Verzicht auf Schaufensterbeleuchtungen und notfalls kürzere Öffnungszeiten: So will der Detailhandel Energierationierungen verhindern Der Branchenverband des Detailhandels empfiehlt seinen Mitgliedern einen Strauss von Energiesparmassnahmen. Die Branche wäre bereit, noch weiter zu gehen – sofern freiwillige Massnahmen bei allfälligen Rationierungen angerechnet würden. Doch eine solche Anrechnung sieht der Bund zurzeit nicht vor.

Der Branchenverband des Detailhandels empfiehlt seinen Mitgliedern einen Strauss von Energiesparmassnahmen. Die Branche wäre bereit, noch weiter zu gehen – sofern freiwillige Massnahmen bei allfälligen Rationierungen angerechnet würden. Doch eine solche Anrechnung sieht der Bund zurzeit nicht vor.

 

Der Branchenverband des Detailhandels hat für die Betriebe eine Liste von 37 Empfehlungen zum Energiesparen vorgelegt. Bild: PD

«Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.» Das ist eine Kernbotschaft des Bundesrats an Unternehmen und Privathaushalte zum Energiesparen im Hinblick auf den kommenden Winter. Beim Gas hatte der Bundesrat Ende August die Kaskade der Massnahmen umrissen: Zuerst kommt das freiwillige Sparen, dann folgen bei Bedarf Einschränkungen etwa bezüglich Raumtemperatur sowie Verbote, und wenn das nicht reicht, folgt für viele Betriebe eine Rationierung nach dem Rasenmäherprinzip – mit einer pauschalen Kürzung des Verbrauchs im Vergleich zu einer Referenzperiode um einen noch zu bestimmenden Prozentsatz.

Auch beim Strom könnte es für Grossverbraucher ähnlich laufen. Ein Verordnungsentwurf des Bundesrats für allfällige Rationierungen wird diesen Herbst in die Konsultation kommen. Die Wirtschaft will massive Einschränkungen vermeiden und setzt zunächst auf freiwillige Sparmassnahmen. Eine Illustration hat Ende vergangener Woche der Detailhandel geliefert. Der Schweizer Detailhandelsverband, dem rund 1600 Detailhändler angehören, verbreitete eine Liste mit 37 Empfehlungen für die Mitglieder zum Energiesparen.

Motivationsbremse geortet

Zu den Empfehlungen zählt zum Beispiel das Abschalten aller Leuchtreklamen, Schaufensterbeleuchtungen und Werbetafeln ausserhalb der Öffnungszeiten. Empfohlen wird speziell auch ein «Verzicht auf Weihnachts- und rein dekorative Beleuchtung». Und während der Betriebszeiten soll in den Läden und auf sonstigen Arbeitsflächen die Intensität der Beleuchtung möglichst sinken. Bei den Raumtemperaturen empfiehlt der Verband ein Maximum von 18 bis 19 Grad für Verkaufsflächen und von 19 Grad für Büros. Die gängigen Temperaturen liegen laut Verbandsangaben bei 21 bis 22 Grad. Vorgesehen ist auch das Abschalten «überflüssiger Rolltreppen und Aufzüge» – wobei für Behinderte eine Aufzugsmöglichkeit bleiben soll.

Die Branche wäre im Prinzip laut dem Verband bereit, noch über die in den Empfehlungen genannten Massnahmen hinauszugehen. «Wir befürchten für ein Szenario mit Rationierungen einschneidende Eingriffe und wollen mit freiwilligen zusätzlichen Massnahmen dazu beitragen, dass es nicht zu einem solchen Szenario kommt», sagt Dagmar Jenni, Direktorin des Detailhandelsverbands. So sei zum Beispiel die Bereitschaft «weitgehend vorhanden», die Ladenöffnungszeiten im Bedarfsfall «um ein bis zwei Stunden zu verkürzen» – was den Stromverbrauch um etwa 5 bis 10 Prozent senken könne. «Aber wenn wir das machen, sollte diese Einsparung bei einer späteren Rationierung angerechnet werden», betont Jenni. Vom Bund habe es dazu aber noch keine Zusicherung gegeben: «Das reduziert die Motivation, vorher zu sparen.»

