Komme ich aus dem Vertrag wieder raus? Und wie? Aktenzeichen «KMU_today_011»: Die Kolumne von André Brunschweiler, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei LALIVE in Zürich, gibt Antworten auf juristische Fragen, die Schweizer KMU beschäftigen können beziehungsweise beschäftigen sollten.
Aktenzeichen «KMU_today_011»: Die Kolumne von André Brunschweiler, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei LALIVE in Zürich, gibt Antworten auf juristische Fragen, die Schweizer KMU beschäftigen können beziehungsweise beschäftigen sollten.

Welches Unternehmen kennt das nicht: Plötzlich flattert eine Rechnung über mehrere tausend Franken ins Haus – für eine Dienstleistung, die man eigentlich nicht mehr braucht oder gar nie gebraucht hat, beispielsweise einen Eintrag in einem Branchenverzeichnis.
Der Dienstleister argumentiert, der Vertrag, den man vor fünf Jahren bei der Firmengründung abgeschlossen und längst vergessen hat, habe sich mangels Kündigung um weitere fünf Jahre verlängert – deshalb nun die Rechnung. Kommt man da wieder raus? Und wie?
Pacta sunt servanda – Verträge sind einzuhalten
Grundsätzlich gilt: Verträge sind einzuhalten – auch dann, wenn sie unbequem werden. Dieser Grundsatz schafft Rechtssicherheit und Berechenbarkeit im Geschäftsverkehr. Verträge enthalten typischerweise Regelungen zu Laufzeit, automatischen Verlängerungen und Beendigungsmodalitäten, wie Kündigungsfristen und -termine. Solche Vereinbarungen sind grundsätzlich bindend – inklusive einer automatischen Vertragsverlängerung.
Doch kein Grundsatz ohne Ausnahme. Das Schweizer Recht bietet für bestimmte Verträge zwingende Beendigungsmöglichkeiten, die unabhängig von den vertraglichen Abreden gelten. Dies betrifft vor allem Verträge, die als Auftrag qualifizieren.
Jederzeitiges Kündigungsrecht beim Auftrag
Das Obligationenrecht sieht bei Aufträgen ein jederzeitiges Kündigungsrecht vor: «Der Auftrag kann von jedem Teil jederzeit widerrufen oder gekündigt werden.»
Ein Auftrag kann also von jeder Partei jederzeit beendet werden – ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist oder eines Kündigungstermins. Allerdings darf eine Kündigung nicht zur Unzeit erfolgen. Beispielsweise sollte man einen Auftrag nicht erst wenige Tage vor einem wichtigen Termin oder einer Frist kündigen. Auch in einem solchen Fall bleibt die Kündigung zwar wirksam, jedoch muss die kündigende Partei Schadenersatz leisten.
Auch wenn «Verträge einzuhalten sind», lässt das Schweizer Recht Ausnahmen zu – namentlich bei Aufträgen.
Ob ein Vertrag unter das Auftragsrecht fällt, hängt von den Umständen ab. Grundsätzlich handelt es sich immer dann um einen Auftrag, wenn sich eine beauftragte Person verpflichtet, ein Geschäft oder eine Dienstleistung im Interesse des Auftraggebers sorgfältig auszuführen. Diese Konstellation kommt in der Praxis sehr häufig vor. Abzugrenzen ist der Auftrag insbesondere vom Werkvertrag, bei dem ein konkreter Arbeitserfolg – ein Resultat – geschuldet ist, statt nur ein sorgfältiges Tätigwerden. Vom Arbeitsvertrag unterscheidet sich der Auftrag durch die fehlende Unterordnung und Eingliederung des Dienstleisters in den Betrieb des Auftraggebers.
Beispiele von Auftragsverhältnissen gibt es viele, auch wenn diese nicht immer so erkennbar und oft auch nicht so betitelt sind: Der Mandatsvertrag mit dem Anwalt, ärztliche Behandlung, Steuerberatung, Treuhandverträge, Vermögensverwaltungen, IT- und sonstige Beratungsverträge, um einige zu nennen.
In der Praxis gibt es zudem häufig Mischformen von Verträgen. Das Bundesgericht hat bestätigt, dass der Grundsatz der jederzeitigen Kündbarkeit auch bei gemischten Verträgen gilt – sofern der auftragstypische Teil überwiegt oder die Anwendung des jederzeitigen Kündigungsrechts als sachgerecht erscheint.
Fazit
Auch wenn «Verträge einzuhalten sind», lässt das Schweizer Recht Ausnahmen zu – namentlich bei Aufträgen. Es lohnt sich also, vor Bezahlung einer Rechnung für künftige unnötige Dienstleistungen zu prüfen, ob der betreffende Dienstleistungsvertrag als Auftrag qualifiziert und damit jederzeit beendet werden kann – selbst wenn darin eine automatische Vertragsverlängerung oder eine lange Vertragsdauer vorgesehen ist.
Eine sorgfältige Prüfung der Kündigungs- und Verlängerungsklauseln im Vertrag sowie der gesetzlichen Vorgaben vor der Unterzeichnung ist jedoch unerlässlich.
Über den Autor

Rechtsanwalt André Brunschweiler ist spezialisiert auf die Beratung und Vertretung von Klienten in (meist strittigen) wirtschaftsrechtlichen Angelegenheiten mit einem Fokus auf Vertrags- und Gesellschaftsrecht, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht sowie Arbeitsrecht. Er ist Deputy Managing Partner bei der Wirtschaftskanzlei Lalive, die von den Standorten in Zürich, Genf und London aus Unternehmen, Behörden sowie Privatpersonen in komplexen, vorwiegend internationalen Sachverhalten und vor allem Streitigkeiten berät.