Nationalrat will höhere Hürden für die Ahndung von Firmenabreden – aber kein Zurück in die alte Kartellwirtschaft Verhängen die Wettbewerbshüter zu oft Bussen auch bei unschädlichen Vereinbarungen von Unternehmen? In der Politik sehen dies viele so, wie der Beschluss des Nationalrats vom Mittwoch zeigt.
Verhängen die Wettbewerbshüter zu oft Bussen auch bei unschädlichen Vereinbarungen von Unternehmen? In der Politik sehen dies viele so, wie der Beschluss des Nationalrats vom Mittwoch zeigt.

Es geht um die «Herzkammer der schweizerischen Marktwirtschaft». So beschrieb vor Jahresfrist ein Parlamentarier die Bedeutung des Kartellgesetzes. Die Metapher frei übersetzt: ohne Herz kein Leben, ohne Wettbewerb kein Wohlstand. Das Kartellgesetz schützt den Wettbewerb. Doch die Spielregeln der Wettbewerbshüter für die Bekämpfung von Kartellen sind umstritten.
Gewerbekreise und Kartellrechtsanwälte fordern seit Jahren engere Fesseln für die Wettbewerbskommission (Weko) – zwecks Eindämmung von Verboten und Bussen bei unschädlichen Verhaltensweisen von Firmen. Zu den von Kritikern der Weko genannten Beispielen zählen etwa die Bussen für Kartellabsprachen im Sanitärgrosshandel, für Absprachen im Bausektor und gegen den Skihersteller Stöckli wegen Preisabsprachen mit Händlern. Die Weko warnte dagegen in den letzten Jahren aufgrund von Lockerungsvorschlägen aus dem Parlament vor einem Rückfall der Schweiz in die alte Kartellwirtschaft.
Elmex-Urteil im Fokus
Die Revision des Kartellgesetzes kam am Mittwoch in den Nationalrat. Diverse Elemente waren kaum bestritten, wie etwa Änderungen bei der Fusionskontrolle. Der Hauptstreitpunkt betraf die Frage, wie hoch die Hürden für die Weko für Kartellbussen sein sollen. Nach geltendem Recht sind harte Kartellabreden im Grundsatz verboten und können mit Sanktionen bestraft werden, wenn sie wirksamen Wettbewerb beseitigen oder erheblich beeinträchtigen – und wenn solche Abreden nicht durch Effizienzvorteile zu rechtfertigen sind. Als harte Kartellabreden gelten laut Gesetz Absprachen zwischen Konkurrenten über Preise, Mengen und Gebiete sowie Absprachen zwischen verschiedenen Marktstufen (etwa Produzenten und Händlern) über Preise und Gebietsschutz.
Zum Humus des Streits zählt ein Urteil des Bundesgerichts von 2016 in einem Fall über Elmex-Zahnpasta (Gaba-Urteil). Laut den Richtern muss die Weko bei harten Kartellabreden nicht in jedem Einzelfall den konkreten Schaden nachweisen. Für eine Busse müssen die Wettbewerbshüter gemäss dem Urteil «nur» drei Dinge belegen: Es gab eine harte Abrede, die Abrede kann den Wettbewerb beeinträchtigen, und sie lässt sich nicht durch Effizienzvorteile rechtfertigen. Laut dem Bundesgericht ist bei harten Kartellabreden mit Ausnahme von Bagatellfällen automatisch davon auszugehen, dass eine allfällige Beeinträchtigung des Wettbewerbs auch erheblich ist.
In der Folge bemühten sich Gewerbekreise im Parlament, der Weko engere Fesseln anzulegen. Ausgangspunkt war ein Vorstoss von 2018, den das Parlament an den Bundesrat überwies. Laut den Kritikern geht es nicht an, ohne konkrete Schadensbelege Bussen zu verhängen. Die Weko erklärte, dass ein zahlenmässiger Schadensbeweis bei Kartellabsprachen oft sehr schwierig sei und hohe Nachweishürden die Kartellbekämpfung massiv erschweren würden.
Sperriger Kompromiss
Im Parlament kamen schon verschiedenste Varianten auf den Tisch – vom Status quo bis zu sehr engen Fesseln für die Weko. Der Ständerat hatte sich in diesem Punkt vor Jahresfrist mit knapper Mehrheit für den Status quo entschieden. Der Nationalrat beschloss am Mittwoch mit 116 zu 72 Stimmen gegen den Widerstand der Linken und der Grünliberalen und gegen die Präferenz des Bundesrats, die Weko an die kürzere Leine zu nehmen. Die Einwände wurden aber zum Teil berücksichtigt. Den Gesetzesvorschlag geniesst man am besten mit einem Getränk: «Die Erheblichkeit der Wettbewerbsbeeinträchtigung wird einzelfallweise in einer Gesamtbeurteilung anhand qualitativer Elemente in Form von Erfahrungswerten und quantitativer Elemente in Form von den konkreten Umständen auf dem relevanten Markt geprüft.»
Grob übersetzt: Die Weko muss für die Begründung von Bussen für harte Kartellabreden mehr machen als bisher, aber sie muss weiterhin nicht den konkreten Schaden in Franken nachweisen. Man wolle nicht in die alten Kartellzeiten zurück, möchte aber volkswirtschaftlich sinnvolle Kooperationen erleichtern, sagte der FDP-Nationalrat Beat Walti im Namen der vorberatenden Wirtschaftskommission. Als Beispiele sinnvoller Aktivitäten nannten Befürworter dieser Variante Forschungskooperationen, Arbeitsteilungen, Einkaufsgemeinschaften sowie Kooperationen von kleineren Betrieben entlang der Wertschöpfungskette, um mit Grossfirmen konkurrieren zu können.
Bei harten Kartellen mit Preisabsprachen braucht es laut Beat Walti auch mit der neuen Formulierung praktisch keine quantitativen Belege. Aber bei einem weniger klaren Fall seien eher auch quantitative Hinweise erforderlich.
Mit der gewählten Formulierung ginge die Rechtslage laut Befürwortern zurück zur Zeit vor dem Gaba-Urteil des Bundesgerichts von 2016. Das schrieb auch das Wirtschaftsdepartement dieses Frühjahr in einer Notiz. Der Wettbewerb in der Schweiz und die Arbeit der Weko würden damit wohl nicht empfindlich geschwächt, hiess es in dem Papier: «Allerdings dürften die Verfahren teilweise komplizierter und länger werden.» Das scheint auch die Sichtweise der Weko zu spiegeln. Klarheit über die Wirkung der neuen Formulierung könnte aber erst das Bundesgericht schaffen – vielleicht in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren.
Nein zu «Lex Eishockey»
Eine ähnliche Formulierung beschloss der Nationalrat für den Umgang mit Missbräuchen von marktbeherrschenden Unternehmen. In diesem Punkt verankere die Formulierung nur die geltende Rechtsprechung, sagten Bundesrat Guy Parmelin und der Kommissionssprecher Beat Walti übereinstimmend. Die Gegner warnten vor einer Aufweichung der Missbrauchsbekämpfung.
Ein Streitpunkt ist auch der Umgang mit Kartellabsprachen über Bruttopreise. Der Nationalrat hielt mit klarer Mehrheit am geltenden Recht fest und schuf damit eine weitere Differenz zum Ständerat. Keine Chance hatte im Nationalrat überdies die Idee des Ständerats, im Kartellgesetz eine Rechtsgrundlage für eine Art Lohnkartell im professionellen Eishockey und Fussball zu schaffen. Die Gesetzesrevision geht nun zurück zum Ständerat.