Flexible Renten aus der Pensionskasse gelten vielen als Tabu – doch in der Praxis gibt es sie längst Der gescheiterte Vorstoss der SBB-Pensionskasse zur Einführung variabler Renten hat gezeigt, wie heikel dieses Thema ist. Einige Vorsorgeeinrichtungen haben sie trotzdem eingeführt. Es gibt aber weiterhin Gegenwind – auch aus der Vorsorgebranche.

Der gescheiterte Vorstoss der SBB-Pensionskasse zur Einführung variabler Renten hat gezeigt, wie heikel dieses Thema ist. Einige Vorsorgeeinrichtungen haben sie trotzdem eingeführt. Es gibt aber weiterhin Gegenwind – auch aus der Vorsorgebranche.

 

Letzten Endes hat die SBB-Pensionskasse die Idee flexibler Renten wieder verworfen. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Im Jahr 2013 lancierten die SBB einen heiklen Vorstoss bei ihrer Pensionskasse. Sie wollten dort flexible Renten einführen – nur noch rund 90 Prozent des vorherigen Niveaus sollten fix, darüber sollten die Renten variabel sein. Je nach den am Kapitalmarkt erzielten Renditen sollten sie höher oder niedriger ausfallen.

Die Angst vor der «Wackelrente»

Die Initiative sorgte für grosse Aufregung. Linke Parteien und Gewerkschaften bekämpften sie aufs Schärfste, kreierten das eingängige Schlagwort von den «Wackelrenten» und warnten vor dem «Angriff auf die Renten». Am Ende krebste die SBB-Pensionskasse zurück und begrub die Idee.

Für Aufsehen in Zusammenhang mit der Idee variabler Renten sorgt auch die Volksinitiative «Ja zu fairen und sicheren Renten» – bekannt als Generationeninitiative – des ehemaligen Geschäftsführers der Pensionskasse von PricewaterhouseCoopers (PwC) Josef Bachmann. Sie sieht vor, die Höhe auch laufender Renten periodisch an Anlageerträge, Kaufkraft und Lebenserwartung anzupassen, um die Umverteilung von Erwerbstätigen zu Rentnern in der beruflichen Vorsorge zu reduzieren. Bei ihr läuft die Sammelfrist bis 7. März 2023.

Weniger bekannt ist indessen, dass es in der beruflichen Vorsorge in der Schweiz längst variable Renten gibt. Laut Branchenkreisen haben firmeneigene Vorsorgestiftungen wie PwC, Bühler, Implenia, SAP oder Unisys solche Modelle eingeführt. Mit Vita Invest bietet auch eine erste Sammelstiftung ein solches Modell an. In Sammelstiftungen ist vor allem die berufliche Vorsorge von KMU organisiert. Was sind die Vor- und Nachteile von variablen Rentenmodellen?

Fairness betont

Laut Mia Mendez, Geschäftsführerin der Pensionskasse PwC, bieten variable Renten die Möglichkeit, Aktive und Rentner an der finanziellen Lage der Pensionskasse teilhaben zu lassen. «Das gibt dem Stiftungsrat mehr Handlungsspielraum und ist fairer – für Aktive, aber auch für Rentner», sagt sie. Signifikante Nachteile des Modells sieht sie keine. Bei der Pensionskasse PwC sei das variable Modell so ausgestaltet, dass der Rentner seine Basisrente kenne. Der variable Anteil betrage standardmässig 12 Prozent der Rente.

Die Kritik, solche Modelle würden die berufliche Vorsorge aushöhlen, kontert Mendez: Vielmehr höhlten die starren Mindestgarantien in der beruflichen Vorsorge diese aus. «Im BVG-Obligatorium wird eine Leistung garantiert, aber die Finanzierung ist nicht gesichert», sagt sie. In der Folge würden die erzielten Erträge nicht fair zwischen den Rentnern und den Aktiven verteilt, sondern die Rentner profitierten in grossem Ausmass. Das Nachsehen hätten die Arbeitnehmenden, die eine zu tiefe Verzinsung auf ihrem Sparkapital erhielten.

Hohe Verzinsung dank starkem Börsenjahr

Die Sammelstiftung Vita Invest wirbt derweil mit den Ergebnissen des sehr starken Börsenjahres 2021. So seien die Vorsorgeguthaben der versicherten Personen im vergangenen Jahr um bis zu 18 Prozent gewachsen, die durchschnittliche Verzinsung habe 9,3 Prozent betragen. Im Jahr 2020 habe die Sammelstiftung die Guthaben mit 4,2 Prozent verzinst, während der Branchendurchschnitt laut dem Beratungsunternehmen PPCmetrics 1,86 Prozent betragen hat.