Ähnlich sieht es auch der Gewerbeverband aus branchenübergreifender Sicht. Vom Bund habe man die Auskunft erhalten, dass Betriebe, die jetzt sparten, bei einer allfälligen Kontingentierung keine Vorteile hätten. Laut einem Beobachter schaut das Wirtschaftsdepartement die Sache nun nochmals an. «Ein eigentliches Belohnungssystem ist in den Bewirtschaftungsmassnahmen nicht enthalten», erklärte allerdings das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) am Montag auf Anfrage. Wer jedoch jetzt Sparmassnahmen umsetze, profitiere zunächst rein finanziell und sei auch bei einer allfälligen Strommangellage besser vorbereitet.

Was ist die Vergleichsperiode?

Die Details zu den Verordnungen für den Fall einer Strommangellage sind laut BWL noch in Diskussion. Dabei werde man auch die Erkenntnisse aus der Konsultation über den Gasbereich berücksichtigen. Die Konsultation zu den Gasverordnungen dauert noch bis Ende Oktober, diejenige zum Strom dürfte erst danach beginnen.

Für Diskussionsstoff sorgt auch die Wahl der Referenzperiode bei einer allfälligen Kontingentierung. Der Verordnungsentwurf zum Gas sieht den Vorjahresmonat als Referenzperiode vor. Käme es zum Beispiel im Januar 2023 zu Kontingentierungen, wäre der Verbrauch der betroffenen Betriebe vom Januar 2022 der Ausgangspunkt. Das beunruhigt jene Branchen, die in den vergangenen Wintern Corona-bedingt nicht auf Volltouren liefen – wie etwa Gastgewerbe, Tourismus und Detailhandel. Der Gewerbeverband wünscht deshalb, dass bei den stark von der Pandemie betroffenen Branchen jeweils die Monate des Vorkrisenjahrs 2019 als Referenzperiode für den Energieverbrauch betrachtet werden. Auch hier gab das BWL auf Anfrage noch keine schlüssige Antwort.

Zu reden geben auch Zielkonflikte zwischen dem Energiesparen und Regeln im Arbeits- und Lebensmittelrecht. So wäre es im Detailhandel laut Dagmar Jenni denkbar, dass man die Raumtemperaturen bei weiterem Sparbedarf nicht nur auf 18 bis 19 Grad senkt, sondern auch noch um ein bis zwei Grad tiefer – wenn nötig mit Begleitmassnahmen etwa bezüglich Arbeitskleidung. Doch solcher Sparbereitschaft würden zurzeit die Temperaturvorgaben in der Wegleitung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zum Arbeitnehmerschutz im Weg stehen.

Ähnliche Unklarheiten gibt es auch bei den Temperaturen für die Tiefkühlung. Laut Dagmar Jenni sind in normalen Zeiten Temperaturen um minus 22 Grad und zum Teil sogar bis minus 24 Grad gängig. Eine Reduktion der Tiefkühlung für Lebensmittel auf bis zu minus 18 Grad sei grundsätzlich ohne Gesundheitsprobleme möglich, könne aber optisch zum Beispiel zu Kristallisationen bei den Glaceprodukten führen. Auch hier müsste der Bund laut Jenni für den Krisenfall eine Vorgabe liefern, damit die Detailhändler nicht mit Sanktionen der Lebensmittelinspektoren zu rechnen hätten. Der genannte Stromspareffekt pro Grad Reduktion der Tiefkühlung beträgt 4 bis 6 Prozent.

Das Seco will bald aufklären

Gestützt auf das Gesetz zur wirtschaftlichen Landesversorgung kann der Bundesrat in einer Krise Bestimmungen anderer Erlasse vorübergehend für nicht anwendbar erklären. Die Gewerbevertreter sagen es so: Wenn die Suspendierung einer Regelung weniger einschneidend sei als eine Kontingentierung, sei Ersteres vorzuziehen. Man wünsche vom Bund die Eruierung jener Bestimmungen, die in einem Krisenszenario vorübergehend nicht gelten würden, sagt Dagmar Jenni.

Das Seco versprach am Montag auf Anfrage baldige Informationen in Bezug auf die Regeln zum Arbeitnehmerschutz. Ein Merkblatt für die Unternehmen, das den Handlungsspielraum im Zusammenhang mit Energiesparmassnahmen aufzeige, sei zurzeit in Erarbeitung und werde «demnächst» im Internet aufgeschaltet. Nicht zur Diskussion stehe eine Ausserkraftsetzung von Bestimmungen des Arbeitsgesetzes: «Die vom Gesetz vorgesehene Flexibilität ist genügend.»

Hansueli Schöchli, «Neue Zürcher Zeitung»

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