Der Anwalt heiratet nicht die Sekretärin, sondern die Chefärztin: neue Erkenntnisse zur Ökonomie der Partnerwahl Wenn gutverdienende Partner heiraten, steigt ihr Haushaltseinkommen – zugleich aber auch ihre steuerliche Belastung. Was heisst das für die Debatte zur Abschaffung der Heiratsstrafe?

Wenn gutverdienende Partner heiraten, steigt ihr Haushaltseinkommen – zugleich aber auch ihre steuerliche Belastung. Was heisst das für die Debatte zur Abschaffung der Heiratsstrafe?

Mit der Ehe gehen oft auch finanzielle Folgen einher. (Samantha Gades/ Unsplash)

Der Mai markiert bekanntlich den Beginn der Hochzeitssaison. Im vergangenen Jahr gaben sich in der Schweiz über 36 000 Paare das Jawort. Auch dieses Jahr dürfte wieder so manches Paar vor den Traualtar treten. Hochzeiten sind eine gute Gelegenheit für ökonomische Überlegungen. Denn die Partnerwahl hat neben persönlichen auch gesamtwirtschaftliche Konsequenzen.

Heirat unter seinesgleichen erhöht die Ungleichheit

Steuerdaten zeigen deutlich: In der Partnerwahl gilt das Prinzip «Gleich und Gleich gesellt sich gern». Und das besonders an den Rändern der Einkommensverteilung. Reiche heiraten Reiche: Ein Spitzenverdiener heiratet mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Spitzenverdienerin – 15-mal so häufig, als es dem Zufall nach passieren müsste. Der Anwalt heiratet eben nicht die Sekretärin, sondern die Chefärztin – und gemeinsam legen sie zwei Spitzengehälter in den Ehetopf.

Das hat spürbare Auswirkungen auf die Einkommensungleichheit. In einer Studie habe ich gemeinsam mit Christoph Schaltegger und Michele Salvi mithilfe von Steuerdaten Paare ein Jahr vor ihrer Heirat untersucht und gezeigt, dass die Partnerwahl starke Verteilungseffekte hat.

Würden Ehen per Los geschlossen, wäre die Einkommensungleichheit in der Schweiz deutlich geringer. Der Gini-Wert läge um elf Prozent tiefer. Mit anderen Worten: Herr und Frau Schweizer nehmen durch ihre Partnerwahl eine höhere Ungleichheit in Kauf.

Da die selektive Partnerwahl bei den Gutverdienerinnen und Gutverdienern besonders ausgeprägt ist, ergibt sich dort auch die stärkste Umverteilungswirkung. Um deren Bedeutung einzuordnen, haben wir untersucht, inwiefern das progressive Steuersystem diese Ungleichheit abfedert. Aufgrund der Progression tragen gerade gutverdienende Paare zur Umverteilung zwischen Reich und Arm bei. Will heissen: Während die selektive Partnerwahl die Ungleichheit erhöht, wirkt das progressive Einkommenssteuersystem ihr entgegen. Der Vergleich zeigt jedoch etwas Überraschendes: Bei den oberen Einkommen – bis hin zu den obersten fünf Prozent – verstärkt die Partnerwahl die Ungleichheit stärker, als die Steuerprogression sie ausgleichen kann. Erst bei den allerreichsten Haushalten gelingt es dem Steuersystem, diesen Effekt komplett auszugleichen. Das heisst: Wer mit einem ähnlich verdienenden Partner zusammenlebt, schwächt einen Teil der steuerlichen Umverteilung wieder ab.

Heiratsstrafe für Paare, die gleich gut verdienen

Solche Verteilungsfragen sind auch für die künftige Ausgestaltung des Steuersystems relevant. Seit Jahren wird in der Schweiz über die Abschaffung der Heiratsstrafe und die Einführung der Individualbesteuerung diskutiert – letztmals diese Woche im Nationalrat. Aus ökonomischer Sicht gibt es gute Gründe für einen Systemwechsel, etwa stärkere Arbeitsanreize für Zweitverdienerinnen.

Aus verteilungspolitischer Sicht hingegen ist die Lage weniger eindeutig: Am stärksten würden von der Abschaffung der Heiratsstrafe ausgerechnet jene Paare profitieren, bei denen beide Partner ähnlich hohe Einkommen erzielen – also jene, die durch ihre selektive Partnerwahl zur Ungleichheit beitragen.

Zudem zeigt die Literatur, dass ein Systemwechsel von einer gemeinsamen Besteuerung hin zu einer Individualbesteuerung die selektive Partnerwahl noch verstärken und damit die Ungleichheit weiter verschärfen könnte.

Laut dem italienischen Ökonomen Giacomo Corneo leidet bei einem Wechsel von einer gemeinsamen Besteuerung hin zu einer Individualbesteuerung womöglich sogar die Qualität der Ehen: Verbindungen zwischen unterschiedlichen Einkommensgruppen, die emotional besonders erfüllend sein könnten, kämen seltener zustande – weil sich die Heirat unter Einkommensgleichen durch den Wegfall der Heiratsstrafe noch stärker lohnt.

Klar ist: Jede Steuer belastet die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und mindert die Erwerbsanreize. Und ebenso klar ist: Bevor Einkommen verteilt werden kann, muss es erwirtschaftet werden. Daraus ergibt sich ein fundamentaler Zielkonflikt zwischen Effizienz und Verteilung – und die Abschaffung der Heiratsstrafe bildet da keine Ausnahme. Deshalb spricht grundsätzlich viel für die Einführung der Individualbesteuerung.

Gleichzeitig hat die bestehende Regelung aus verteilungspolitischer Sicht eine bemerkenswerte Treffsicherheit. Sie belastet vor allem sogenannte «Power Couples», die besonders viel zum Steueraufkommen beitragen – das zeigt: Einfache Lösungen gibt es in Zeiten angespannter Staatsfinanzen nicht.

Melanie Häner-Müller, «Neue Zürcher Zeitung»

Das könnte Sie auch interessieren: