Fachkräftemangel: KMU haben es in Randregionen besonders schwer Lehrlinge gibt es kaum noch, auch Grenzgänger und fleissige Bauernsöhne sind rar geworden. Im Aargauischen entlang des Rheins kämpfen Gewerbebetriebe mit Personallücken. Hinzu kommt, dass Kraftwerke und Chemie einen Wettbewerbsvorteil haben. Sie können sich hohe Löhne leisten.

Lehrlinge gibt es kaum noch, auch Grenzgänger und fleissige Bauernsöhne sind rar geworden. Im Aargauischen entlang des Rheins kämpfen Gewerbebetriebe mit Personallücken. Hinzu kommt, dass Kraftwerke und Chemie einen Wettbewerbsvorteil haben. Sie können sich hohe Löhne leisten.

Das Bauunternehmen Meier Söhne Knecht in Schwaderloch hat eine ganze Reihe von Vakanzen. Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ

Personal ist fast überall und in allen Branchen der Schweiz knapp. Doch vielleicht liegt es an der peripheren Lage, dass zwischen Laufenburg und Leibstadt entlang der Kantonsstrasse besonders viele Schilder mit dem Hinweis «Wir suchen…» zu finden sind. Nach Basel sind es mit dem Auto knapp 50 Kilometer, nach Zürich knapp 60.

Junge wollen ins Gymnasium

Wer in diesem dünn besiedelten Landstrich entlang des Rheins Mitarbeiter sucht, hat es besonders schwer. Vor allem Betriebe aus gewerblich-industriellen Sektoren wie dem Bau oder der Metallverarbeitung finden oft nur noch mit grosser Mühe Fachkräfte. Handwerkliche Tätigkeiten sind besonders unter Jungen nicht mehr erste Wahl.

Auch im Kanton Aargau übt das Gymnasium auf hellere Köpfe und deren Eltern eine wachsende Anziehungskraft aus. An die klügsten und geschicktesten Jugendlichen sei es immer schwieriger heranzukommen, klagen Patrons und deren Kaderangestellte im Gespräch.

Der angehende Bauführer Joël Bühler steht noch am Anfang seiner Karriere und hat sich bewusst für den nicht gymnasialen Weg entschieden. Auch er spürt in seinem Betrieb, wie schwierig die Rekrutierung insbesondere von Nachwuchskräften geworden ist. Bei der Niederlassung der Baufirma Meier Söhne Knecht, für die der junge Aargauer in Schwaderloch arbeitet, ist auf einer Tafel eine ganze Reihe offener Stellen ausgeschrieben: «Wir suchen Baggerführer, Walzenführer, Bauführer, Verkehrswegbauer Lehrling, Recyclist Lehrling, Polier Tiefbau.»

«Bauberufe sind nicht mehr so interessant», sagt Bühler schulterzuckend. «Alle wollen an die Kanti oder wollen das KV machen.» Diese Einschätzung bestätigt Jörg Langheim, Geschäftsführer des Hobelwerks Balteschwiler in Laufenburg. Seine kaufmännischen Lehrstellen könne der Betrieb noch problemlos besetzen, doch fehle es ihm zunehmend an Fachkräften in der Produktion sowie insbesondere für die Planung und Umsetzung von Projekten mit Architekten und Bauherren.

Lohngefälle gegenüber Deutschland schwindet

Deutschland befindet sich zwar direkt auf der anderen Seite des Rheins, doch sind die Zeiten, als Deutsche scharenweise zum Arbeiten vom Schwarzwald in die Schweiz pendelten, offenbar schon länger vorbei. «Das Lohngefälle zwischen der Schweiz und dem angrenzenden Deutschland ist längst nicht mehr das, was es einmal war», sagt Langheim, der selber Deutscher ist.

Unter den rund 100 Beschäftigten, die für das über 220-jährige Traditionsunternehmen arbeiten, befinden sich nur noch wenige Grenzgänger. Auch bei Meier Söhne Knecht ist ihre Zahl deutlich gesunken. Meist handelt es sich um langjährige Mitarbeiter. Junge Leute mit Wohnsitz in Süddeutschland scheinen aber nicht mehr auf dem Bau in der Schweiz arbeiten zu gehen.

Früher profitierten Bauunternehmen im Zurzibiet, wie die Region ab Schwaderloch rheinaufwärts Richtung Koblenz und Kaiserstuhl genannt wird, wie in anderen ländlichen Gegenden der Schweiz davon, dass es viele Bauernfamilien gab. Der Nachwuchs sei körperliche Arbeit gewohnt gewesen und habe gerne auf dem Bau gearbeitet, sagt Bühler. «Doch wie viele Bauern leben noch in der Schweiz?»

