Wegen gestörter Lieferketten herrscht in Industriefirmen Stress – der Chefeinkäufer des Fahrzeugherstellers Aebi Schmidt versucht trotzdem, Ruhe zu bewahren Erst wurde kein Nickel mehr gehandelt, dann fehlten überall die Halbleiter, und nun droht eine Strom- und Gasmangellage. Die Anforderungen an die Beschaffung sind rapide gestiegen. Einkaufsmanager brauchen die Qualitäten eines Jongleurs.

Erst wurde kein Nickel mehr gehandelt, dann fehlten überall die Halbleiter, und nun droht eine Strom- und Gasmangellage. Die Anforderungen an die Beschaffung sind rapide gestiegen. Einkaufsmanager brauchen die Qualitäten eines Jongleurs.

 

Das Zürcher Unternehmen Aebi Schmidt stellt seine Kehrmaschinen in St. Blasien im Schwarzwald her. Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ

Gefragt, wie hoch der Stress auf einer Skala von 1 bis 10 sei, antwortet Stefan Kaltenbach, der Chefeinkäufer der Zürcher Industriegruppe Aebi Schmidt: «Im Moment sind wir bei Stufe 8.» Ganz schwierig war die Phase der ersten Monate nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine. «Damals standen wir bei 10.» Dermassen anspruchsvoll habe sich die Situation an den Beschaffungsmärkten präsentiert.

Händler wurden bestürmt

Kaltenbach steht als Konzernleitungsmitglied und Leiter des Bereichs Supply Chain Management & Procurement beim Kommunalfahrzeughersteller und Landtechnikunternehmen Aebi Schmidt einer Mannschaft von 120 Personen vor. Er erinnert sich noch sehr genau daran, wie im vergangenen März der Handel von Nickel an der weltgrössten Börse für dieses Metall, der London Metal Exchange, mehrere Wochen lang quasi ausgesetzt war.

Stefan Kaltenbach, Chefeinkäufer und Mitglied der Konzernleitung von Aebi Schmidt. Bild: PD

Nickel spielt in der Herstellung von Edelstahl eine wichtige Rolle, und in dieser Zeit waren die Produktion und der Handel dieses Werkstoffs massiv eingeschränkt. Dies führte dazu, dass die Abnehmer von Edelstahl die Händler bestürmten und alles zusammenkauften, was noch an Coils (Spulen) vorhanden war.

Die Firma Aebi Schmidt, deren Fahrzeuge aus zahlreichen Metallteilen zusammengeschweisst werden und die entsprechend viel Edelstahl benötigt, hatte sich glücklicherweise abgesichert und wurde trotzdem noch bedient. «Wir fixieren bei vielen Materialien unsere Abrufmengen und Konditionen, nicht nur bei Edelstahl, sondern beispielsweise auch bei Aluminium und Schwarzstahl.» Dasselbe gelte, fügt Kaltenbach hinzu, für wichtige Komponenten, von Fahrzeugen über Motoren bis hin zu Teilen von Kabelbäumen.

Underdogs in vielen Firmen

Die Beschaffung gilt in der Wirtschaft nicht als besonders sexy. Im Gegensatz zum Marketing oder zur Forschung und Entwicklung fristet sie in vielen Firmen eher ein Randdasein. Auch in der Öffentlichkeit wird dieser Tätigkeitsbereich normalerweise kaum wahrgenommen.

Doch die Krise in den Lieferketten, die zu Beginn der Coronavirus-Pandemie 2020 ausgebrochen war und jüngst wegen der Verwerfungen des Kriegs in der Ukraine noch verstärkt worden ist, hat allen aufgezeigt, welche zentrale Rolle die Mitarbeiter in der Beschaffung spielen. Fehlen bei einem Produkt nur wenige Teile, kann dadurch die gesamte Fertigung ins Stocken geraten.

