Die Schweizer Wirtschaft kühlt sich ab – nicht nur wegen des Ukraine-Krieges Seit März ist die gesamtwirtschaftliche Erholung von der Corona-Pandemie unterbrochen. Nun hängt viel von der Frage ab, wie es mit den Energiesanktionen und dem Inflationsproblem weitergeht.

Seit März ist die gesamtwirtschaftliche Erholung von der Corona-Pandemie unterbrochen. Nun hängt viel von der Frage ab, wie es mit den Energiesanktionen und dem Inflationsproblem weitergeht.

 

Bei Stihl in Wil werden Ketten für Kettensägen hergestellt und in die ganze Welt geliefert. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Das Jahr 2022 hatte für die Schweizer Wirtschaft vielversprechend begonnen. Als deutlich wurde, dass sich die Corona-Pandemie ihrem vorläufigen Ende zuneigt, und es zu Öffnungen kam, zog die Wirtschaftsaktivität spürbar an.

Das zeigt ein Indikator zur wöchentlichen Wirtschaftsaktivität des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco). So lag das Bruttoinlandprodukt (BIP) in der letzten Februarwoche um rund 2,5 Prozent höher als vor Ausbruch der Corona-Krise.

Seit Anfang März hat sich die Wirtschaftsaktivität in der Schweiz aber wieder deutlich abgekühlt. Der Rückgang des Wirtschaftswachstums dürfte gegenwärtig 1 bis 1,5 Prozentpunkte ausmachen, wie der Indikator zeigt.

Schwächelnde Exporte, starker Konsum

Es liegt nahe, diesen Dämpfer mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine am 24. Februar in Zusammenhang zu bringen. Tatsächlich hat der Konflikt die wirtschaftliche Unsicherheit drastisch erhöht und weltweit etwa die Energiepreise nach oben schiessen lassen.

Allerdings dürften die Folgen des Ukraine-Krieges nur einen Teil der wirtschaftlichen Abkühlung in der Schweiz erklären. Laut den Ökonomen des Seco liegt der Rückgang des BIP-Indikators im März auch daran, dass sich die Pharma- und Chemieexporte der Schweiz nach starken Vormonaten wieder normalisiert haben. Dies fällt ins Gewicht, weil Pharma- und Chemieprodukte fast die Hälfte aller Warenausfuhren aus der Schweiz ausmachen.

Hingegen entwickelten sich die übrigen Warenexporte im März noch robust – obwohl wichtige Handelspartner wie Deutschland zunehmend Kriegsfolgen wie Lieferkettenprobleme zu spüren bekamen.

Ferner wirkte die Binnenwirtschaft stützend für das Schweizer BIP. Vor allem beim Privatkonsum setzte sich im März die Erholung von der Pandemie fort: Die Bevölkerung verkehrte wieder mehr in Restaurants und gab in der Freizeit mehr Geld aus.

Aussichten für 2022 bleiben gut

Damit könnte sich der gegenwärtige Dämpfer als vorübergehend herausstellen. Die meisten Konjunkturbeobachter gehen in der Tat davon aus, dass die Wachstumsaussichten für die Schweiz immer noch gut sind.

Das Seco beispielsweise rechnet für 2022 mit einem realen BIP-Wachstum von 2,8 Prozent. Die Bundesökonomen sehen derzeit keinen Anlass, etwas an dieser Prognose zu ändern. Ähnlich halten es die Ökonomen von BAK Basel. Sie prognostizieren für das Gesamtjahr unverändert ein Wirtschaftswachstum von 2,3 Prozent.

Risiko von Rückschlägen

Die Schweizer Wirtschaft dürfte sich also in diesem Jahr weiter von der Corona-Pandemie erholen. Das heisst allerdings nicht, dass sich die Folgen des Ukraine-Krieges nicht bemerkbar machen.

Das Risiko von wirtschaftlichen Rückschlägen ist gross. Besonders heikel ist, erstens, die Frage der Energiesanktionen. Falls die EU ein Erdgas- und Erdölembargo gegenüber Russland verhängen sollte, käme es in Ländern wie Deutschland oder Italien, die stark auf russische Gaslieferungen angewiesen sind, zu einer Rezession. Die Probleme der wichtigen Handelspartner würden unweigerlich auf die Schweizer Wirtschaft ausstrahlen.

Zweitens sorgt die Inflation für Kopfzerbrechen. Manche Konjunkturbeobachter mutmassen, dass die schwindende Kaufkraft die Schweizerinnen und Schweizer bereits jetzt zu Zurückhaltung beim Konsum veranlasse.

In den neuen Konsumdaten zeigt sich dies noch nicht. Aber es ist denkbar, dass sich die Preissteigerungen erst nach und nach im Bewusstsein der Menschen festsetzen – etwa, wenn die Benzin- und Heizölpreise anhaltend hoch bleiben oder sich Lebensmittel verteuern. Dies könnte den Konsum in den kommenden Monaten dämpfen.

Verschärfte Lieferkettenprobleme

Drittens haben sich die Lieferkettenprobleme in den letzten Wochen wieder verschärft, weil in China Betriebe und Häfen infolge von Corona-Lockdowns nicht normal arbeiten können. Die Knappheit an Gütern treibt die Preise weiter nach oben, es fehlen aber auch Produkte für westliche Industriebetriebe zur Weiterverarbeitung. Insgesamt gibt es also erhebliche Risikofaktoren, die das Wirtschaftsgeschehen in den kommenden Monaten bremsen könnten.

Matthias Benz, «Neue Zürcher Zeitung»

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