Dies sei möglich gewesen, weil das Modell keine überhöhten Zinsversprechen abgebe beziehungsweise keine überhöhten Umwandlungssätze anwende, heisst es in einer Mitteilung der Sammelstiftung Vita Invest, die zum Versicherungskonzern Zurich gehört. Ohne die Last dieser Garantien sei es möglich, eine der Risikofähigkeit des Vorsorgewerks angepasste Anlagestrategie zu wählen. Dadurch hätten alle versicherten Personen profitiert: die Aktiven durch eine höhere Verzinsung und die Pensionierten durch zusätzliche Bonusrenten beziehungsweise eine Beteiligung an der Performance der Anlagemärkte.

«Allerdings funktioniert dies nur, wenn ein guter Teil überobligatorischer Gelder vorhanden ist», sagen Sandro Meyer und Stephan Ryser vom Versicherer Zurich. In der beruflichen Vorsorge fallen auf Löhnen zwischen 21 150 Franken und 84 600 Franken obligatorisch gewisse Prozentsätze als Sparbeitrag an. Manche Firmen gewähren ihren Mitarbeitenden höhere Prozentsätze und versichern auch Löhne über 84 600 Franken – das ist die überobligatorische Vorsorge. «Im Obligatorium funktioniert das Modell der variablen Rente nicht», sagen Meyer und Ryser. Auch bei dem genannten Modell der Sammelstiftung Vita Invest gebe es eine Sockelrente. Schliesslich sei der gesetzlich festgeschriebene BVG-Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent im obligatorischen Bereich einzuhalten.

Umverteilung korrigiert

Mit variablen Renten im überobligatorischen Bereich lasse sich aber die weiter massive Umverteilung von Erwerbstätigen hin zu Rentnern in der beruflichen Vorsorge korrigieren. «Die Umverteilung führt dazu, dass grosse Teile der Anlageerträge von Pensionskassen nicht bei den Versicherten ankommen», sagen Meyer und Ryser. In den vergangenen Jahren hätten die Erwerbstätigen im Durchschnitt geschätzt nur rund 50 Prozent der Anlageperformance ihrer Pensionskassen gutgeschrieben bekommen. «Dies widerspricht der Idee des Kapitaldeckungsverfahrens in der beruflichen Vorsorge, gemäss dem jeder Versicherte für sich selber spart», sagen sie.

Zudem sei zu beachten, dass variable Renten auch bei höherer Inflation ein Vorteil sein könnten. Fixe Renten könnten schliesslich nur durch einen Teuerungsausgleich angepasst werden. Bei variablen Renten hingegen hätten die Versicherten die Chance, dass diese mit steigenden Kursen an den Börsen ebenfalls zunehmen. Bei der Sammelstiftung Vita Invest gelten die variablen Renten indessen nur für Neupensionierungen. Dies sei der Unterschied zur Generationeninitiative von Josef Bachmann, die auch Leistungen von bestehenden Renten angehen wolle.

«Fehlende Vorsorgesicherheit für die Rentner»

Peter Zanella, Vorsorgespezialist bei der Beratungsgesellschaft Willis Towers Watson, sieht derweil die höhere finanzielle Sicherheit der Pensionskasse als Vorteil von variablen Renten, da bei einer schlechten finanziellen Lage oder Performance die Parameter für die Altersleistungen gekürzt werden können. Zudem lasse sich damit die Quersubventionierung zwischen Aktiven und Rentnern reduzieren.

Allerdings haben solche Modelle aus seiner Sicht auch einige Nachteile. Dazu zählt er die fehlende Vorsorgesicherheit für die Rentner. Je nach Modell sei die entsprechende Basisrente auch «sehr vorsichtig garantiert» mit einer ungewissen variablen Zusatzrente. Diese sei manchmal auch ohne Partnerrente beim Tod des Versicherten ausgestaltet. Ein weiterer Nachteil sei der hohe Komplexitätsgrad: «Es gibt viele Konzepte für variable Renten, welche für den einzelnen Versicherten und oft auch für Fachleute verwirrend sind», sagt Zanella. Dies führe in der Praxis dazu, dass Versicherte sich oft das Kapital aus der beruflichen Vorsorge auszahlen lassen, «anstatt ein unsicheres variables Rentenpaket mit niedrigen Garantien zu wählen».

