Quantencomputer gibt’s nur in Labors? Von wegen – ein chinesisches Startup verkauft Desktop-Modelle Die Firma SpinQ aus Shenzhen bietet als eine der ersten weltweit kleine Quantencomputer an. Die Kunden sind meist Schulen und Universitäten. Sie sitzen auch in der Schweiz und Deutschland.

Die Firma SpinQ aus Shenzhen bietet als eine der ersten weltweit kleine Quantencomputer an. Die Kunden sind meist Schulen und Universitäten. Sie sitzen auch in der Schweiz und Deutschland.

 

Der Gemini-Quantencomputer wird an der Chung Yuan Christian University kalibriert. Bild: PD

Normalerweise sind Quantencomputer grosse, teure Maschinen. Ein solches Exemplar steht im Labor der Shenzhener Firma SpinQ. An einem massiven Metallgestell, so gross wie zwei Telefonkabinen, hängt eine wuchtige Röhre, und am Boden dieser Röhre, von aussen unsichtbar, befinden sich Computerchips. Wie viele genau, ist SpinQs Geschäftsgeheimnis.

Die Röhre kostet rund eine halbe Million US-Dollar. Sie ist eine Art Gefriertruhe, fachsprachlich ein Mischungskryostat. Sie kühlt das Innere auf eine unvorstellbar tiefe Temperatur herab, auf minus 273 Grad Celsius. Genaugenommen auf 14 Millikelvin, die für solch tiefe Temperaturen übliche Einheit. Das ist noch etwas kälter als die Durchschnittstemperatur des Universums.

So kalt muss es sein, damit die Computerchips in der Röhre funktionieren. Es sind nämlich Chips aus sogenannt supraleitenden Materialien, aus Aluminium, Titan und Niobium. «Das sind die meistgenutzten Materialien in supraleitendem Quantum-Computing», sagt Feng Guanru, eine Mitgründerin des Startups SpinQ.

Das Unternehmen aus der südchinesischen Tech-Metropole Shenzhen hat sich in der weltweiten Szene für Quantum-Computing einen Namen gemacht. Denn SpinQ baut nicht nur leistungsfähige Quantencomputer für Firmenkunden wie die Bank HSBC, sondern es ist auch der praktisch einzige Anbieter für handlichere Geräte, hauptsächlich für Universitäten und Schulen.

Ein Zürcher Experte nutzt einen SpinQ-Computer

«Meines Wissens ist SpinQ die einzige Firma, die voll programmierbare Desktop- und tragbare Quantencomputer herstellt», sagt Tamás Varga, ein Experte für Quantum-Computing aus Männedorf bei Zürich. Varga organisiert mit seiner Firma Papafut Quantum GmbH für Programmierer Einführungskurse für die Disziplin, bei denen er einen SpinQ-Computer nutzt.

Laut einer Übersicht auf Vargas Website q-edu-lab.com gibt es weltweit ausser SpinQ nur einen weiteren Anbieter von handlicheren Quantencomputern, die ebenfalls chinesische Firma Ciqtek. Deren Geräte seien aber eher für Experimente von Physikern als für IT-Leute geeignet, da sie nicht voll programmierbar seien, schreibt Varga auf Anfrage.

Quantum-Computing ist eine vielversprechende Technologie. Ein Quantencomputer kann gewisse komplexe Probleme theoretisch viel schneller lösen als ein herkömmlicher Computer. Das ist möglich, weil er nicht mit den binären Zuständen 0 und 1 arbeitet, sondern mit Überlagerungen dieser Zustände. Solche Zustände können nur Atome, Lichtteilchen oder andere Quantenobjekte annehmen. Dank ihrem Geschwindigkeitsvorteil könnten Quantencomputer zum Beispiel eines Tages die heute übliche Verschlüsselungstechnik obsolet machen.

SpinQ hat vergangenes Jahr seinen dritten und bis dato kleinsten Quantencomputer auf den Markt gebracht. Er heisst Gemini Mini und erinnert äusserlich an einen handelsüblichen Desktop-Drucker mit einem grossen, klappbaren Touchscreen an der Seite.

Der Gemini Mini wiegt immer noch 14 Kilogramm

Doch man muss nur versuchen, den Gemini Mini anzuheben, dann merkt man sofort, dass man es mit einem anderen Gerät zu tun hat: Er ist schwer, 14 Kilogramm. Für einen Quantencomputer ist das trotzdem sehr wenig. Die grösseren Modelle Gemini und Triangulum, die wie etwas zu gross geratene Rechnertürme aussehen, wiegen 55 beziehungsweise 44 Kilogramm.

Hauptgrund für das Gewicht sind die massiven Magnete, die den Kern der Computer bilden. Sie erzeugen ein starkes Magnetfeld, wie in einem Kernspintomografen. Das Verfahren heisst Kernspinresonanz, auf Englisch «nuclear magnetic resonance». Es ist eine von mehreren Möglichkeiten, wie sich die Quantenbits (abgekürzt Qubits) eines Quantencomputers realisieren lassen. Eine andere Möglichkeit sind supraleitende Qubits, wie SpinQ sie für seine Industriekunden nutzt.

Bei den Desktop-Quantencomputern hat SpinQ sich nach eigenen Angaben für die Kernspinresonanz entschieden, weil technologische Fortschritte die Magnete zunehmend leichter und günstiger machten. Günstig ist relativ: Der erste Gemini-Computer, der vor drei Jahren präsentiert wurde, kostete laut SpinQ zunächst «unter 50 000 US-Dollar». Er hat eine sehr begrenzte Kapazität von 2 Qubits – der Rekord liegt derzeit bei den 433 Qubits eines Rechners von IBM.

Tamás Varga aus dem Kanton Zürich besitzt das Nachfolgemodell Gemini II. Auch dessen Kapazität umfasst 2 Qubits, mit denen man nur 4 Zustände gleichzeitig darstellen kann. Ja, in diesem Sinne sei Gemini ein «Spielzeug-Quantencomputer», schreibt Varga auf eine entsprechende Frage. Doch es gebe einen entscheidenden Unterschied: Während digitale Computer solche Experimente simulieren könnten, könnten SpinQs Quantencomputer diese Experimente tatsächlich physisch durchführen.

Ein Quantenexperiment auf dem SpinQ Gemini Mini

Ein solches Experiment demonstriert Feng Guanru von SpinQ auf dem kleinsten Computer, dem Gemini Mini. Per Touchscreen tippt Feng durch das Menu. Es gibt Buttons für verschiedene Einführungskurse – und in der Mitte das grösste Feld für «Real Quantum Computing». Feng wählt es aus.

Auf dem Bildschirm erscheinen zwei parallele Linien, für jedes Qubit eine. Feng wählt ein sogenanntes Quantengatter aus, also eine Rechenoperation, die der Computer auf einem Qubit durchführen soll. Sie entscheidet sich für das H-Gatter, benannt nach dem französischen Mathematiker Jacques Hadamard, und wendet es auf das erste Qubit an.

Das Experiment demonstriert eines der Prinzipien des Quanten-Computings, die sogenannte Superposition. Dabei nimmt ein Qubit mehrere Zustände gleichzeitig an. «Auf diesem Qubit werden also Null und Eins zur gleichen Zeit existieren», erklärt Feng. Dann drückt sie auf «Run», und wenig später zeigt der Computer die Häufigkeit der überlagerten Zustände in Form eines Säulendiagramms.

Wie viel die Desktop-Computer von SpinQ kosten, kommuniziert die Firma zurückhaltend. Offenbar können Kunden durchaus über den Preis verhandeln. Bei Online-Händlern gibt es das günstigste Modell Gemini Mini für umgerechnet rund 8000 Schweizerfranken.

Die meisten Käufer kommen laut SpinQ aus China. Erste Besitzer gibt es unter anderem auch in Deutschland, Frankreich, den USA und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ihren Posts auf Linkedin oder Twitter nach zu urteilen, sind sie so zufrieden wie stolz.

Tamás Varga aus dem Kanton Zürich hält die SpinQ-Computer für eine «bemerkenswerte Ingenieursleistung». Sie seien der erste Meilenstein auf dem Weg zu Quantencomputern für den persönlichen Gebrauch. Varga erinnert das an seine Programmieranfänge als 13-Jähriger. Er sagt: «Für mich fühlt es sich ein bisschen an, wie als ich meinen ersten Computer bekommen habe, einen Commodore 64.»

Matthias Sander, Shenzhen, «Neue Zürcher Zeitung»

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