Pensionskassen-Reform: Die Wirtschaft will nicht als Totengräberin dastehen – der Gewerbeverband schluckt die jüngste Reformvariante Im Parlament bahnt sich nun doch eine Mehrheit für den Ausbau der beruflichen Vorsorge an. Der bisher sehr kritische Gewerbeverband bezeichnet den jüngsten Vorschlag aus der zuständigen Parlamentskommission trotz hohen Kosten als «verkraftbar». Der Arbeitgeberverband hüllt sich in Schweigen.

Im Parlament bahnt sich nun doch eine Mehrheit für den Ausbau der beruflichen Vorsorge an. Der bisher sehr kritische Gewerbeverband bezeichnet den jüngsten Vorschlag aus der zuständigen Parlamentskommission trotz hohen Kosten als «verkraftbar». Der Arbeitgeberverband hüllt sich in Schweigen.

Der Nationalrat debattiert in der kommenden Frühlingssession über die Altersvorsorge. (Bild: Hansjörg Keller auf Unsplash)

In der März-Session des Bundesparlaments dürfte sich entscheiden, ob die mühselige Debatte zur Rentenreform in eine mehrheitsfähige Lösung mündet. Es geht um die berufliche Vorsorge – die zweite Vorsorgesäule via Pensionskassen. Die Gewerkschaften haben das Referendum schon angekündigt, bevor klar ist, was das Parlament beschliesst.

Die Linke hat fundamental Mühe mit der beruflichen Vorsorge, weil man dort im Prinzip für sich selber spart: Es gibt zwar versteckte Umverteilungen von oben nach unten und von Jung zu Alt, doch sie sind nicht mit der gleichen Lockerheit machbar wie in der AHV. Der Treiber der laufenden Reform war der Versuch zur Reduktion der Umverteilung von Erwerbstätigen zu Rentnern durch Senkung der minimalen Jahresrente im obligatorischen Teil von 6,8 auf 6 Prozent des Vorsorgekapitals. Rechnerisch wären beim derzeitigen Zinsniveau auch 6 Prozent noch zu hoch angesichts der Lebenserwartung und der Renditeerwartungen, doch es wäre ein Schritt in Richtung mehr Generationengerechtigkeit.

Gemäss offizieller Rhetorik ist das Referendum gegen die Reform vor allem ein Kampf gegen die Senkung der Renten für künftige Rentnerjahrgänge und gegen höhere Lohnabzüge. Das klingt populär, ist aber fundamental irreführend. Die Renten der Pensionskassen sind nicht vom Christkind finanziert, sondern von den Lohnbeiträgen und den Anlagerenditen – mit oder ohne Reform. Im Kern geht es «nur» um die Verteilung der Kosten: Wie stark soll die Subventionierung der Älteren durch die Jüngeren weitergehen, und wie stark soll es weiterhin eine Quersubventionierung von oben nach unten geben?

Neue Quersubventionierung

Doch weil in der öffentlichen Debatte vor allem die Renten der kommenden paar Jahrgänge im Fokus stehen und die fernere Zukunft kaum jemanden interessiert, soll die Reform Rentenzuschläge für die Übergangsjahrgänge erhalten – als «Kompensation» für die Reduktion des Privilegs einer subventionierten Rente. Laut der chancenreichsten Variante erhalten gewisse Versicherte von 15 Übergangsjahrgängen Rentenzuschläge von bis zu 2400 Franken pro Jahr – je nach Jahrgang und angespartem Vorsorgekapital. Diese Sondersubventionen kosten rund 12 Milliarden Franken und sollen vor allem durch Jüngere finanziert werden – via zusätzliche Lohnabzüge auf Jahreslöhnen bis rund 172 000 Franken. Vorgesehen sind hier somit zwei neue Kanäle der Quersubventionierung: von den Erwerbstätigen zu den Rentnern und von den Hochlöhnen zu den Tieflöhnen. Rund die Hälfte der Versicherten in den Übergangsjahrgängen bekämen einen Rentenzuschlag; unter ihnen sind viele, die mit der Reform selbst ohne Zuschlag gar keine Renteneinbusse hätten. Die genannte Variante hat der Ständerat beschlossen; sie erhielt jüngst auch Sukkurs von der Sozialkommission des Nationalrats. Die politische Kernüberlegung: Wenn die Reform an der Urne eine Chance haben solle, brauche es relativ breite Rentensubventionen für die Übergangsjahrgänge.

