Vom Einkommen abhängige Krankenkassenprämien: So fördert man die Vollkasko-Mentalität Eine Mehrheit der Schweizer möchte einkommensabhängige Prämien, sagt eine Umfrage. Diese würden einen jedoch noch stärker von den Kosten isolieren, die man verursacht. Das Gesundheitswesen wird immer mehr zu einem All-you-can-eat-Buffet.

Eine Mehrheit der Schweizer möchte einkommensabhängige Prämien, sagt eine Umfrage. Diese würden einen jedoch noch stärker von den Kosten isolieren, die man verursacht. Das Gesundheitswesen wird immer mehr zu einem All-you-can-eat-Buffet.

(Bild: National Cancer Institute auf Unsplash)

Dieser Befund kann nach der Annahme der 13. AHV-Rente kaum jemanden erstaunen: Laut einer Umfrage des «Blick» befürworten 57 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer einen Systemwechsel im Gesundheitswesen: Sie verlangen die Abkehr von der Kopfprämie und fordern stattdessen, dass die Prämien wie die Steuern abhängig vom Einkommen sind. Wer viel verdient, würde demnach eine hohe Prämie bezahlen, wer wenig verdient, würde wenig von den Gesundheitskosten spüren.

Das Anliegen geniesst dabei nicht nur auf der Linken Sympathien, sondern auch in der Mitte des politischen Spektrums, und selbst jeder zweite SVP-Anhänger ist dafür.

Ein Drittel wird schon mit Steuern finanziert

Was beim einen oder bei der anderen vergessengegangen sein dürfte, als sie ihre Antwort ankreuzten: Das Einkommen spielt heute in der Finanzierung der Gesundheitsleistungen schon eine grosse Rolle. Da ist zum einen das Viertel der Bevölkerung, das in den Genuss kommt von Prämiensubventionen. Zudem zahlen die Kantone gut die Hälfte der Spitalbehandlungen. Über ein Drittel der Kosten in der Grundversicherung werden somit schon heute über Steuern finanziert.

Geht man ganz zu einkommensabhängigen Prämien über, hat dies einen gravierenden Nachteil: Der Zusammenhang zwischen dem eigenen Anspruchsverhalten und der Prämie wird noch schwächer. Wer übt noch Zurückhaltung, wenn er oder sie wenig bezahlt, weil sein Einkommen gering ist?

Man sollte den Wählern deshalb keinen Sand in die Augen streuen: Insgesamt wird das Gesundheitswesen sicher nicht günstiger, wenn die Kostenverantwortung abnimmt. Mittlerweile gibt denn auch Deutschland, das lohnabhängige Prämien erhebt, im Vergleich zur Wirtschaftsleistung mehr Geld für die Gesundheit aus als die Schweiz.

Die Schweiz hat in der OECD noch das sechstteuerste Gesundheitswesen

Gesundheitsausgaben in % des Bruttoinlandprodukts, 2022
051015USADeutschlandFrankreichJapanÖsterreichGrossbritannienSchweizKanadaSchwedenNiederlandeItalienIrland

Mit einkommensabhängigen Prämien ändert man nichts an den Strukturen, es würde einfach mehr umverteilt als heute. Dazu kämen zweifelhafte Verteilungswirkungen. Da ältere Bürger eher geringe Einkommen haben, gäbe es wie bereits bei der 13. AHV-Rente erneut eine Umverteilung von jüngeren und mittleren Jahrgängen zu älteren. Dabei konsumieren ältere Personen im Schnitt mehr Gesundheitsleistungen als jüngere und werden hier somit schon heute von der Solidargesellschaft gestützt.

Gesundheitswesen als All-you-can-eat-Buffet

Die grosse Sympathie für einkommensabhängige Prämien folgt auf zwei satte Prämienerhöhungen und ist deshalb nachvollziehbar. Doch es wäre eine Scheinlösung. Drei Spitaldirektoren sagten am Wochenende in der «Sonntags-Zeitung», dass zum einen die Pflegeinitiative, die der Souverän Ende 2021 deutlich angenommen hatte, zu einem massiven Kostenschub geführt habe. Zum anderen gehe der Patient heute viel schneller zum Arzt und erwarte jederzeit eine umfassende Behandlung.

Das Gesundheitswesen bringt man nur wieder ins Gleichgewicht, wenn die massgeblichen Akteure mehr Verantwortung für ihr Tun übernehmen. Bei den Patientinnen und Patienten sollte man deshalb zum einen die Mindestfranchise erhöhen, die seit 2004 unverändert bei 300 Franken liegt. Zum anderen könnte man die maximale Wahlfranchise deutlich erhöhen, zum Beispiel auf 10 000 Franken pro Jahr. Dies würde zu einem sparsamen Verhalten motivieren.

Schliesslich sollte es möglich sein, dass man sich gegen einen Prämienrabatt für mehrere Jahre an eine Krankenkasse bindet. Dies würde Investitionen in die integrierte Versorgung, also die Vernetzung von Versicherern, Ärzten und Spitälern, lohnender machen. Und die Kassen könnten dann gesundheitsbewusstes Verhalten belohnen – zum Beispiel wenn der Schrittzähler ein bestimmtes Niveau übersteigt.

Einkommensabhängige Prämien immunisieren die Versicherten noch stärker als bisher von den Kosten, die sie verursachen. Das Gesundheitswesen erscheint dem Einzelnen damit immer mehr wie ein All-you-can-eat-Buffet, während sich die Kostenspirale weiterdreht.

Christoph Eisenring, «Neue Zürcher Zeitung»

Das könnte Sie auch interessieren: