Die Inflation in der Schweiz fällt in den Minusbereich. Die Gefahr neuerlicher Negativzinsen nimmt zu Der Abwärtsdruck bei den Preisen steigt. So lag die Teuerung im Mai knapp im Minusbereich, und zwar bei –0,1 Prozent. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die SNB den Leitzins weiter senken wird.
Der Abwärtsdruck bei den Preisen steigt. So lag die Teuerung im Mai knapp im Minusbereich, und zwar bei –0,1 Prozent. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die SNB den Leitzins weiter senken wird.

Eigentlich ist es eine gute Nachricht für alle Konsumenten. So zeigen die jüngsten Inflationsdaten, dass das Preisniveau in der Schweiz leicht gesunken ist. Im Mai lagen die Konsumentenpreise um 0,1 Prozent niedriger als noch im Vorjahresmonat, wie das Bundesamt für Statistik (BfS) mitteilt. Das heisst: Für einen fixen Geldbetrag erhält man etwas mehr Waren oder Dienstleistungen als vor zwölf Monaten.
Märkte rechnen mit Zinssenkung im Juni
Die Inflation liegt damit noch immer sehr nah am geldpolitischen Zielbereich der Schweizerischen Nationalbank (SNB). So strebt die SNB einen Anstieg der Konsumentenpreise zwischen 0 und 2 Prozent an. Tatsache ist aber auch: Der Abwärtsdruck auf die Preise in der Schweiz nimmt zu. Sollte sich der Trend fortsetzen, droht eine Deflation, also ein anhaltender Rückgang des Preisniveaus.
Die geldpolitische Reaktion auf eine deflationäre Gefahr besteht meist aus Zinssenkungen. Am Finanzmarkt wird denn auch damit gerechnet, dass die SNB bei ihrer nächsten Lagebeurteilung am 19. Juni den Leitzins erneut senken wird. Offen bleibt, wie gross der Schritt ausfallen wird. Die Mehrheit rechnet mit einer Senkung von derzeit 0,25 auf 0 Prozent. Eine Minderheit erwartet sogar die Rückkehr zu Negativzinsen, also eine Senkung um 0,5 Prozentpunkte auf –0,25 Prozent.
Billigeres Erdöl und erstarkter Franken
Verantwortlich für die negative Inflation sind vor allem zwei Gründe. Erstens sind die Erdölpreise gegenüber dem Vorjahr um 9,6 Prozent gesunken, was sich in deutlich günstigeren Preisen für Heizöl und Benzin bemerkbar macht. Zweitens hat der Franken nominal an Stärke gewonnen, womit für Güter aus dem Ausland weniger bezahlt werden muss. Die Preise importierter Güter sind im Mai denn auch gesunken, und zwar um 2,4 Prozent.
Dieses Nebeneinander von sinkenden Erdölpreisen und einem erstarkten Franken führt dazu, dass der Preisdruck ausschliesslich aus dem Ausland kommt. Bei den Inlandgütern – und namentlich bei den Dienstleistungen – zeigt sich ein anderes Bild. Hier kann von Deflation keine Rede sein. Vielmehr haben sich die heimischen Güter im Mai um 0,6 Prozent verteuert. Dabei fallen vor allem die gegenüber dem Vorjahr um 2,6 Prozent gestiegenen Wohnungsmieten ins Gewicht.
Schlegel betont Preisentwicklung in mittlerer Frist
Dass die Gesamtinflation erstmals seit März 2021 leicht negativ ist, kommt wenig überraschend. Auch der SNB-Präsident Martin Schlegel hatte vor kurzem betont, dass die Inflation in den kommenden Monaten in den negativen Bereich abrutschen könnte. Er sagte aber gleichzeitig, dass dies nicht zwangsläufig eine Reaktion der SNB nach sich ziehen werde. Der Grund: Die SNB lasse sich nicht von den Inflationsdaten einzelner Monate leiten, sondern achte auf die mittelfristige Preisentwicklung.