In den Hochkonjunkturjahren, als viele Südeuropäer in die Schweiz emigrierten, konnte der Mangel noch kompensiert werden. Besonders Italiener und später Portugiesen waren auf dem Bau gefragte Leute. Ihre Kinder und Enkelkinder wollen aber auch nicht mehr die Maurerkelle schwingen oder Bagger fahren. Sie ziehen als Arbeitsort das Büro vor und betrachten dies, wie Bühler anmerkt, «als sozialen Aufstieg». Wer könne es ihnen verargen, alteingesessene Schweizer würden schliesslich nicht anders denken.

Flüchtlinge als neue Nachwuchskräfte

Doch Not macht bekanntlich erfinderisch. Bei der Baufirma in Schwaderloch, die in Brugg über eine zweite Niederlassung verfügt, ist man dazu übergegangen, Flüchtlinge als Strassenbauer auszubilden. Ein junger Afghane und ein junger Iraker haben jüngst erfolgreich die Lehre abgeschlossen. Beide hatten vor dem offiziellen Lehrbeginn ein Jahr lang probeweise für den Betrieb gearbeitet und zur selben Zeit Deutsch gebüffelt.

Ein gelernter Strassenbauer verdient heute mit drei Jahren Berufserfahrung 5700 Franken pro Monat. Wer geschickt verhandle und seine Arbeit gut mache, könne so viel auch schon unmittelbar nach seinem Lehrabschluss herausholen, ist von Bauleuten zu erfahren.

Die Arbeit auf dem Bau ist mit Strapazen verbunden, vor allem im Hochsommer und im Winter. Doch Berufsleuten in dieser Branche winken vielfältige Aufstiegschancen, die sich finanziell rasch bezahlt machen. So kann ein Vorarbeiter, wie Bühler vorrechnet, mit mindestens 6300, ein Polier mit minimal 7000 und ein Bauführer mit 8000 Franken und mehr Lohn pro Monat rechnen.

Prämie für Arbeiter

Dass sich Arbeit mit den Händen lohnt, versucht auch die Firma Jehle in Etzgen zu beweisen. Der Familienbetrieb mit rund 170 Angestellten ist im Bereich der Stanz- und Umformtechnik tätig. «Bei uns kann ein Arbeiter heute mehr verdienen als jemand im Büro», sagt der Geschäftsführer Raphael Jehle. «Wir haben das in den letzten Jahren umgedreht.»

Zurzeit sind bei Jehle sieben Stellen unbesetzt. «Wir suchen (m/w) Werkzeugmacher, Stanzer/Mechaniker», steht auf dem Schild der Firma am Strassenrand . Die Rekrutierung von Fachkräften bezeichnet Jehle als «schwierig» bis «sehr schwierig».

Der metallverarbeitende Betrieb bildet selbst pro Jahr drei oder vier Lehrlinge aus, doch täten das viel zu wenige Unternehmen, sagt der Firmenchef. «Früher gab es viel mehr Ausbildungsbetriebe und ergo mehr Lehrabgänger.»

«Es ist eine Katastrophe»

Ebenfalls in Schwaderloch hat die Stahlbaufirma Fixträger ihr Zuhause. Der Rasen rund um die Fabrikationshalle ist säuberlich geschnitten. Neben einer Eisenskulptur, die einen Steinbock zeigt und dem Unternehmen zu seinem 50. Geburtstag 2003 geschenkt wurde, verkündet ein Schild: «Wir suchen Monteure, Schlosser.»

Im Bürotrakt des Betriebs, der 60 Mitarbeiter beschäftigt, wirkt alles etwas in die Jahre gekommen. Der Seniorchef René Läuchli, der erst jetzt mit 74 kürzertreten will, hat eine dezidierte Meinung zum Fachkräftemangel: «Es ist eine Katastrophe.»

Ein Trumpf, den die Firma früher ziehen konnte, sticht nicht mehr. Läuchli hatte vor Jahren eigens ein Mehrfamilienhaus gekauft, um den Beschäftigten zu attraktiven Konditionen betriebseigene Wohnungen anzubieten.. Doch scheint sich damit heutzutage kaum jemand mehr anlocken zu lassen. «Es wurden in der Region so viele Wohnungen gebaut», konstatiert der Patron, der die Geschäftsführung inzwischen an seinen Sohn übergeben hat.

