«Man will es allen recht machen und macht alles falsch»: Experten kritisieren neuen Vorschlag des Bundesrats zur Besteuerung von Vorsorgegeldern scharf Kapitalbezüge aus Pensionskassen und Säule 3a sollen höher besteuert werden. Der Bundesrat hat sein Vorhaben leicht angepasst – Vorsorgeexperten sehen trotzdem grosse Nachteile für Sparer.
Kapitalbezüge aus Pensionskassen und Säule 3a sollen höher besteuert werden. Der Bundesrat hat sein Vorhaben leicht angepasst – Vorsorgeexperten sehen trotzdem grosse Nachteile für Sparer.

Der Bundesrat hält weitgehend an den Steuererhöhungen für Kapitalbezüge fest und verunsichert damit Sparer und Vorsorgeexperten.
Am Mittwoch hatte Bundespräsidentin und Finanzministerin Karin Keller-Sutter bekanntgegeben, dass der Bundesrat weiterhin plant, die Steuerprivilegien für als Kapital bezogene Gelder aus Pensionskassen und der Säule 3a einzuschränken.
Kapitalbezüge bis zu einer Höhe von 100 000 Franken sollen aber nicht stärker besteuert werden. Dafür will der Bundesrat sorgen. So soll bei Kapitalbezügen aus der Säule 3a im Vergleich zum geltenden Recht keine Mehrbelastung entstehen. Personen mit hohen Guthaben aus der Säule 3a verteilten diese typischerweise auf mehrere Säule-3a-Konten und -Depots, die sie dann gestaffelt bezögen, teilt die Eidgenössische Steuerverwaltung (EStV) dazu mit.
Trotzdem stossen die Pläne des Bundesrats weiterhin auf harsche Kritik von Vorsorgeexperten.
«Eine halbbatzige Lösung»
Der Berner Vorsorgespezialist Werner C. Hug bezeichnet die neuesten Pläne des Bundesrats als «halbbatzige Lösung» und als «Durcheinander». Daran ändere die geplante Verschonung von Kapitalbezügen unter 100 000 Franken nichts. Mit den Plänen sollten politisch linke Kreise zufriedengestellt werden. Diese sähen die Möglichkeiten, bei der Auszahlung grösserer Kapitalleistungen aus der Vorsorge Steuern zu sparen, kritisch. «So will man es allen recht machen und macht alles falsch», sagt Hug.
Der Vorschlag, die Steuern auf Kapitalbezüge zu erhöhen, ist Teil eines Pakets an Empfehlungen, mit denen der Bundeshaushalt entlastet werden soll. Sie gehen zurück auf eine Expertengruppe unter dem Vorsitz des ehemaligen Direktors der Eidgenössischen Finanzverwaltung, Serge Gaillard.
Fachexperten hätten in der Vernehmlassung das Grundprinzip der steuerlichen Pläne kritisiert, sagt Lukas Müller-Brunner, Direktor des Pensionskassenverbands Asip. Nun versuche der Bundesrat, der Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er an den Steuertarifen herumschraube. Damit verschlimmere er die Probleme möglicherweise noch. Müller-Brunner fordert eine Grundsatzdiskussion dazu, wie man in der Schweiz Renten- und Kapitalbezug künftig besteuern will.
Ihn störe nicht nur der Vorschlag, sondern auch die Art und Weise, wie es zur Diskussion um die Mehrbesteuerung der Vorsorgegelder gekommen sei, sagt Marcel Rumo, Präsident des Vereins Vorsorge Schweiz. «Wir haben aufgrund der demografischen Entwicklung bereits genug Herausforderungen bei der Finanzierung unseres Vorsorgesystems.» Diese Kapitalbezüge mit höheren Steuersätzen zu schmälern, schade dem System als ganzem und verletze das Vertrauen der Vorsorgenehmer zusätzlich. «Bei einem Sparprozess über vierzig Jahre möchten Vorsorgesparer Gewissheit haben, dass die Spielregeln nicht Opfer von steuerpolitischen Opportunitäten werden.»
Viele haben Säule-3a-Töpfe mit mehr als 100 000 Franken
Reto Spring, Präsident des Finanzplaner-Verbands Schweiz, hält die Pläne des Bundesrats für nicht neutral für den Mittelstand. Bei der Pensionskasse seien Auszahlungen von 100 000 Franken und weniger eher die Ausnahme, sagt der Finanzplaner. In der Praxis sehe er auch, dass viele Sparer Säule-3a-Töpfe mit mehr als 100 000 Franken hätten.
