Bei den Corona-Hilfen war das Motto «Tempo vor Genauigkeit» – Missbräuche waren unvermeidlich, doch es hätte schlimmer kommen können Der Bund hat bei den Nothilfen für die Wirtschaft in der Pandemie mit der grossen Kelle angerichtet. Das Risiko von Missbrauch wurde in Kauf genommen. Die jüngsten Daten lassen einen solchen in mindestens einigen tausend Fällen vermuten. Zudem war die Sonderhilfe bei einigen tausend Betrieben zwar zulässig, aber unnötig.

Der Bund hat bei den Nothilfen für die Wirtschaft in der Pandemie mit der grossen Kelle angerichtet. Das Risiko von Missbrauch wurde in Kauf genommen. Die jüngsten Daten lassen einen solchen in mindestens einigen tausend Fällen vermuten. Zudem war die Sonderhilfe bei einigen tausend Betrieben zwar zulässig, aber unnötig.

 

Die Pandemie hat viele Betriebe stark getroffen. (Bild: unsplash.com)

Die Schweizer Wirtschaft erhielt via Bundesprogramme seit März 2020 Corona-Hilfen für rund 40 Milliarden Franken. Gut die Hälfte davon ist nicht rückzahlbar. Kurzarbeitsgelder, Härtefallhilfen für Betriebe, Erwerbsersatzzahlungen sowie Covid-Kredite waren die zentralen Instrumente. «Tempo geht vor Genauigkeit» hiess das Motto der Politik. Das Risiko von unnötigen Hilfen und Missbräuchen nahm man in Kauf. Doch wie gross war nun das Ausmass von Missbräuchen? Statistische Hinweise liefern die am Montag publizierten Berichte der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) sowie die jüngsten Bundesangaben:

1. Covid-Kredite

Knapp 138’000 Unternehmen erhielten vom Bund verbürgte Covid-Kredite für total fast 17 Milliarden Franken. Kredite für rund 5 Milliarden Franken wurden schon voll zurückbezahlt. Gemäss Bundesangaben gab es bisher über 11’000 Verdachtsfälle. Einige der genannten Stichworte: Kreditverwendung für Dividenden und andere unzulässige Zwecke, falsche Umsatzangaben, Mehrfachanträge und Anträge von Pleitefirmen. Bisher wurden rund 7300 Verdachtsfälle abgeklärt. Gut die Hälfte davon führte zu Korrekturen ohne Strafanzeige. In knapp 1500 Fällen mit einer Deliktsumme von total rund 220 Millionen Franken kam es zu einer Strafanzeige. Zurzeit lassen sich folgende Grössenordnungen abschätzen: Die Überprüfungen führen bei etwa 4 Prozent aller Covid-Kredite zu Korrekturen und bei etwa 2 Prozent zu einer Strafanzeige.

2. Härtefallhilfen

Bis im Dezember 2021 erhielten knapp 37’000 Betriebe im Rahmen des Bundesprogramms Härtefallhilfen für total fast 4,9 Milliarden Franken. Berechtigt waren zwangsgeschlossene Unternehmen sowie andere Betriebe mit Umsatzeinbussen von mindestens 40 Prozent. Bis Ende November 2021 meldeten laut EFK über 8000 nicht-zwangsgeschlossene Antragsteller eine Umsatzeinbusse von über 40 Prozent – doch bei einem Drittel dieser Betriebe widersprechen die Analyseergebnisse diesen Angaben. Die EFK stützte ihre Analyse auf einen Vergleich mit den Umsatzangaben für die Mehrwertsteuer.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) relativiert: Eine solche Diskrepanz sei für sich alleine noch kein konkreter Verdachtsmoment – denn bei einem grossen Teil dieser Fälle gebe es legitime Erklärungen. Auch die EFK räumt ein, dass es solche Erklärungen gebe. So bezogen sich in gewissen Fällen die auf den Hilfsanträgen erwähnten Vergleichsumsätze nur auf einzelne Firmensparten, während die Mehrwertsteuer-Abrechnung das Gesamtunternehmen erfasst. Ein anderes Beispiel: Bei jungen Firmen enthielten die Mehrwertsteuerabrechnung für 2018 oder 2019 unter Umständen keine Umsatzangaben für ein gesamtes Jahr.

