Vor 43 Jahren eröffnet Gaetano Prati am Utoquai einen Imbiss und rettet sich so aus der Misere – nun droht ihm die Schliessung Eigentlich haben sie keine Chance mehr. Trotzdem kämpft die Familie Prati um den Erhalt des Imbisses.

Eigentlich haben sie keine Chance mehr. Trotzdem kämpft die Familie Prati um den Erhalt des Imbisses.

Nach 43 Jahren muss der Familienbetrieb am Utoquai Ende 2025 schliessen. Die Stadt verlängert den Vertrag nicht. (Foto: Dominic Nahr / NZZ)

Seit 1982 verkauft Gaetano Prati in seinem Imbiss bei der Zürcher Quaibrücke Salsiccia, Espresso und Pommes frites. 81 Jahre alt ist er seit vergangener Woche. Und noch immer steht er fast jeden Tag hinter dem Tresen des Imbiss «Riviera» – obwohl seit 20 Jahren seine Tochter Gesualda, 40, und sein Sohn Claudio, 37, das Geschäft führen. «Es ist mein Hobby», sagt Prati. Doch bald muss er sich vielleicht ein neues suchen.

Dem Familienbetrieb droht das Aus. Per Ende 2025 soll Schluss sein mit dem Imbiss beim Bellevue. Der Vertrag mit der Stadt läuft aus, eine Verlängerung ist nicht vorgesehen.

Bereits 2010 hatten die Pratis von der Stadt erfahren, dass eine Schliessung droht. Vier Jahre später haben die Behörden den Plan dann bestätigt.

Der Kiosk passe nicht in das «Leitbild Seebecken», hiess es damals. Die Familie wehrte sich und erhielt erneut eine Bewilligung. Vorerst bis 2019. Später wurde der Vertrag bis 2025 verlängert. Nun will ihn die Stadt auslaufen lassen. Es gebe keine rechtliche Grundlage mehr für eine Fortführung des Imbisses, hiess es vonseiten des Stadtrats. Künftig wolle man das Gastro-Angebot am See in Form von «fliegenden Händlern» ergänzen.

«Die Gründe der Stadt verstehe ich nicht», sagt Gesualda Prati. Obwohl ihr Anwalt sagt, sie habe juristisch wenig Chancen, will sie den Standort noch nicht aufgeben – zu viele Erinnerungen hängen daran.

Als Kind war sie fast jedes Wochenende beim Imbiss, ass mit dem Bruder Hot-Dog, während der Vater arbeitete. Seit sie 16 Jahre alt ist, hilft Gesualda Prati regelmässig aus. Kurz nach Abschluss der KV-Lehre, vor 20 Jahren, übernahm sie den Betrieb zusammen mit dem Bruder. «Die Leute denken manchmal, es sei nicht so schlimm, wenn der Imbiss schliesst, weil mein Vater ja schon längst pensioniert ist», sagt sie. «Aber sie vergessen meinen Bruder und mich. Das hier ist unsere Leidenschaft, unser Leben. Ich habe keinen anderen Job.»

Doch etwas Hoffnung hat Prati noch, denn sie und ihre Familie erhalten Unterstützung aus der Politik und der Bevölkerung – wohl auch, weil Gaetano Pratis Geschichte die Zürcherinnen und Zürcher berührt.

Ein Saisonnier wird Wurstverkäufer

Gaetano Prati kommt als junger Mann in den 1960er Jahren aus Sizilien in die Schweiz. Er ist Zimmermann, schuftet als Saisonnier – bis der Rücken streikt. Prati wird krankgeschrieben, als Zimmermann arbeiten wird unmöglich. Er droht in die Abhängigkeit vom Staat zu rutschen, IV-Rente mit 38 Jahren. Doch das will so gar nicht in die Lebensvorstellung des Italieners passen. Und so überlegt er sich eine Alternative: Er will einen Imbiss eröffnen an der Limmat.

Prati spaziert am Ufer der Limmat hoch und runter auf der Suche nach einem geeigneten Platz. Bei der Quaibrücke entdeckt er eine lottrige Baustellen-Baracke. Sie ist zu der Zeit, in den 1980er Jahren, Drogenumschlagplatz und Treffpunkt für die Süchtigen, die in jener Zeit zum Zürcher Stadtbild gehören. Der Ort wirkt wenig anmächelig, doch Prati sieht Potenzial und findet keine Alternative.

«Es war ein schlechter Platz», sagt er, «aber ich hatte das Gefühl, es kommt gut. Die Stadt macht viel, um die Drogenproblematik zu lösen.» Also kauft er die Baracke, repariert sie, schliesst sie an die Kanalisation an und unterschreibt den Vertrag mit der Stadt.