Aebi Schmidt hat das bei der Herstellung von Salzstreuern für den Einsatz im Winterdienst erlebt. Weil ein halbes Dutzend Komponenten nicht rechtzeitig geliefert wurden, konnte das Montagewerk in den Niederlanden die Geräte nur halbfertig herstellen. Jetzt, wo die betroffenen Teile endlich verfügbar sind, müssen die Salzstreuer nachgerüstet werden. Das sorgt für zusätzliche Kosten, denn die Produkte müssen zur Vorbereitung der Abnahme durch die Kunden nochmals durch die Qualitätsprüfung geschleust werden.

Dieselbe Strategie wie bei Stadler Rail

Die einzelnen Teile bezieht Aebi Schmidt von einem Heer von Zulieferern. Der Konzernchef Barend Fruithof beziffert die Gesamtzahl der gruppenweiten Lieferanten von Produktionsmaterialien auf 4000. Autohersteller, die mit deutlich höheren Stückzahlen operierten und deren Fertigungstiefe deutlich grösser sei, kämen auf deutlich weniger.

Die hohe Zahl von Lieferanten ist bei Aebi Schmidt teilweise aber auch gewollt. Der Konzern arbeitet ähnlich wie seine Schwesterfirma Stadler Rail, deren Hauptaktionär und Verwaltungsratspräsident ebenfalls der Unternehmer Peter Spuhler ist, ungern mit Monopolisten zusammen. Er setzt denn auch auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Kleinbetrieben, die im Umgang oft flexibler sind. Mit den Chefs solcher Firmen müsse man halt auch einmal einen Kaffee trinken gehen, sagt Kaltenbach. Doch das lohne sich alleweil. «Solche Betriebe legen für uns bei Bedarf nicht selten eine Extraschicht am Samstag ein.»

Zurückhaltung gegenüber China zahlt sich aus

Laut eigenen Angaben hat Aebi Schmidt auch nur zurückhaltend direkte Beziehungen mit chinesischen Lieferanten geknüpft. Diese Strategie scheint sich seit dem Ausbruch der Pandemie ausbezahlt zu haben. So war die Firma auch weniger gezwungen, die horrend gestiegenen Kosten im Frachtverkehr mit Asien zu berappen. Der Preis für einen 40-Fuss-Container aus China nach Europa schnellte zeitweise von 2000 bis auf 15 000 Dollar. Im Moment geht Kaltenbach nicht davon aus, dass die Raten sich kurzfristig wieder stabil auf dem Niveau einstellen werden, das vor der Pandemie üblich war.

 

Extreme Preissprünge hat Kaltenbach zusammen mit seinen Mitarbeitern auch bei Mikrochips erlebt. Um überhaupt noch an Ware heranzukommen, wagte sich Aebi Schmidt in den Broker-Markt. In diesem sei man teilweise mit Verteuerungen nicht von 100 Prozent, sondern im Bereich des Hundertfachen gegenüber den früher üblichen Preisen konfrontiert gewesen, sagt Kaltenbach. So kostete ein Chip auf einmal 300 statt 3.50 bis 5 Franken. Die gesamte Bestellung verschlang auf einmal einen sechsstelligen Betrag.

Kehrmaschinen werden aus einer Vielzahl von Einzelteilen zusammengebaut. Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ

Den Gaspreis ständig im Blick

Wer den 46-jährigen Chef der Beschaffung von Aebi Schmidt an seinem Arbeitsort begleitet, gewinnt den Eindruck, er verfolge den ganzen Tag lang die Tarife unterschiedlichster Güter. Auch im Lift wirft er einen Blick auf sein Smartphone und kontrolliert den Erdgaspreis am Terminmarkt. Ja, den Erdgaspreis checke er ständig, auch Währungskurse rufe er täglich mehrmals ab, sagt Kaltenbach.

Der deutsche Manager blickt auf zwanzig Jahre Erfahrung in der Welt der Beschaffung von Industrieunternehmen zurück. Bevor er im Juni 2019 zu Aebi Schmidt wechselte, hatte er für die beiden Automobilzulieferer Meritor und Continental sowie für den Schienenfahrzeughersteller Bombardier (inzwischen Teil von Alstom) entweder in der Schweiz, in Deutschland oder in Japan gearbeitet. «Bleibe in jeder Situation ruhig», so lautet Kaltenbachs Motto nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch privat. Ruhe versucht er auch seinen Mitarbeitern zu vermitteln.

Während einer einstündigen Sitzung, welche die wichtigsten Vertreter des Konzernbereichs Supply Chain Management & Procurement aus Europa zusammenbringt, betont Kaltenbach mehrfach, dass man nicht gezwungen sei, hastige Entscheide zur Sicherung der Versorgung mit Erdgas und Elektrizität zu treffen. Aebi Schmidt scheint auch bei der Energie rechtzeitig Vorsorge getroffen zu haben und schloss die entsprechenden Verträge bereits 2020 ab.

Ab Anfang des nächsten Jahres muss aber eine neue Lösung her. Wie sie aussehen könnte, will Kaltenbach nicht offenlegen. Er erklärt lediglich vielsagend, dass sie sich von der im vorletzten Jahr getroffenen unterscheiden werde. Und ergänzt in der achtköpfigen Gesprächsrunde: «Wir werden ganz bestimmt nicht Preise bezahlen, wie sie zurzeit in Zeitungsberichten zur Energiekrise genannt werden.»

Bei der Photovoltaik zu langsam gewesen

Ausser als Chefeinkäufer fungiert Kaltenbach zurzeit auch als Verantwortlicher für Energiesparmassnahmen. Er schärft seinen Mitarbeitern ein, beim Weggehen das Licht im Büro zu löschen und den Computer auszuschalten. Gelüftet soll nur so lange wie nötig werden. Zugleich versichert er: «Bei uns muss niemand frieren. Bei der Absicherung der Brennstoffe sind wir für diesen Winter durch.»

Massnahmen zur Steigerung der Nachhaltigkeit, wie sie Aebi Schmidt in der niederländischen Fabrik mit Sonnenkollektoren oder dem automatischen Herunterfahren des gesamten Werks in Burgdorf nach Betriebsschluss um 18 Uhr schon umgesetzt hat, sollen auf die ganze Gruppe ausgedehnt werden. Allerdings hätte man mehr schon früher machen können, wie man in der Konzernzentrale einräumt. Um wie angestrebt bei den Fabriken und Logistikgebäuden der Firma breitflächig Photovoltaikanlagen zu installieren, wird es diesen Herbst und Winter nicht reichen. Dafür ist die Nachfrage im Markt viel zu gross.

Auftragsbücher sind voll

Was die Versorgung mit Materialien und Komponenten betrifft, verspürt man bei Aebi Schmidt erste Anzeichen einer Entspannung. Vor allem der amerikanische Markt sei agiler geworden, heisst es.

Wie in den meisten Industrieunternehmen derzeit treibt hingegen die Aussicht auf eine mögliche Strom- und Gasmangellage den Stresspegel des Managements in die Höhe. Darüber, was es bedeuten würde, wenn die Versorgung mit Elektrizität von staatlichen Stellen kontingentiert würde oder es gar zu rollierenden Abschaltungen käme, will man bei Aebi Schmidt am liebsten gar nicht reden. Der Konzern, der im laufenden Jahr mit einem Umsatz von 800 bis 850 Millionen Euro rechnet, verfügt laut eigenen Angaben über volle Auftragsbücher. Um die vielen Bestellungen termingerecht abzuarbeiten, ist das Unternehmen darauf angewiesen, keinerlei Unterbrüche bei der Produktion zu erleiden.

Aebi Schmidt produziert auch Fahrzeuge für den Winterdienst. Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ

Dominik Feldges, «Neue Zürcher Zeitung»

 

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