Die Einführung von variablen Renten sei aus seiner Sicht eine Reaktion auf die Tiefzinsphase und den Anlagenotstand der vergangenen Jahre, sagt Zanella. «Die Erhöhung der finanziellen Sicherheit der Pensionskassen steht im Vordergrund», sagt er. Für Rentner und kurz vor der Pension Stehende hätten variable Renten hingegen eher mehr Nachteile. «Die aktiven Versicherten haben zwar ein höheres Verzinsungspotenzial, da keine Quersubventionierungen zu den Rentnern mehr erfolgen», sagt er. «Diese Quersubventionierungen sind aber auch ohne variable Renten in vielen gut geführten Pensionskassen bereits nicht mehr gross vorhanden», sagt Zanella. Zudem frage er sich auch, ob das eigentliche Vorsorgeziel einer ausreichenden und sicheren Altersrente mit variablen Pensionen gewährleistet sei. «Ich glaube das eher nicht, und die Praxis zeigt auch, dass viele Versicherte die Kapitalauszahlung vorziehen.»

Das übliche Modell mit einem einheitlichen Umwandlungssatz habe sicher auch seine Mängel, es habe aber bei vernünftigen, langfristig vorsichtigen Annahmen immer noch seine Berechtigung, sagt Zanella. Der Umwandlungssatz sei einfach zu verstehen und ermögliche bei vernünftiger Festsetzung einen angemessenen Lebensstandard. «Für mich bedeutet dies einen Umwandlungssatz von mindestens 4,8 bis 5,2 Prozent.» Dies sei ein Wert, den auch viele variable Konzepte erwarteten, aber eben nicht garantierten. Ein einheitlicher Umwandlungssatz bedinge natürlich die Übernahme von ökonomischen und demografischen Risiken. Dies sei aber der ursprüngliche Zweck einer Pensionskasse.

«Sorge um den Mitarbeiter an den Staat abgeschoben»

Kritische Töne kommen auch vom Berner Vorsorgespezialisten Werner Hug. Bei guter Performance böten flexible Renten einen Vorteil, sagt er. Die zentrale Frage sei dabei, wie hoch die garantierte Rente ist. «Bei Umwandlungssätzen unter 5 Prozent sind die flexiblen Renten allerdings nicht im Interesse der Versicherten. Nicht sie stehen im Vordergrund, sondern die Pensionskasse, die Sicherheit sucht.»

Flexible Renten können nur in der überobligatorischen Vorsorge angewendet werden, nicht in der obligatorischen. «Damit gibt es keine Solidaritäten mehr zwischen hohen und tiefen Löhnen, zwischen Aktiven und Rentnern», sagt Hug. Es bestehe die Gefahr der Bildung von reinen Rentenkassen – also Einrichtungen, die nur noch Rentner, aber keine aktiven Versicherten mehr haben.

«Die berufliche Vorsorge wird mit flexiblen Renten zu einer Einzelversicherung mit Bonus», fährt er fort. Der Arbeitgeber verabschiede sich von seiner patronalen Verantwortung. So werde die berufliche Vorsorge je länger, desto mehr vom Staat diktiert. Wohlfahrtsfonds, patronale Fonds, Arbeitgeberreserven würden nicht mehr gebildet. Die börsenkotierten Konzerne delegierten die Altersvorsorge an den Staat – das Interesse am Mitarbeiter, die Sorge um ihn werde an den Staat abgeschoben, sagt Hug. Die Regeln der Rechnungslegungsstandards IFRS förderten diese Entwicklung.

«Der Trend geht in Richtung der Individualisierung der Rente in der Pensionskasse. Somit wird diese nur noch zum Steueroptimierungsinstrument», sagt Hug. Die 1e-Pläne, Sparpläne für Gutverdienende, gingen bereits in diese Richtung. Das Anlagerisiko liege dabei beim Arbeitnehmer. Letztlich dürfte der AHV eine stärkere Bedeutung zukommen und damit werde das BVG-Obligatorium je länger, desto mehr zur staatlichen Alterssicherung, sagt Hug.

Für Nostalgiker gebe es aber auch einen Lichtblick, sagt der Vorsorgespezialist: die oft personengeprägten Startup-Unternehmen. «Vielleicht entsteht daraus wieder die soziale Verantwortung des Unternehmers.»

Michael Ferber, «Neue Zürcher Zeitung»

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