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnerinnen und Einwohnern.
Ein Quartier ohne Quartierbeiz
Die Krise schlägt überall zu, auch Quartierbeizen bleiben nicht verschont. Siehe Zürich Höngg, eines der beliebtesten Wohnquartiere in Zürich: Die «Alte Trotte» ist Geschichte. Der «Rebstock» wurde zugunsten einer Herzklinik geschlossen und findet heute nur noch Erwähnung in Gesprächen über «die guten alten Zeiten».
Die Restaurantkette Desperado, die in Zürich Höngg und an anderen Standorten präsent war, ging schon 2019 Konkurs.
Besitzerin der Liegenschaft ist die Stadt Zürich. Selbst bei einer Miete unter den Kosten seien mehrere Betreiber an diesem Standort gescheitert, erklärte Stadtrat Daniel Leupi dem Quartierverein. Der Standort habe Defizite. Alexander Jäger, Präsident des Quartiervereins Höngg, ist gleichwohl verärgert: «Wenn die Liegenschaft leer steht, dürfte der Ertrag tiefer sein als zu Zeiten des mexikanischen Restaurnts.»
St. Gallen: Konkurs des «Multertors»
Selbst Spitzenköche bleiben nicht verschont. Im Herbst 2023 wagte Tobias Funke den Schritt in die St. Galler Innenstadt und eröffnete das «Multertor» an prominenter Lage im Globus. Der mit 18 Gault-Millau-Punkten und zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Küchenchef hatte zuvor im Gourmettempel «Fernsicht» in Heiden gewirkt – nun zelebrierte er im Parterre des Warenhauses seine Kochkunst und empfing seine Gäste in der Gallusstadt.
Das Lokal galt als Erfolg, war gut besucht, auch Spieler des FC St. Gallen gehörten zur Stammkundschaft. Und doch kam im März 2025 das Aus: Konkursverfahren, Zwangsschliessung. Das Unternehmen wurde liquidiert.
Walter Tobler, Präsident von Gastro St. Gallen, sagt dazu: «Es gab Gerüchte über kostspielige Investitionen und einen sehr hohen Mietzins – eben das ‹Multertor›.» Es sei ein besonders prominenter Fall, doch bei weitem nicht der einzige. «In den bekannten Einkaufsgassen der Altstadt gibt es praktisch keine Restaurants mehr», sagt Tobler.
Teilweise finde eine Verlagerung in andere Quartiere statt. Offenbar fassen immer wieder Wirte den Mut, trotz schwieriger Ausgangslage neu anzufangen. Die Mieten an guten Stadtlagen seien ein Problem: «Nur wenn jemand Produkte mit guter Marge verkauft und lange Öffnungszeiten hat, fallen die nötigen Erträge an», sagt Tobler.
Wenn der letzte Wirt geht
Während in den Städten hohe Mieten zur grössten Hürde werden, kämpfen auf dem Land ganze Gemeinden um die letzte Beiz. In Lömmenschwil im Kanton St. Gallen etwa kaufte die Gemeinde den «Ochsen», um den Betrieb zu retten. «Manchmal übernimmt die Gemeinde, ein Investor oder Mäzen bewusst die Immobilie – nicht aus Renditegründen, sondern um die Gastronomie im Dorf zu sichern», sagt Tobler.
Denn während die Städte noch immer über ein vielfältiges Gastro-Angebot verfügen, dünnt es sich auf dem Land aus. In vielen Gegenden muss man ins Auto steigen, wenn man ins Restaurant will. Dann bleiben viele lieber daheim und bestellen eine Pizza. Und irgendwann heisst es dann: Hier stand einmal ein Wirtshaus.