Auch die Sponsoringaktivitäten der Firma – Fixträger unterstützt seit Jahren den in der Region allseits bekannten Radfahrerverein (RV) Helvetia Sulz – garantieren keinen Erfolg bei der Personalrekrutierung. Radsportbegeisterte suchen nicht automatisch eine Beschäftigung im Stahlbau, obschon das Unternehmen sich dies mit seinem Engagement immer ein wenig versprochen hat, wie Läuchli freimütig erklärt.

Basler Chemie zahlt mehr

Das Dorf Sulz liegt ähnlich wie das benachbarte Schwaderloch und die Gemeinde Etzgen im Einzugsgebiet des Fricktals, das für seine grossen Chemiefabriken bekannt ist. In Sisseln und in Stein sowie in angrenzenden weiteren Gemeinden beschäftigen die vier internationalen Branchenschwergewichte Syngenta, DSM, Lonza und BASF zusammen mit dem Pharmariesen Novartis mehrere tausend Mitarbeiter.

«Mit der Chemie können wir nicht mithalten – weder bei den Löhnen noch bei der beruflichen Vorsorge und den übrigen Sozial- und Nebenleistungen», sagt Läuchli. Genauso schlecht ist der Gewerbler auf das Kernkraftwerk Leibstadt (KKL) zu sprechen. Verschiedentlich hat man bei Fixträger ähnlich wie in anderen KMU der Gegend die Erfahrung gemacht, dass gute Leute entweder von einem der Chemiebetriebe oder vom Atomkraftwerk abgeworben wurden.

Arbeiten im Kernkraftwerk

Die Gemeinde Leibstadt grenzt direkt an Schwaderloch, und der Kühlturm des Kraftwerks ist von überall zu sehen, auch vom Gelände der Stahlbaufirma. Schichtarbeiter des KKL würden ein «wunderbares Leben» führen, so ist Läuchli überzeugt.

Das Kraftwerk zählt über 500 Mitarbeiter. Es scheint, anders als die meisten KMU in der Gegend, auch auf Grenzgänger nach wie vor eine grosse Anziehungskraft auszuüben. 28 Prozent der Mitarbeiter überqueren auf dem Weg zwischen ihrem Wohn- und ihrem Arbeitsort täglich die Grenze. In einer Unternehmensbroschüre aus dem Jahr 2011 wurde der Grenzgängeranteil im KKL mit «über 20 Prozent» beziffert.

Der Kraftwerkbetreiber, dessen Produktion rund 14 Prozent des in der Schweiz verbrauchten Stroms gleichkommt, betont gerne, wie verwurzelt er in der Region ist. Eine klare Mehrheit der Mitarbeiter komme aus der engeren Umgebung, dies- und jenseits des Rheins, sagt der Firmensprecher Thomas Gerlach.

Über Saläre will das KKL nicht sprechen. «Wir bieten marktgerechte Löhne», lässt das Unternehmen floskelhaft verlauten. Dazu gesellten sich eine angemessene Infrastruktur wie moderne Arbeitsplätze, ein qualitativ gutes Personalrestaurant und Parkplätze – «an unserem zentrumsfernen Standort», wie Gerlach ergänzt.

Loyale Belegschaft

Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit unter den Mitarbeitern wird vom KKL mit 16 Jahren angegeben. Das zeugt von einer grossen Loyalität, wobei es für viele Beschäftigte mit der Zeit auch nicht mehr so einfach ist, den Arbeitgeber zu wechseln. Die Arbeit in einem Kernkraftwerk bringt gemeinhin einen hohen Grad an Spezialisierung mit sich.

Dennoch ist es auch für den Kraftwerkbetreiber anspruchsvoller geworden, Fachkräfte zu rekrutieren. Es daure heute meist länger als vor einigen Jahren, bis eine Stelle passend besetzt werden könne, sagt Gerlach. Abhilfe erhofft sich das Unternehmen von einer Rekrutierungskampagne, die diesen Sommer lanciert worden ist. «Wir suchen stabile Menschen für stabile Jobs», lautet ihr Motto. Neben dem KKL sind daran auch das Kernkraftwerk Beznau und die Zwilag beteiligt, die das Zwischenlager für radioaktive Abfälle in Würenlingen betreibt.

Mit Schildern am Strassenrand macht das KKL bei seiner Personalsuche nicht auf sich aufmerksam. Auch rund um die Chemiewerke im Fricktal sind solche nicht zu sehen.

Dominik Feldges, Leibstadt, «Neue Zürcher Zeitung»

Das könnte Sie auch interessieren: