Der falsche Freund: Wie das HR zum Feindbild der Mitarbeiter wurde Die Personalabteilungen wollen Sinn stiften, Wandel gestalten und Fürsprecher der Belegschaft sein – gleichwohl hat das HR einen schlechten Ruf. Wieso eigentlich?
Die Personalabteilungen wollen Sinn stiften, Wandel gestalten und Fürsprecher der Belegschaft sein – gleichwohl hat das HR einen schlechten Ruf. Wieso eigentlich?

Endlich hört einem jemand zu. Endlich zeigt jemand Interesse an den Sorgen und Nöten. Daran nämlich, dass die Aufgabenlast immer grösser wird. Dass der Chef immer mehr Druck macht. Dass aber gleichzeitig immer weniger Leute da sind, um alles zu erledigen. Und ergo die Arbeitszeiten länger werden.
Die E-Mail vom HR erscheint da wie ein Rettungsanker: In der jährlichen Mitarbeiterumfrage findet man einen Ort, um seinem Ärger Luft zu machen. Die Personalabteilung nimmt die Probleme dankend zur Kenntnis – und unternimmt nichts.
Denn dieselbe Umfrage zeigte auch, dass die Motivation in der Abteilung trotz den Klagen über die gestörte Work-Life-Balance hoch ist. Kein Grund zu handeln also, die Leute springen schon nicht ab. Das HR appelliert an die Eigenverantwortung – und lässt die Mitarbeiter mit dem Eindruck zurück, gegen eine Wand geredet zu haben.
Vom Versprechen zur Ernüchterung
Der Fall bringt auf den Punkt, woran die hehren Absichten der HR-Leute in der Praxis oft scheitern. HR-Vertreter sehen sich als Hoffnungsträger der modernen Arbeitswelt. «People and Culture», «New Work», «Diversity-Management» – mit solchen Schlagworten versuchte sich die Personalabteilung in den vergangenen Jahren als Wegbereiterin des kulturellen Wandels zu etablieren.
HR-Abteilungen erwecken häufig den Eindruck, Fürsprecher der Mitarbeitenden zu sein. Das Drängen auf das Einhalten der Arbeitszeiten, die Nachfrage nach dem Wohlergehen und das Hochhalten einer guten Unternehmenskultur gehören dazu.
Doch was passiert, wenn man ein Problem mit der vorgesetzten Person hat? Etwas blauäugig vermuten Mitarbeiter manchmal, dass das HR auf ihrer Seite stehe. Doch hier liegt ein grundlegendes Missverständnis vor.
Zwischen woke und wirkungslos
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass das Aufgabenprofil der Personalabteilung einst ein ganz anderes war. Es ging um schlichte Dinge mit einem klaren praktischen Nutzen: Löhne auszahlen, Arbeitsverträge verwalten, Ferien- und Krankheitsmeldungen entgegennehmen. Diese Kernaufgaben sind heute weitgehend digitalisiert.
Mit dem Verlust seiner Ursprungsfunktion musste sich das HR eine neue Daseinsberechtigung suchen. Die Folge war eine eindrückliche Ausweitung der Kompetenzen. Es gibt kaum einen Bereich in der modernen Arbeitswelt, in dem die Personaler nicht mitreden wollen: psychische Gesundheit, Führungsentwicklung, interne Kommunikation, Chancengleichheit, Lohntransparenz, körperliche Fitness und natürlich Team-Building.
Natürlich geschieht dies nicht allein aus Eigennutz, das HR geht vielmehr mit dem gesellschaftlichen Wandel mit. Dennoch hinterlässt der Aktivismus bei vielen ein Gefühl von Übergriffigkeit. Wenn das HR die Belegschaft zum Joggen für einen guten Zweck aufruft («Einen Franken pro Kilometer für Unicef!») oder wöchentliche Purpose-Challenges einführt, stellt sich bei vielen Fremdscham ein. Diese moralisch aufgeladene Rolle macht das HR angreifbar. Für viele ist die Abteilung zu einem Symbol eines woken Überbaus geworden: überpädagogisch, unflexibel, weltfremd.