Dass das Minuszeichen nicht überinterpretiert werden sollte, legen zwei weitere Beobachtungen nahe. Erstens ist die Inflation gegenüber dem Vormonat leicht gestiegen, und zwar um 0,1 Prozent. Zweitens ist bei der Kerninflation, die den mittelfristigen Preistrend am besten abbildet, weil Güter mit starken Preisausschlägen (Nahrungsmittel und Energieträger) ausgeklammert sind, kein Abrutschen in den Minusbereich zu beobachten; vielmehr stieg sie um 0,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Alarmismus ist auch mit Blick auf die Währungsentwicklung fehl am Platz. Zwar hat sich der Franken in den vergangenen Jahren nominal aufgewertet. Berücksichtigt man aber den inflationsbereinigten (realen) Wechselkurs, zeigt sich eine erstaunlich stabile Entwicklung. Das gilt auch dann, wenn man die Bedeutung der einzelnen Währungsräume für den Aussenhandel der Schweiz berücksichtigt. Eine starke Erosion der Wettbewerbskraft für Schweizer Exporteure fand somit nicht statt.
Economiesuisse, der Dachverband der Schweizer Wirtschaft, bleibt im jüngsten konjunkturellen Ausblick ebenfalls zuversichtlich. So soll das Bruttoinlandprodukt im laufenden Jahr um immerhin 1,1 Prozent wachsen, was gegenüber 2024 sogar einer leichten Beschleunigung entspricht. Die tiefe Inflationsrate wirke sich positiv aus, indem sie den privaten Konsum stütze und für steigende Reallöhne sorge, hält der Chefökonom Rudolf Minsch fest.
Während die Binnenwirtschaft erstaunlich robust wächst, drückt die internationale Nachfrageflaute auf die Warenexporte. Die Ausfuhren würden im zweiten Quartal sinken, sagt Minsch voraus: «US-Präsident Donald Trump hat die Märkte mit seiner Zollpolitik radikal verunsichert.» Namentlich die KMU seien zum Teil massiv überfordert. Solange keine Klarheit zu den Zollsätzen herrsche, wüssten die Firmen nicht mehr, wie sie ihre globalen Lieferketten organisieren sollten.
Stärke des Frankens ist noch kein Problem
Dennoch rechnet Minsch vorerst nicht mit einem weiteren Absturz des Dollars. Seit Anfang Jahr hat die US-Währung zum Franken 10 Prozent an Wert verloren. Diese Bewegung stelle für die Firmen indes noch kein Problem dar, erklärt der Chefökonom von Economiesuisse. Denn es handle sich primär um eine Korrektur des Enthusiasmus an den Märkten, der unmittelbar nach der Wahl von Trump eingesetzt habe.
Entsprechend erwartet Minsch, dass der Dollarkurs von derzeit 82 Rappen bis im nächsten Jahr ziemlich stabil bleiben werde. Auch gegenüber dem Euro werde sich der Franken nur wenig aufwerten. Die Jahresteuerung werde sich entsprechend mit 0,3 Prozent im leicht positiven Bereich einpendeln. Gemäss diesem Szenario wäre es für die SNB nicht erforderlich, den Leitzins in den negativen Bereich zu senken. Minsch räumt indes ein, dass der Marktkonsens bis Ende Jahr einen Leitzins von minus 0,25 Prozent voraussagt.
Seine Leitzinsprognose sei womöglich von einer gewissen Portion Wunschdenken geprägt. «Hier spielt die Hoffnung mit, denn ich bin in der Tat kein Fan von Negativzinsen», sagt Minsch. Eines der Probleme bestehe darin, dass die Bevölkerung beginne, Bargeld zu horten. Noch überwiegt bei Economiesuisse die Zuversicht, dass die Schweiz die aktuellen Turbulenzen an den Weltmärkten einigermassen schadlos übersteht.