Was der Asbestskandal nicht schaffte: Jetzt verschwindet die Marke Eternit Der Traditionsname Eternit hat eines der grössten Debakel der Baugeschichte überlebt. Nun wird er ausgemustert – aus ganz anderen Gründen. Ein Lehrstück über moderne Markenführung.

Der Traditionsname Eternit hat eines der grössten Debakel der Baugeschichte überlebt. Nun wird er ausgemustert – aus ganz anderen Gründen. Ein Lehrstück über moderne Markenführung.

Der Begriff Eternit hat nicht nur die Baubranche geprägt, sondern auch den Schweizer Hersteller aus Glarus. Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ

Nichts ist für die Ewigkeit, nicht einmal die Ewigkeit. Vom lateinischen «aeternus» leitete der Österreicher Ludwig Hatschek den Begriff Eternit ab, als er Ende des 19. Jahrhunderts einen Baustoff entwickelte, der besonders langlebig war. Der Name für diese Zementplatten, in die Asbestfasern eingearbeitet waren, wurde zu einem Gattungsbegriff. So wie Jeep für einen Geländewagen. Die Marke Jeep wird es noch lange geben. Bei Eternit ist es komplizierter.

Nach 120 Jahren kommt ein Wechsel

Der Fall Eternit ist ein Musterbeispiel dafür, was eine Marke aushalten kann – und wann sie an ihre Grenzen stösst. Einer der grössten Eternit-Hersteller in Europa ist die Schweizer Eternit. Doch jetzt streicht die in Niederurnen im Glarnerland beheimatete Firma die Marke aus dem Unternehmensauftritt und von fast allen Produkten. Angesichts 120 Jahren Geschichte geht dieser Wechsel dem Firmenchef Marco Wenger nicht leicht von der Hand. «Der Name Eternit ist ein Stück Schweizer Kulturgut und Wirtschaftsgeschichte», sagt er.

Der Eternit-Chef Marco Wenger verspricht sich vom Namen Swisspearl mehr Potenzial. Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ

In dieser Geschichte beginnt ein neues Kapitel. Ab April wird die Schweizer Eternit überall einheitlich unter dem Namen Swisspearl auftreten. Dieser Begriff wird heute schon in einigen Auslandsmärkten verwendet. Auch die Dachgesellschaft der Eternit Schweiz firmiert bereits unter diesem Namen. «Swisspearl hat sich als Premiummarke wirklich gut etabliert. Ich sehe unglaublich viel Potenzial unter diesem Namen», sagt Wenger im Gespräch.

Wenger hat Gründe für den Wechsel. Aber sie haben nichts mit der grössten Prüfung zu tun, vor der das Unternehmen in seiner Geschichte gestanden hat: Der Begriff Eternit ist nicht nur ein Synonym für Zementfaserplatten, die im Dach oder in der Fassade verarbeitet werden. Er steht auch für einen der grössten Bauskandale des vergangenen Jahrhunderts – Todesfälle durch krebserregendes Asbest.

Die mineralische Naturfaser Asbest galt zunächst als Wundermittel. «Eternit war ein Pionierwerkstoff, mit dem noch niemand gearbeitet hatte», so erinnert sich Wenger. Eternitplatten waren leichter als Ziegel, feuerfest, günstiger als Schiefer und stabiler als Metall oder Stahl. Deshalb wurden sie anfangs vor allem beim Dachbau verwendet. In den 1920er und 1930er Jahren nutzten sie viele namhafte Architekten in der Schweiz.

In Niederurnen werden zahlreiche Produkte für das Dach, die Gebäudehülle, den Innenausbau und den Garten hergestellt – auch die bekannten gewellten Eternitplatten. Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ

Der Asbestskandal zieht bis heute Kreise

Doch gelangen Asbestfasern in die Lunge, etwa bei der Produktion oder der Verarbeitung des Baustoffes, können sie die Gesundheit schwer schädigen. Deshalb ist spätestens seit den 1990er-Jahren die Verwendung von Asbest in vielen Ländern verboten. Oft war der Schaden aber schon angerichtet. Auch 45 Arbeiter, die vor 1978 in der Schweizer Eternit-Produktion tätig gewesen waren, sind an Krebs gestorben, der durch Asbestfasern ausgelöst wurde. Landesweit wird die Zahl der Asbest-Krebstoten auf Hunderte geschätzt.

Bis heute ist die Aufarbeitung des Eternit-Skandals nicht abgeschlossen. In Italien laufen drei Gerichtsverfahren gegen den Unternehmer Stephan Schmidheiny, in dessen dortigen Eternit-Fabriken Hunderte Arbeiter tödliche Gesundheitsschäden erlitten. In einem der Prozesse wurde unlängst lebenslange Isolationshaft für Schmidheiny gefordert, in einem anderen erzielte er einen Teilfreispruch. Im Jahr 2014 endete ein erstes grosses Verfahren auch mit einem Freispruch.

Die Familiendynastie der Schmidheinys besass im vergangenen Jahrhundert nicht nur die Mehrheit an Eternit-Werken in Italien oder auch Deutschland, Griechenland und Südafrika. Sie hielt auch bei der Eternit Schweiz die Zügel in der Hand. Doch seit 2003 gehört die Firma unter dem Dach von Swisspearl zur Familie des Unternehmers Bernhard Alpstaeg, der auch den Stanser Bauzulieferer Swisspor gegründet hat.

Immerhin hatte Stephan Schmidheiny seinerzeit reagiert: Er kündigte schon im Jahr 1978 den Abschied der Schweizer Eternit vom Asbest an – als weltweit erster Anbieter. «Schritt für Schritt mussten sämtliche Mischungen für sämtliche Produkte neu entwickelt werden», sagt der Eternit-CEO Wenger. Das sei schwierig gewesen, denn die Qualitätsanforderungen an den Ersatz waren hoch.

Marken können erstaunlich widerstandsfähig sein

Als Substitut für Asbest werden Zellulose- und Kunststofffasern verwendet. Der Grossteil der Umstellungen in der Schweizer Produktion erfolgte in den 1980er Jahren – darunter diejenige für den Dachschiefer, den grössten Umsatzbringer. Anfang 1990 wurden die letzten Produkte asbestfrei, und am 1. Mai jenes Jahres trat in der Schweiz ein gesetzliches Verbot von Asbest in Kraft. Ähnliches geschah in weiten Teilen Europas. In anderen Weltregionen, etwa Südamerika, China und Russland, wird Asbest wegen seiner niedrigen Kosten weiterhin verwendet.

Doch all das führte nicht zum Ende der Marke Eternit – auch nicht in der Schweiz. «Es gab damals keine Zwänge irgendeiner Art, die Marke aufzugeben», hält Marco Wenger fest. «Unternehmer schätzten die Produkte», sagt er mit Blick auf die Zielgruppe: Fachhändler, Handwerker, Bauunternehmer und Architekten. Das wird von Thomas Deigendesch bestätigt. Er ist Geschäftsführer der PR-Agentur Jung von Matt Brand Identity. «Es war richtig, die Marke Eternit trotz dem Asbestskandal zu behalten», sagt er.

Ein Markenwechsel birgt die Gefahr, das erarbeitete Markenkapital zu verlieren oder zu beschädigen. «Wenn man eine bekannte und etablierte Marke hat, sollte man sich sehr gründlich überlegen, ob man sie ausmustert», argumentiert Deigendesch. Auf einen Unfall oder einen Skandal könne ein Unternehmen reagieren – so wie es die Schweizer Eternit getan hat. «Marken können sich nicht alles erlauben. Aber eine etablierte und starke Marke kann mit solchen Dingen umgehen», erklärt der Branding-Experte.

Das zeigt zum Beispiel auch der Dieselskandal des Autoherstellers Volkswagen, der bei Abgastests schummelte. Die Automarke hat ihn überstanden, unter anderem, weil sie für gute Qualität zu guten Preisen steht. Ein herausragendes Gegenbeispiel ist der Skandal um das in Deutschland im 20. Jahrhundert verwendete Beruhigungsmittel Contergan, das zu Fehlbildungen bei Neugeborenen führte. Hier war der Produktname verständlicherweise nicht mehr zu retten.

