Mehr Freizeit, mehr Ferien und trotzdem mehr Absenzen: Wer in der Schweiz einen Job hat, arbeitet zunehmend weniger Mitarbeitende stellen bei ihren Arbeitgebern Forderungen – und bekommen oft, was sie wollen. Das geht aus der neusten Arbeitsvolumenstatistik des Bundes hervor.

Mitarbeitende stellen bei ihren Arbeitgebern Forderungen – und bekommen oft, was sie wollen. Das geht aus der neusten Arbeitsvolumenstatistik des Bundes hervor.

Viele Arbeitnehmer wünschen sich mehr Zeit für Freizeitaktivitäten wie das «Böötlen» auf der Limmat.(Karin Hofer / NZZ)

8,117 Milliarden Stunden haben die Schweizer im Jahr 2024 gearbeitet. Das klingt nach viel. Aber schaut man genauer hin, zeigt sich, dass die jährliche Arbeitszeit pro Stelle um 0,7 Prozent abgenommen hat. Weil gleichzeitig die Anzahl Jobs um 0,8 Prozent zugenommen hat, ergibt sich immer noch ein Plus von 0,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das geht aus der Arbeitsvolumenstatistik des Bundes hervor.

Die Arbeitsstunden verteilen sich also auf mehr Erwerbstätige. Auch wenn die Arbeitnehmer gesamthaft mehr Stunden gearbeitet haben, hat jede einzelne Person weniger Zeit am Arbeitsplatz verbracht. Betrachtet man den Zeitraum zwischen 2019 und 2024, wird deutlich, dass die wöchentliche Arbeitszeit von Mitarbeitenden mit einem 100-Prozent-Pensum um 50 Minuten zurückgegangen ist. Die durchschnittliche Arbeitszeit beträgt heute 40 Stunden und 4 Minuten.

Das hängt damit zusammen, dass sich in diesem Zeitraum die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit reduziert hat und weniger Überstunden geleistet wurden. Zudem stieg die Zahl der Ferienwochen um 0,3 Tage auf 5,2 Wochen pro Jahr.

Starker Arbeitnehmermarkt

Die Arbeitszeit sinkt bereits seit den 1950er Jahren kontinuierlich. Aber heute streben Arbeitnehmer die perfekte Mischung zwischen Arbeit, Familie und Freizeit an. Und es gelingt ihnen immer besser, ihre Forderungen gegenüber den Arbeitgebern durchzusetzen. Patrick Chuard-Keller ist Chefökonom beim Arbeitgeberverband. Er sagt: «Wegen des Arbeitskräftemangels verfügen die Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern über mehr Verhandlungsmacht.» Das zeige, dass die Marktwirtschaft am Arbeitsmarkt funktioniere. Eine Viertagewoche, wie sie die Gewerkschaften forderten, sei also nicht nötig.

Obwohl die Margen zum Beispiel im Gesundheitssektor eher niedrig sind und viele Spitäler ums Überleben kämpfen, haben einige sogenannte Flex-Modelle für das Pflegepersonal eingeführt, um sich als attraktive Arbeitgeber zu positionieren. Wer bei der Dienstplanung maximal flexibel ist, bekommt zusätzliches Geld. Wer feste Arbeitszeiten will und keine Nachtdienste leisten möchte, kann das haben und bekommt trotzdem den vereinbarten Grundlohn.

Auch in handwerklichen Berufen wie zum Beispiel in der Montage oder der Logistik herrscht Arbeitskräftemangel. Ganz akut ist er aber noch nicht, sonst würde sich die Gesamtsumme der Arbeitsstunden reduzieren, weil die Unternehmen kein Personal mehr fänden. «Bis jetzt konnte das die Schweiz mittels Zuwanderung und einer Erhöhung der Erwerbstätigkeit verhindern», sagt Josef Zweimüller, Wirtschaftsprofessor an der Universität Zürich.

Zudem fiel das Wirtschaftswachstum der Schweiz im Jahr 2024 unterdurchschnittlich aus. Und auch dieses Jahr rechnen die UBS-Ökonomen lediglich mit einem realen BIP-Wachstum von 1 Prozent. Das dämpft die Auswirkungen des Arbeitskräftemangel aber nur temporär. Denn das Problem ist strukturell bedingt. «Weil es immer mehr ältere Menschen gibt und die arbeitende Bevölkerung gleichzeitig abnimmt, werden die Arbeitnehmer auch künftig höhere Forderungen bei den Löhnen und den Arbeitsbedingungen stellen können», sagt Chuard-Keller.

Teilzeitarbeit nimmt zu

Um den Arbeitskräftemangel abzufedern, müssten mehr Menschen in Lohn und Brot gebracht werden. Teilweise passiert das bereits. So verlassen Frauen den Arbeitsmarkt entweder gar nicht mehr, wenn sie Kinder bekommen, oder sie treten zu einem späteren Zeitpunkt wieder ein. 60 Prozent der Mütter in der Schweiz arbeiten in Teilzeitpensen, 18 Prozent arbeiten 90 Prozent oder Vollzeit.

Weiteres Potenzial besteht bei Arbeitnehmern, die über das Pensionsalter hinaus weiterhin gerne Teilzeit arbeiten würden. Dazu gibt es derzeit aber kaum Anreize. Wer gleichzeitig Lohn und Rente bezieht, bezahlt mehr Steuern.

Durch die Teilzeitarbeit erhöht sich die Anzahl der Erwerbstätigen und somit auch die Summe der geleisteten Arbeitsstunden. Teilt man aber die Arbeitsstunden durch die Anzahl Stellen, ergibt das pro Job weniger Stunden. Allerdings steigt die Arbeitszeit pro Haushalt.

Im internationalen Vergleich gehört die Schweiz mit 22 Stunden und 47 Minuten zudem zu den Ländern mit der längsten wöchentlichen Arbeitszeit. Dieser Wert ergibt sich, wenn man das Total der geleisteten Wochenarbeitsstunden auf alle Menschen in der Schweiz, die 15 Jahre alt und älter sind, verteilt. Zum Vergleich: Die längste Arbeitszeit verzeichnet Island mit 25 Stunden und 55 Minuten, die kürzeste Italien mit 16 Stunden und 46 Minuten.

«Die Schweiz schöpft ihr Arbeitskräftepotenzial also gut aus», sagt Zweimüller. Das liege auch daran, dass Arbeitnehmer über 55 Jahre gut in den Arbeitsmarkt integriert seien. In Ländern wie Österreich, Frankreich und Belgien, wo es viele Frühpensionierungen gebe, sei dieser Wert niedriger.

Mehr Absenzen

Besorgniserregend ist, dass trotz weniger vertraglich vereinbarten Arbeitsstunden, weniger Überzeit und mehr Ferien die Absenzen ansteigen. Heute gibt es viel mehr Bürojobs als früher. Das Risiko für Arbeitsunfälle müsste also niedriger sein als bei handwerklichen Berufen. Trotzdem stieg die durchschnittliche Anzahl gesundheitsbedingter Absenzen zwischen 2023 und 2024 von 7,6 auf 8,5 Tage pro Arbeitsstelle. Somit liegt die Absenzenquote bis heute deutlich höher als vor der Corona-Pandemie.

Die Dauer der gesundheitsbedingten Absenzen hängt stark vom Beruf und von der Position im Unternehmen ab. Mit 5,7 Tagen fallen bei den Führungskräften sowie wissenschaftlichen Berufen am wenigsten Absenzen an. Bei Hilfskräften wurden hingegen Absenzen von 13,5 Tagen verzeichnet.

Isabelle Wachter, «Neue Zürcher Zeitung»

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