Die Kantone sollen laut dem Seco die von der EFK georteten Diskrepanzen anschauen – doch wo es eine einfache Erklärung gebe, liege kein Verdachtsfall vor. Insgesamt haben die Kantone bis Ende März 2022 rund 1800 fragwürdige Fälle geortet, die meisten davon sind noch in Abklärung. Bei den knapp 340 abgeklärten Dossiers kam es in je rund einem Zehntel der Fälle zu Korrekturen ohne Strafanzeige oder aber zu einer Strafanzeige. Die bisherigen Angaben lassen vermuten, dass die Quote der erfassten Fehler und Missbräuche bei den Härtefällen nicht viel über 1 Prozent liegt.

Die vorübergehend zwangsgeschlossenen Betriebe hatten auf ein ganzes Geschäftsjahr gerechnet nicht immer massive Umsatzeinbussen, wie die Finanzkontrolle betont: Bei über 13’000 zwangsgeschlossenen Betrieben sei der Umsatzrückgang 2020 gemäss Angaben für die Mehrwertsteuer unter 40 Prozent gelegen; in 2400 Fällen habe der Umsatz 2020 sogar den Vergleichswert von 2018/19 übertroffen. Das heisst, manche Betriebe konnten die Einbussen der Zwangsschliessung danach teilweise kompensieren oder gar überkompensieren. Härtefallhilfen für solche Betriebe waren laut EFK zwar zulässig, «aber sie wären in diesen Fällen rückblickend nicht notwendig gewesen».

3. Kurzarbeitsgelder

Von März 2020 bis Ende 2021 erhielten laut der EFK knapp 163’000 Unternehmen Kurzarbeitsgelder von total fast 14 Milliarden Franken. Die Möglichkeit vereinfachter Abrechnungsverfahren sparte den Betrieben und Behörden Verwaltungsaufwand, erhöhte aber auch das Missbrauchspotenzial. Bis im März 2022 erhielt das Seco knapp 1200 Hinweise zu mutmasslichen Missbrauchsfällen. In zwei Dritteln dieser Fälle erhärtete die Vorprüfung den Verdacht. Und in 70 Prozent der bisher fertig geprüften Fälle kam es zu Rückforderungen. In 33 Fällen orteten die Behörden gar Missbrauch, was zu einer Strafanzeige führte.

Mehr dürfte noch kommen. Und nach der Abarbeitung der Missbrauchsmeldungen sollen zusätzliche «risikoorientierte» Prüfungen beginnen. Rückforderungen unrechtmässiger Kurzarbeitsgelder kann es laut Bund bis fünf Jahre nach deren Auszahlung geben.

Unvermeidlicher Preis

Jeder Missbrauch ist ein Fall zu viel. Doch Missbrauchsversuche sind eine unvermeidliche Begleiterscheinung staatlicher Hilfszahlungen – besonders, wenn die Zahlungen so schnell und breit fliessen sollen wie nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Unter den bisherigen Fällen mit Korrekturbedarf gab es krasse Missbräuche, ehrliche Fehler und manche Fälle zwischen diesen Polen. Die Quote der erfassten Missbräuche mag nach bisherigen Erkenntnissen insgesamt vielleicht in der Bandbreite von unter 1 Prozent bis etwa 2 Prozent liegen. Das erscheint überschaubar. Doch dazu käme noch die Dunkelziffer – und diese bleibt naturgemäss im Dunkeln.

Hansueli Schöchli,  «Neue Zürcher Zeitung»

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