Der Erfinder selbst schuf das Problem

Spurlos vorbei ging der Asbestskandal an der Schweizer Eternit allerdings nicht. Die Umsatzzahlen sanken und erholten sich auch nach der Entwicklung des asbestfreien Faserzements nicht nachhaltig. Deshalb habe die Firma geschaut, wie sie über die Grenze hinweg verkaufen könne, um neue Märkte zu erschliessen, berichtet Marco Wenger.

Genau dabei stiess das Unternehmen auf ein Problem, das es jetzt doch veranlasst, den Namen Eternit aufzugeben.

Der Eternit-Erfinder Ludwig Hatschek legte höchstpersönlich den Grundstein für dieses Problem. Nachdem der Österreicher den Faserzement entwickelt hatte, vergab er in andere Länder exklusive Lizenzen für die Nutzung des Produktionsverfahrens und des Namens Eternit. So konnte im Jahr 1903 in Glarus die Schweizerische Eternit-Werke AG gegründet werden; ein Jahr später begann die Produktion in Niederurnen. Ähnliches geschah in anderen Staaten. Innerhalb ihrer Ländergrenzen waren die Gesellschaften Monopolisten.

Zwar liefen die Lizenzen nach einigen Jahren aus, und die nationalen Gesellschaften konnten nun in Auslandsmärkte exportieren und sich Konkurrenz machen. Doch die Rechte am Namen Eternit blieben in jedem Land bei jener Gesellschaft, die als erste dort tätig gewesen war. Deshalb verwendet die Schweizer Eternit seit dem Jahr 2002 für viele Ausfuhren den Namen Swisspearl. Den Begriff hat sich damals die Exportabteilung überlegt.

Je nach Land, in dem man Produkte unter dem Namen Eternit kauft, kauft man mal bei mit den Schweizern verwandten, mal bei eigenständigen Herstellern. Die Eternit-Gesellschaften in Österreich und Slowenien gehören inzwischen zu Swisspearl. Derweil existiert zum Beispiel in Deutschland eine andere Eternit-Gesellschaft, die sich in belgischer Hand befindet.

Das Durcheinander war komplett

Vergangenes Jahr wurde der Markt durchgeschüttelt. Im Juni 2022 übernahm Swisspearl die dänische Eternit-Gesellschaft namens Cembrit. Dadurch entstand der zweitgrösste Hersteller von Faserzement in Europa mit rund 2400 Mitarbeitern und neun Produktionsstandorten. Dansk Eternit hatte sich schon 1938 den Exportnamen Cembrit überlegt und sich 2008 gänzlich so umbenannt. Die Firma bedient vor allem die nordischen Länder sowie Grossbritannien und Irland.

Aus Schweizer Sicht war damit das Namendurcheinander komplett: Eternit wurde als Marke in der Schweiz, Österreich und Slowenien gebraucht, Cembrit in Dänemark sowie in Grossbritannien und Irland, und dann Swisspearl im Rest der Welt – und das alles für die gleichen Produktgruppen. «Es ist sehr komplex und auch teuer, diese Markenwelt mit den verschiedenen Brands aufrechtzuerhalten», sagt der Eternit-Chef Wenger.

Zum Beispiel muss bei der Herstellung einer Platte bereits feststehen, in welchem Markt sie verkauft werden soll, damit das richtige Logo und die richtige Verpackung verwendet werden. «Das ist fast nicht mehr umzusetzen. Wir sind in diesem Markenkorsett eingeschränkt», so Wenger. Eine Vereinfachung musste her. Der CEO hat auch die künftige Expansion im Blick. Schon vor der Übernahme von Cembrit wurden zwei Drittel des Umsatzes im Export erwirtschaftet.

Die ideale Lösung wäre natürlich, weltweit einheitlich unter dem Namen Eternit aufzutreten. Aber das ist nicht realistisch. Dies wegen der ehemaligen Monopolisten, die in ihren Ländern noch über die Marke verfügen. «Bis wir alle Namensrechte erworben hätten, würden die Verhandlungen Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern. Das haben wir ausgeschlossen», sagt Wenger. Alternativ hätte ein gänzlich neuer Name nicht nur erst aufgebaut, sondern auch überall geschützt werden müssen.

