Die Pandemie hat vielen Unternehmen Chancen eröffnet Das Corona-Jahr 2020 wird den meisten Schweizer Firmen in unguter Erinnerung bleiben. Doch nicht wenige haben dieser Ausnahmesituation auch positive Seiten abgewinnen und Chancen nutzen können.

Das Corona-Jahr 2020 wird den meisten Schweizer Firmen in unguter Erinnerung bleiben. Doch nicht wenige haben dieser Ausnahmesituation auch positive Seiten abgewinnen und Chancen nutzen können.

Auf dem ersten Höhepunkt der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 begann der Wirtschaftsdachverband economiesuisse mit regelmässigen Umfragen unter den Mitgliedern, um deren Auswirkung auf die Unternehmen besser erfassen zu können. Und obwohl die Ergebnisse deprimierend waren, gab es auch Lichtblicke: Immer wieder tauchten in den Antworten Hinweise auf positive Auswirkungen auf. Und diese beschränkten sich längst nicht nur auf Marktanteile, die manche Unternehmen dank der Pandemie hinzugewinnen konnten.

Um Genaueres zu erfahren, wurde das Projekt «Pandemie als Chance» gestartet. Über mehrere Dutzend Einzelinterviews mit Unternehmerinnen und Managern gelang es, das Bild aus den Umfragen zu ergänzen.

Die Pandemie als Veränderungsprozess verstehen

Einen guten Ansatz, um die Ergebnisse einzuordnen, bietet das bereits 1947 vom deutschen Sozialpsychologen Kurt Lewin entwickelte Drei-Phasen-Modell für Veränderungsprozesse. Lewin geht davon aus, dass man Veränderungen erfolgreich einleitet, indem man bestehende Strukturen und Überzeugungen zunächst «auftaut». In der Pandemie fand diese Auftau-Phase ebenfalls statt: Sie wurde aber durch äussere Umstände ausgelöst und extrem beschleunigt.

Wesentliche Wirkungen der Pandemie betrafen die menschliche Vernetzung: Die Einführung von Videokonferenzen wurde plötzlich erleichtert, weil viele gleichzeitig ihr Verhalten in gleicher Weise verändern mussten. Dasselbe gilt für die Arbeit aus dem Home Office. Während zu normalen Zeiten Veränderungsprojekte häufig Widerstand erzeugen, weil der Mensch nun mal ein bequemes Wesen ist, war diesmal alles anders. Allen – Arbeitgebern wie Arbeitnehmern – wurde innerhalb weniger Tage klar, dass rasche Anpassungen unausweichlich sein würden. Der vielerorts zähe Widerstand gegen Homeoffice, gegen die Digitalisierung von Kommunikationskanälen, Arbeitsprozessen oder Kundenservices löste sich in Luft auf, weil niemandem eine andere Wahl blieb.

Aber nicht nur die erzwungene Distanz zwischen den Menschen führte zu Veränderungen, auch der Faktor Zeit spielte eine wichtige Rolle. In vielen Unternehmen fielen geschäftliche Reisen, Kundenbesuche oder physische Sitzungen weg, es entstand Platz in den Agenden. Und dieser wurde nicht selten genutzt, um sich grundsätzliche Fragen zur Unternehmensstrategie zu stellen und diese vertieft zu bearbeiten – um die Produktentwicklung voranzutreiben oder die Dienstleistungen zu verbessern.

Der veränderte Blick auf das Alltägliche

Mit gezielten, von der Pandemie beschleunigten Massnahmen konnten Schweizer Unternehmen im vergangenen Jahr ihre Produktivität erhöhen. Dank der massenhaften Erfahrungswerte erkannte man beispielsweise vielerorts, dass digital durchgeführte Besprechungen effizienter sein können als physische Sitzungen. Die vermehrt von der Pandemie erzwungene elektronische Übergabe von Informationen zwischen Prozessschritten oder Arbeitsschichten führte zu maschinell auswertbaren Daten und machte so Verbesserungspotenziale einfacher erkennbar. Die von der Pandemie erzwungene, verstärkte Anwendung von Online-Marketing ermöglichte eine detailliertere Erfolgskontrolle. Durch vermehrten Online-Direktkontakt mit der Kundschaft konnten manche Produzenten teilweise die Service-Kette oder den Grosshandel überspringen oder eigene Geschäftslokale (z.B. Bankfilialen) einsparen.

Doch auch der veränderte Blick auf Alltägliches förderte Chancen zutage. In der veränderten Situation konnten Führungskräfte ihre Mitarbeitenden von einer anderen Seite kennenlernen und entdeckten bislang verborgene Potenziale und Talente. Mehrere der befragten Unternehmen gaben an, dass sie aufgrund solcher Erkenntnisse personelle Umbesetzungen vorgenommen haben. Ganz wesentlich wurde aber auch der Wert der nicht-digitalen sozialen Interaktion neu erkannt. Weil der persönliche Austausch in vielen Unternehmen vorübergehen wegbrach, wurde spürbar, wie wichtig er für den Zusammenhalt, die Motivation und insbesondere auch für Innovationsprozesse ist. Entsprechend kann dieser Austausch künftig bewusster eingesetzt werden, indem man entsprechende Räume schafft.

Erfolgreiche Veränderungen festigen

Das bereits erwähnte Drei-Phasen-Modell von Lewin hält fest, dass erfolgreiche Veränderungsprozesse auch eine bewusste Phase des «Einfrierens» benötigen. Es geht also darum, Neues stabil zu verankern, um einen Rückfall in alte Muster zu verhindern. Die lange andauernde Pandemie hat auch hier unterstützend gewirkt. In vielen Firmen ist heute Alltag geworden, was vor Corona noch als aussergewöhnlich galt.

Doch diese neuen Routinen gelten für positive und negative Entwicklungen gleichermassen. Nun, da sich das Ende des Ausnahmezustands abzeichnet und viele Büroangestellte wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, öffnet sich für kurze Zeit ein weiteres Fenster für beschleunigte Veränderungsprozesse. Den Unternehmen bieten sich wiederum Chancen, diese Phase für die Umsetzung gewünschter Veränderungen zu nutzen. Jetzt gilt es festzulegen, wie die Arbeit für die Zukunft organisiert werden soll und welche Veränderungen aus der Corona-Zeit man auch längerfristig beibehalten will.

Autoren: Dr. Felix Treibmann, Projektleiter «Pandemie als Chance», und Oliver Steimann, Leiter Newsroom, economiesuisse.

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