Tashi Gumbatshang, Vorsorgespezialist bei Raiffeisen Schweiz, sieht dies ähnlich. «Wenn man als Mittelstand auch Leute meint, welche die Einzahlungen in die Säule 3a konsequent gemacht haben, sind diese insbesondere betroffen», sagt er. Die Pläne des Bundesrats machten die Vorsorge noch komplizierter und verunsicherten die Sparer – und wer sich zu wenig auskenne und zu viel auf ein Säule-3a-Konto einzahle, werde bestraft.
Am Ende hielten die neuen Pläne die Sparer dazu an, Steueroptimierung zu betreiben, sagt Müller-Brunner. So werde der Anreiz, die Bezüge aufzuteilen, noch grösser. Der Asip-Direktor weist darauf hin, dass es durchaus Situationen gebe, in denen ein Bezug des Pensionskassenkapitals Sinn ergebe. In ihrer jetzigen Form sorgten die Pläne des Bundesrats dafür, dass selbst durchschnittliche Bezüge aus den Pensionskassen, wie sie häufig im Mittelstand vorkämen, stärker besteuert würden, während sich für höhere Bezüge die Optimierungsmöglichkeiten noch vergrösserten.
Selbständigerwerbende dürfte die geplante Reform besonders stark betreffen. Viele von ihnen haben keine Pensionskasse und sorgen mit der Säule 3a für das Alter vor. Wer keiner Vorsorgeeinrichtung angeschlossen ist, darf in diesem Jahr bis zu 36 288 Franken beziehungsweise maximal 20 Prozent des massgebenden Einkommens in die Säule 3a einzahlen. Bei Selbständigen ohne Pensionskasse kommen so schnell deutlich höhere Vermögen als 100 000 Franken in einem Säule-3a-Topf zustande. «Selbständige, die keine Pensionskasse haben – und davon gibt es einige –, erleiden einen klaren Nachteil», sagt Gumbatshang.
«Pläne gehen an Fachleuten und dem Volk vorbei»
Die Pläne des Bundesrats gingen völlig an der Branche, den Fachleuten und dem Volk vorbei, sagt Spring. Er gehe davon aus, dass diese entweder im Parlament oder in einer Volksabstimmung gebodigt werden.
Trotzdem befürchtet er, dass in den kommenden Jahren weitere ähnliche Ideen auf Sparer und Steuerzahler zukommen. Im Bundeshaushalt dürften sich in nächster Zeit weitere Löcher auftun, und der Bund könnte versuchen, die Einnahmen deutlich zu erhöhen. Die in der Vorsorge gebundenen Vermögen könnten hier ein Ziel darstellen.
Aus Sicht des Vorsorgespezialisten Hug wäre es besser, die Pläne insgesamt zu beerdigen und eine saubere gesetzliche Lösung anzustreben, in welcher im BVG-Obligatorium die Rente vorgeschrieben ist. Dies ist momentan nicht der Fall. Dieses in einem Zwangssparen eingezahlte Geld müsse in der Pensionskasse verbleiben – auch weil die Gefahr bestehe, dass Versicherte bei der Frage Rente oder Kapital bei der Pensionierung von Finanzinstituten falsch beraten würden.
Das BVG-Obligatorium gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in der AHV versichert sind und mindestens 22 680 Franken pro Jahr verdienen. Dies soll eine angemessene Rente ermöglichen. Die obere Grenze des BVG-Obligatoriums liegt bei 90 720 Franken. Viele Pensionskassen zahlen ihren Versicherten Leistungen, die über dieses Obligatorium hinausgehen. Dies ist die sogenannte überobligatorische Vorsorge.
Würden die jetzigen Pläne des Bundesrats beerdigt, könnte mit der neuen Lösung auch gleich geregelt werden, wie mit Bezügen aus der Säule 3a und von Freizügigkeitsgeldern umzugehen wäre, sagt Hug.
«Bei den jetzigen Absichten des Bundesrats geht es um eine plumpe Steuererhöhung auf dem Buckel des breiten Mittelstandes, der bisher in guten Treuen geglaubt hat, freiwilliges Sparen fürs Alter werde auch belohnt», sagt Damian Müller, Präsident der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S). Eine Steuererhöhung notabene im Rahmen eines Sparpakets sei absolut stossend und sei spätestens im Parlament zu korrigieren. «Erst wenn die Massnahme vom Tisch ist, gibt es wieder Raum für Diskussionen um möglichen Reformbedarf in der zweiten und der dritten Säule.»