Der Begriff Eternit bleibt in der Schweiz nur noch bei wenigen Produkten erhalten. Aus dem Firmenauftritt wird er verschwinden. Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ

«So wenige Marken wie möglich, so viele wie nötig»

Die Konsequenz ist einschneidend: Selbst dort, wo die Schweizer die Marke Eternit theoretisch nutzen können, also in der Schweiz, Österreich, Slowenien und Dänemark, wird sie weitgehend verschwinden. Nur wenige Ausnahmen sind geplant, als Konzession an die Tradition: In der Schweiz werden Dachschiefer und Blumenkästen weiterhin unter dem alten Namen verkauft. Auch in Österreich, dem Ursprungsland, dürfte es bei einzelnen Produkten Ausnahmen geben.

«Der Wechsel zu Swisspearl lässt sich nachvollziehen», urteilt der Branding-Experte Deigendesch. Je mehr Marken man im Portfolio führe, desto höher seien die Aufwände und desto anspruchsvoller sei die Markenführung. «Wir empfehlen unseren Kunden generell, so wenige Marken wie möglich und so viele wie nötig zu haben.» Es sei wenig effektiv, die Ressourcen auf mehrere Marken zu verteilen, die dasselbe Produkt anböten. Auch gehe es um eine gesamtstrategische Betrachtung: Schliesslich werde die Marke Swisspearl gestärkt, und die stehe bereits für Kompetenz bei Zementfasern.

Auf diese Weise läuft Swisspearl nicht Gefahr, eine Marke für ein Produkt zu verwenden, zu dem sie nicht passt. Das geschah zum Beispiel, als unter den Namen DaimlerChrysler und BMW Rover Autobauer entstanden, die je eine Premium- und eine Nichtpremiummarke vereinten. Ebenfalls risikoreich ist es, wenn der Wechsel undurchdacht erfolgt, gar aus einer Modelaune heraus – etwa als sich der Flughafen Zürich zur Jahrhundertwende in Unique umbenannte. Das Unverständnis war gross. Nach neun Jahren krebste er zurück.

Für den Markenexperten Thomas Deigendesch lauten die entscheidenden Kriterien:

  • Was leistet die neue Marke im Vergleich mit der alten?
  • Was muss man investieren, um das alte Potenzial mit der neuen Marke zu erreichen?
  • Wie authentisch und glaubwürdig ist die neue Marke?

Bei der Kommunikation des Wechsels kann Swisspearl einen Vorteil nutzen: Die Klienten sind Geschäftskunden aus der Baubranche, die über etablierte Kanäle leicht informiert werden können. Hingegen ist es eine Herausforderung, intern im Unternehmen nach so langer Tradition die neue Marke zu etablieren – vor allem in der Schweiz und Österreich. Anders verhält es sich bei Cembrit in Dänemark, wo die Originalmarke schon früher aufgegeben wurde: «Dort fällt es jetzt viel einfacher, auf Swisspearl zu wechseln», sagt der CEO Marco Wenger. Auch deshalb, weil die neue Marke Schweizer Qualität verspricht.

Zwischen Tradition und Zukunft

Der Firmenchef räumt ein, dass es für die langjährigen Mitarbeiter in der Schweiz schmerzlich sei, sich vom Namen Eternit zu trennen. Deshalb habe man intern früh und umfassend informiert und die Gründe erklärt. Es mag helfen, dass auch das Produktportfolio nicht in der Vergangenheit stillsteht: Swisspearl liefert inzwischen nicht nur aus einer Hand Material für das ganze Dach, sondern bietet dies auch für die ganze Gebäudehülle an. Eines der wichtigsten Wachstumsfelder ist die Einbindung von Solarzellen, bald auch bündig in die Fassade.

Auf der anderen Seite steht das Unternehmen zu seiner Tradition. Als einzige Firma stellt sie aus Eternit auch Gartengefässe und Gartenmöbel her – ein berühmter Stuhl des Designers Willy Guhl geht auf das Jahr 1954 zurück. Das Wichtigste sei, dass man seinen Werten treu bleibe, so Wenger. «Der Name Eternit wird weiterleben. Unsere Mitarbeiter bleiben die Eternitler», sagt er – und es klingt fast, als müsste er sich angesichts der Radikalität des Schritts selbst etwas beruhigen.

Benjamin Triebe, «Neue Zürcher Zeitung»

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