Ausgehend von den USA haben HR-Abteilungen im Zuge der #MeToo- und der Black-Lives-Matter-Bewegung weitgehende Diversitäts- und Gleichstellungsprogramme ins Leben gerufen. Spätestens mit dem Wahlsieg von Donald Trump hat der Wind gedreht. So unbeliebt und wirkungslos die Awareness-Workshops grösstenteils waren: Der abrupte Wechsel hinterliess den Eindruck, dass das Ringen um «cultural change» lediglich ein Trend war. Das verstärkte das Vorurteil, das HR sei ein Fähnchen im Wind.
Man mag dies als eine weitere Irrung der modernen Arbeitswelt abtun, die letztlich ohne Belang ist. Doch so einfach ist es nicht. Denn das HR verfügt über eine beträchtliche Macht gegenüber den Mitarbeitern in einem Unternehmen.
Die Psychologie der Macht
Denn parallel zur Kompetenzausweitung entwickelte die Abteilung in den letzten Jahrzehnten ihre eigenen Methoden und ihr eigenes Instrumentarium. Das HR hat die Arbeitswelt umfassend psychologisiert. Persönlichkeits- und Intelligenztests sowie Potenzialanalysen sind zu einem zentralen Instrument der Personalabteilung geworden. In grösseren Unternehmen gehören sie zum Standardrepertoire bei der Selektion, Qualifizierung und Entwicklung von Bewerbern beziehungsweise Mitarbeitern.
Bei den Getesteten löst das häufig ein Unbehagen aus. «Man wird durchschaubar», sagt Christian Fichter, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Fachhochschule Kalaidos. Viele Menschen hätten das nicht gern, weil sie spürten, dass sie die Kontrolle über ihre Selbstdarstellung ein Stück weit abgäben.
Das HR erhält Informationen über den Menschen, die es sonst nicht hätte. Vielleicht ergibt die Potenzialanalyse, dass jemand nicht das Zeug hat für den nächsten Karriereschritt oder als Führungspersönlichkeit nicht geeignet ist. Oder der Intelligenztest zeigt, dass jemand zwar einen starken Auftritt hat, kognitiv aber früh an Grenzen stösst. Die Betroffenen fühlen sich durchschaut. «Jeder hat etwas zu verbergen», sagt Fichter. Die Tests fördern Schwächen und Schattenseiten gnadenlos zutage.
Fichter sieht trotzdem einen grossen Sinn in solchen Tests – für die Unternehmen. «Das Unternehmen muss sich vor Hochstaplern schützen können. Niemand will jemanden einstellen, der nicht performt.» Auch hier zeigt sich der Widerspruch: Die Tests geben Empathie vor, tatsächlich sind sie aber ein Selektionsinstrument.
Getestete Kandidaten berichten von der Angst, dass das Wissen ausgenutzt werden könnte. «Wer weiss, wie der Mensch funktioniert, weiss auch, wo man drücken muss, um zu bekommen, was man will», sagt Sébastien Simonet von der Unternehmensberatung Nantys, die auch Persönlichkeitstests für Unternehmen durchführt. Missbrauch sei möglich, seines Wissens aber selten.
Problematischer sei, dass viele HR-Abteilungen schlechte und wissenschaftlich nicht fundierte Tests verwendeten. Das Paradebeispiel dafür ist laut Simonet der Myers-Briggs-Typenindikator. Die Menschen würden dabei undifferenziert in Schachteln gepackt, sagt er kritisch. Fichter spricht sarkastisch von «Horoskopen mit Krawatte». Bessere Tests sind hingegen laut Simonet gute Instrumente, um herauszufinden, ob ein Mensch zu einer Aufgabe passt oder nicht. Fichter bestätigt dies: «Diese Tests dienen in erster Linie dazu, dass Person und Position zueinander passen – denn dann ist der Erfolg quasi garantiert. Andernfalls verlieren beide.»