Streit um Mindeststeuer für Grossfirmen: Die SP bestellt eine Studie – doch diese fällt nicht ganz in ihrem Sinn aus Manche Linken träumen davon, dass der Fiskus dank der OECD-Mindeststeuer bald im Geld schwimmt. Doch nun sorgt ausgerechnet eine Studie der SP für Ernüchterung. Was sie aber auch zeigt: Die kantonalen Unterschiede sind enorm.

Manche Linken träumen davon, dass der Fiskus dank der OECD-Mindeststeuer bald im Geld schwimmt. Doch nun sorgt ausgerechnet eine Studie der SP für Ernüchterung. Was sie aber auch zeigt: Die kantonalen Unterschiede sind enorm.

Sprudelnde Steuereinnahmen? Die Schätzungen des Bundes sind laut Fachleuten plausibel. Bild: Christophe Schindler auf Pixabay

Zufall oder nicht: Praktisch gleichzeitig haben sich am Montag zwei sehr unterschiedliche Stimmen zu einer ebenso gewichtigen wie delikaten Reform zu Wort gemeldet. Die Rede ist von der neuen Mindeststeuer für Grossfirmen, welche die Schweiz unter dem Druck des globalen Ländervereins OECD im Expressverfahren per 2024 einführen will. Die SP hat dazu eine beim Beratungsbüro BSS bestellte Studie präsentiert, die Denkfabrik der Wirtschaft, Avenir Suisse, eine Analyse.

So gross die Differenzen sind: Beim wichtigsten Punkt besteht Einigkeit. Beide Seiten sind der Ansicht, dass sich die Schweiz dem neuen OECD-Regime nicht widersetzen kann. Dass die SP das so sieht, überrascht nicht. Avenir Suisse hingegen bezeichnet die Reform unverhohlen als «Ärgernis»; dennoch kommen die Autoren zu dem Schluss, dass sich die Schweiz mit einer Ablehnung selber schaden würde. Hauptgrund: In diesem Fall könnten andere Staaten zusätzliche Steuern von betroffenen Firmen einziehen. Diese müssten mit neuen Rechtsunsicherheiten rechnen.

Eher überraschend ist, dass noch in einem zweiten zentralen Punkt grosse Übereinstimmung besteht: Die Schweiz sollte sich keine Hoffnungen auf einen gigantischen Milliardensegen machen. Zwar ist es laut den Fachleuten durchaus plausibel, dass ein Teil der Konzerne wegen der Reform zusätzliche Steuereinnahmen abliefern wird. Wie hoch diese genau sind, kann indes niemand sagen. Einmal mehr fehlen in der föderalistischen Schweiz brauchbare Steuerstatistiken. Ungewiss sind vor allem die mittelfristigen Auswirkungen, zumal es noch nie eine globale Reform wie diese gegeben hat.

Lob für Ueli Maurer

Auch für die ersten Jahre muss sich der Bundesrat mit vorsichtigen Schätzungen behelfen: Er stellt Mehreinnahmen von 1 bis 2,5 Milliarden Franken im Jahr in Aussicht. Linke Steuerpolitiker mögen das nicht so recht glauben. Sie argwöhnen, Finanzminister Ueli Maurer lasse seine Leute absichtlich tiefstapeln und die Zahlen kleinrechnen, um keine Begehrlichkeiten aufkommen zu lassen. Gern zitieren sie Studien, die auf grössere Summen kamen. Das «EU Tax Observatory» etwa sagt der Schweiz Mehreinnahmen von 6 bis 7,5 Milliarden Euro voraus.

Doch falls die SP gehofft hatte, ihre eigene Studie werde diese Sichtweise stärken, sieht sie sich nun getäuscht: Das Büro BSS bezeichnet die hohen Zahlen als «unplausibel» und hält fest, die zugrunde liegenden Daten seien fehlerhaft. Stattdessen stellen die Autoren dem unter rot-grünem Generalverdacht stehenden Departement Maurer ein gutes Zeugnis aus. Dessen Fachleute haben demnach aus der schlechten Datenlage das Bestmögliche gemacht.

Tatsächlich kommt das Büro BSS mit seinen eigenen Berechnungen auf ein Ergebnis, das sogar eher im unteren Bereich der Bundesschätzung liegt: Die neue Studie veranschlagt die kurzfristigen Mehreinnahmen auf etwa 1,6 Milliarden Franken im Jahr. Der Co-Präsident der SP, der Nationalrat Cédric Wermuth, verhehlte nicht, dass man sich in der Partei höhere Zahlen gewünscht hätte. Er wies auf die Unabhängigkeit der Autoren hin und ergänzte, es sei gut, dass diese Frage nun geklärt sei. Auch so wird es noch genug zu streiten geben.