Prati verkauft Salsiccia, die er nach dem Rezept seiner Grossmutter bei einem Metzger in Oerlikon herstellen lässt. Bald baut er eine Stammkundschaft auf. Die einen kommen wegen der vergleichsweise tiefen Preise, die anderen wegen Prati, dem Gastgeber, der jeden mit einem Händedruck begrüsst und fragt, wie es ihm gehe. Und das auf Deutsch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch und Französisch, sagt Prati. Ein bisschen könne er von allem, das sei wichtig in Zürich mit seinen Touristen. Aber nur mündlich – denn Prati ist Analphabet. «Ich bin in Sizilien nach dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen, die meisten Kinder konnten wie ich damals dort keine Schule besuchen.»

Die bis heute für Zürcher Verhältnisse tiefen Preise, sagt Prati, könne er nur anbieten, weil im Imbiss Selbstbedienung sei und so deutlich weniger Personal gebraucht werde als etwa in Cafés oder Restaurants.

43 Jahre steht er nun schon hinter dem Tresen des «Riviera». Gesundheitlich gehe es ihm besser als vor 40 Jahren, sagt er, streckt seinen Rücken und hievt eine Kartonschachtel mit Getränken vom Tresen in den Gang des Imbisshäuschens.

«Viele Kunden kommen schon seit über 40 Jahren, sie wären traurig, wenn wir schliessen müssten», sagt er und zeigt mit dem Finger auf ein Klemmbrett, das beim Tresen zufällig auf den Mayonnaise-, Senf- und Ketchup-Tütchen zu liegen scheint. Doch Zufall ist es nicht. Die Familie Prati hat es dort deponiert, um ihre Kunden auf die Petition hinzuweisen, die sie lanciert hat, um ihr Geschäft zu retten.

«Schon mehr als 7000 Personen haben auf den Zetteln unterschrieben», sagt Gesualda Prati. Online zusätzlich 1370.

Auch von der Politik erhalten die Pratis Unterstützung. Kürzlich haben die Gemeinderäte Flurin Capaul (FDP) und Ivo Bieri (SP) gemeinsam mit 48 Mitunterzeichnenden fünf Vorstösse lanciert.

Capaul sagt: «Ein ehemaliger Saisonnier, der sich und seine Familie aus der Misere gezogen hat, anstatt in der Abhängigkeit der Invalidenversicherung zu landen, das verdient Unterstützung.» Zudem habe sich in den letzten mehr als 40 Jahren gezeigt, dass es ein Bedürfnis der Bevölkerung und der Touristen sei, an See und Limmat zu flanieren und sich zu fairen Preisen zu verpflegen.

Dass das überparteiliche Komitee nun total fünf Vorstösse eingereicht habe, sei tatsächlich ausserordentlich, sagt Capaul. Der Fall tangiere aber mehrere Rechtsbereiche, so etwa Richtplan und Bundesrecht. Pro Aufgabengebiet müssten die Gemeinderäte einen Vorstoss einreichen, deshalb die hohe Zahl. Zudem dränge die Zeit, so Capaul: «Ende Jahr läuft die Konzession aus. Wir haben keine Zeit, nachzubessern. Deshalb waren wir hier juristisch pingelig korrekt.»

Auch auf kantonaler Stufe engagieren sich die Politiker. Sonja Rueff-Frenkel will am Montag einen überparteilichen Vorstoss einreichen, um den Regierungsrat zu motivieren, positiv Einfluss zu nehmen.

Tatsächlich gehört der Boden, auf dem der Imbiss steht, dem Kanton. Deshalb ist das kantonale Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (Awel) zuständig für die Vergabe der Konzession. Rueff-Frenkel sagt: «Die Stadt allein kann nichts machen, sie ist abhängig vom Kanton.»

Der Traum vom eigenen Buch

Sollten die Parlamentarier Erfolg haben und sich die Konzession verlängern lassen, so wäre dies nicht nur für die Pratis eine freudige Neuigkeit. Auch der Imbiss «Bistro & Grill am See» auf der anderen Seite des Brückenkopfs am Utoquai könnte so erhalten bleiben.

Sollte es keine Lösung geben für den Imbiss – zumindest Gaetano Prati würde es nicht langweilig. Er würde sich nochmals neu erfinden. Prati möchte ein Buch schreiben über seine Migrationsgeschichte. «Ich brauche einfach Unterstützung dafür», sagt er. Prati, der Analphabet, der sich in Zürich ein Business aufbaute, wird vielleicht auch noch Buchautor.

Claudia Rey, «Neue Zürcher Zeitung»

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