«Verkraftbar» für das Gewerbe

Der zweite Streitpunkt betrifft die geplante Ausdehnung des Zwangssparens auf tiefere Einkommen; damit sollen auch Teilzeitbeschäftigte und Erwerbstätige mit mehreren Stellen vermehrt in der zweiten Säule versichert sein. Das soll vor allem vielen Frauen zugutekommen. In der favorisierten Variante der zuständigen Nationalratskommission sinkt die Eintrittsschwelle zur Versicherung in der beruflichen Vorsorge von 21 510 Franken Jahreseinkommen auf 17 208 Franken. Und vor allem wächst der versicherte Lohnanteil. Nach geltendem Recht sind die ersten rund 25 000 Franken Jahreslohn in der zweiten Säule nicht versichert, weil dieser Teil durch die AHV abgedeckt ist; die zuständige Nationalratskommission will den nicht versicherten Teil (im Jargon: Koordinationsabzug) auf rund 12 500 Franken halbieren. Das heisst vor allem für tiefere Einkommen deutlich höhere Lohnabzüge und dafür später entsprechend höhere Renten.

Gemäss den jüngsten Rauchzeichen dürften die bürgerlichen Parteien eine solche Reform trotz erheblichen Mehrkosten am Ende schlucken. Ein grosses Fragezeichen war aber lange Zeit das Gewerbe. Der Gewerbeverband hatte sich wiederholt kritisch geäussert. In einer Referendumsabstimmung hätte eine Vorlage gegen den Widerstand der Linken und des Gewerbes wenig Chancen. Doch plötzlich sind aus dem Gewerbeverband neue Töne zu vernehmen. Die Vorlage der Sozialkommission des Nationalrats wäre «verkraftbar», sagt Kurt Gfeller. Er ist Vizedirektor des Gewerbeverbands und zuständig für die Sozialpolitik. Die Nationalratskommission sei den Gewerbeanliegen entgegengekommen. Grund für diese Einschätzung: Die vorgesehene Halbierung des nichtversicherten Lohnteils führt bei den tieferen Einkommen zu einer kleineren Kostenerhöhung als das Modell des Ständerats, der den nichtversicherten Teil auf 15 Prozent des Lohns beschränken wollte.

Höhere Lohnabzüge

Bei einem Jahreslohn von zum Beispiel 40 000 Franken wären im Modell der Nationalratskommission rund 27 500 Franken versichert – statt «nur» etwa 15 000 Franken wie heute. Die Lohnabzüge würden beim genannten Lohnniveau im Vergleich zum geltenden Recht für viele Versicherte um 65 bis 70 Prozent steigen – je nach Alter auf rund 2500 bis etwa 3900 Franken pro Jahr. Formal wären diese Beträge je zur Hälfte vom Arbeitnehmer und vom Arbeitgeber zu bezahlen. Doch die Arbeitgeber würden versuchen, diese Zusatzkosten mittelfristig auf die Angestellten und die Kunden zu überwälzen.

Auch im bürgerlichen Lager ist kaum jemand begeistert über eine solche Reformvariante. Aber zurzeit scheint etwa folgende Überlegung im Vordergrund zu stehen: Es sei wichtig, dass das Parlament eine Vorlage beschliesse, um zu zeigen, dass die berufliche Vorsorge reformfähig sei – und sollte die Linke mit ihrem Referendum an der Urne erfolgreich sein, könnte sie das Scheitern der Reform nicht den Bürgerlichen anlasten.

An der Seitenlinie

Die Wirtschaftsverbände wollen allem Anschein nach nicht als Totengräber der Reform dastehen. Während der Gewerbeverband nun Kompromissbereitschaft signalisiert, sagt der Dachverband der Arbeitgeber aufgrund interner Spaltungen gar nichts zu den Inhalten. Jene Branchenverbände, die sich jüngst im Arbeitgeberverband äusserten, kritisierten mehrheitlich die «zu breiten» Rentenzuschläge zulasten der Jüngeren in dem Modell, das dann die Nationalratskommission übernahm. Doch wo innerhalb des Dachverbands die Mehrheiten liegen, ist nicht ganz klar. Dieser nahm denn auch auf Anfrage keine Stellung zu den diskutierten Varianten: «Der Arbeitgeberverband ist nach wie vor der Meinung, dass eine Reform nötig und dringlich ist. Es liegt an der Politik, eine Lösung zu finden.»

Das Problem Berset

Auch mit einem bürgerlichen Schulterschluss im Parlament hätte es die Reform an der Urne nicht einfach. Die meisten Befürworter sind bestenfalls lauwarm dafür. Die bewährte linke Rhetorik «gegen Rentenabbau» ist derweil für die Älteren verfänglich und für die Jüngeren nur schwer durchschaubar. Der Urnengang fände voraussichtlich 2024 statt. Sollte der linke Sozialminister Alain Berset dann noch im Amt sein, müsste er die Vorlage während des Abstimmungskampfs vertreten. Das wäre eine denkbar schlechte Ausgangslage für die Befürworter, gemessen an Bersets kritischen Äusserungen im Ständerat im vergangenen Dezember. Er machte damals nicht den Eindruck, als wolle er eine Reformvorlage des Parlaments im Abstimmungskampf als Sozialminister vertreten.

Hansueli Schöchli, «Neue Zürcher Zeitung»

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