Zug allein auf weiter Flur

Zur vermutlich grössten Streitfrage – der Verteilung der Gelder auf die einzelnen Kantone – liefert die SP-Studie erstmals konkrete Zahlen. Zumindest hier dürften die Hoffnungen der Auftraggeber erfüllt worden sein: Die Schätzungen sind Wasser auf die Mühlen der SP, die seit langem eine gleichmässigere Verteilung der Mehreinnahmen verlangt. Bis anhin ist geplant, dass ein Viertel der Einnahmen an den Bund geht und der Rest bei den jeweiligen Kantonen bleibt. Dies würde laut der Studie wegen der unterschiedlichen Betroffenheit der Kantone zu einer stark ungleichen Verteilung führen: Zug und Basel-Stadt hätten sehr hohe Mehrerträge, während andere Kantone mehr oder weniger leer ausgingen.

Konkret: Der Kanton Zug könnte laut Studie mit etwa 1900 Franken pro Einwohner rechnen, in Basel wären es 1400 Franken. Dahinter folgt mit grossem Abstand der Aargau mit 250 Franken. Über die Hälfte der Kantone müsste sich derweil mit 0 bis 50 Franken abfinden. Hilfreich ist ein Vergleich der voraussichtlichen Mehreinnahmen der einzelnen Kantone mit ihren gesamten Einnahmen. Hier steht ebenfalls Zug allein auf weiter Flur: Der Kanton hätte dank der Reform auf einen Schlag 12 Prozent mehr Geld zur Verfügung als heute. In Basel sind es 5,3 Prozent und im Aargau 2,6. Bei den anderen Kantonen schwanken die Anteile zwischen 0 und 1,7 Prozent.

Nicht eingerechnet sind hier die Effekte des Finanzausgleichs, der die Unterschiede im Nachhinein reduzieren wird. Der SP genügt das nicht. Sie verlangt einen anderen Mechanismus für die Verteilung, will sich zurzeit aber noch nicht auf einen klaren Vorschlag festlegen. Denkbar ist aus ihrer Sicht, dass der Bund einen grösseren Teil der Gelder erhält. Für die SP kommt aber auch ein «Deckel» infrage: Man könnte den Anteil der einzelnen Kantone auf einen Betrag von beispielsweise 300 Franken pro Einwohner festlegen, was die Unterschiede massiv nivellieren würde.

Doch würden sich die Zuger und Basler einen solchen Übergriff einfach so gefallen lassen? Sie könnten sich veranlasst sehen, die Reform zu unterlaufen. Dazu müssten sie die Steuerbelastung der fraglichen Firmen mit einer gezielten Erhöhung der kantonalen Steuern so weit anheben, dass sie die Vorgaben der OECD ohne Zutun des Bundes erfüllen. Falls das gelingt, was weder politisch noch rechtlich einfach sein dürfte, bliebe das ganze Geld bei ihnen.

SP hat gute Chancen im Bundeshaus

Für einen harten Verteilkampf ist gesorgt, und die Chancen der SP im Parlament stehen nicht schlecht. Die Mehrheit der Kantone würde von ihren Plänen profitieren. Hinzu kommt, dass eine Mitte-links-Allianz im Bundeshaus dringend Geld braucht, weil sie mit Verweis auf die Teuerung und die steigenden Gesundheitsausgaben einen kostspieligen Sozialausbau plant. SP, Mitte und Grüne wollen die Verbilligung der Krankenkassenprämien ausbauen und eine ausserordentliche Erhöhung der Renten (AHV, IV, Ergänzungsleistungen) finanzieren. Derlei Wohltaten lassen sich leichter bezahlen, wenn das Bundesbudget mit einem höheren Anteil am «OECD-Steuerkuchen» scheinbar schmerzlos um ein paar hundert Millionen aufgestockt werden kann.

Die Frage ist nur, ob es klug wäre, das Geld auf diese Weise einzusetzen. Widerspruch kommt nicht nur von den stark betroffenen Kantonen, sondern auch von Avenir Suisse mit der neuen Analyse. Die Autoren sprechen sich im Gegenteil dafür aus, die Mehreinnahmen vollständig in den jeweiligen Kantonen zu belassen und keinen Bundesanteil vorzusehen. So hatte dies ursprünglich auch der Bundesrat geplant.

Avenir Suisse warnt vor «Schönwetterlösung»

Dahinter steht, vereinfacht gesagt, diese Überlegung: Die Kantone mit den höchsten Mehreinnahmen sind auch diejenigen, deren relative Standortattraktivität durch die Reform am stärksten beeinträchtigt wird. Folglich sollten sie das Geld behalten können, damit sie ihre Standortfaktoren anderweitig verbessern können – sei es mit einer stärkeren staatlichen Förderung der Forschung, mit einem Ausbau der Kinderbetreuung oder mit Steuersenkungen.

Avenir Suisse warnt die Politik vor einer «Schönwetterlösung», die auf allzu optimistischen Annahmen basiert. Gleichzeitig spricht sich die Denkfabrik gegen «staatliche Kompensationsprogramme» aus. Es dürfe keine spezifische Unterstützung von Firmen, Branchen oder Technologien geben. Beim Ausbau der steuerlichen Forschungsförderung spricht sich Avenir Suisse ebenfalls für Zurückhaltung aus.

Viel Zeit für Diskussionen bleibt nicht mehr. Im September kommt die Vorlage in den Ständerat, bereits im Juni 2023 ist die Volksabstimmung geplant.

Fabian Schäfer, Bern, «Neue Zürcher Zeitung»

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