Wer Rechnungen zu spät begleicht, soll automatisch Strafzinsen zahlen müssen Die EU-Kommission will die Klein- und Mittelbetriebe entlasten. Mit ihren neusten Vorschlägen dazu verspricht sie starke administrative Vereinfachung bei den Steuern und einen grösseren Hebel für das Inkasso von Forderungen.

Die EU-Kommission will die Klein- und Mittelbetriebe entlasten. Mit ihren neusten Vorschlägen dazu verspricht sie starke administrative Vereinfachung bei den Steuern und einen grösseren Hebel für das Inkasso von Forderungen.

Die EU-Kommission will die Bürokratiekosten für Firmen senken. (Foto: Wesley Tingey auf Unsplash)

Die «Klein- und Mittelbetriebe» (KMU) gehören zu den politischen Säulenheiligen. In der Sonntagsschule gelobt man den Willen zu deren «Förderung» und «Entlastung». An Werktagen sind aber oft eher zusätzliche Regulierungen angesagt. Das gilt nicht nur in der Schweiz, sondern auch in der EU.

Man würde es angesichts des steten Aktivismus in Brüssel kaum glauben, doch die Eindämmung der Regulierung gehört zu den deklarierten Zielen der EU-Kommission. Seit dem vergangenen Jahr gilt sogar offiziell das EU-Prinzip «One in – one out». Dieses übersetzt die EU-Kommission etwa wie folgt: Jede zusätzliche Regulierung soll mit einer Entlastung im ähnlichen Ausmass kompensiert werden. Laut der Kommission versprechen die Initiativen von 2022, dem ersten vollen Jahr der Umsetzung dieses Prinzips, für Firmen und Bürger netto Einsparungen von 7,3 Milliarden Euro pro Jahr.

Schwache Zahlungsmoral

Am Dienstag hat die EU-Kommission zwei neue Vorschläge gemacht, welche die KMU entlasten sollen. Zum einen will die Kommission den Betrieben einen stärkeren Hebel für das Inkasso von Forderungen in die Hand geben. Nur 40 Prozent der Rechnungen im EU-Gebiet werden laut Kommissionsangaben pünktlich bezahlt. Die Zahlungsmoral lasse besonders bei öffentlichen Schuldnern und bei Grossfirmen zu wünschen übrig. Die schlechte Zahlungsmoral der Schuldner gehört zu den meistgenannten Problemen der KMU.

 

Die EU-Kommission schlägt eine verschärfte Zahlungsregulierung vor. Laut dem Vorschlag müssten öffentliche und geschäftliche private Schuldner ihre Rechnungen innert 30 Tagen zahlen, und bei Verzug gälte automatisch ein Verzugszins, der 8 Prozentpunkte über dem Referenzzins der Europäischen Zentralbank liegt. Hinzu käme eine Pauschale von 50 Euro. Die EU-Mitgliedstaaten müssten die EU-Regulierung national durchsetzen.

Auch die zurzeit geltende EU-Zahlungsrichtlinie von 2011 enthält Zahlungsfristen (in der Regel 30 Tage für öffentliche Schuldner und 60 Tage für geschäftliche Schuldner) sowie Bestimmungen über Verzugszinsen und Pauschalzuschlag. Doch die bisherigen Regeln sind laut EU-Angaben wegen Ausnahmeklauseln unklar formuliert, was die Benutzung erschwere.

Doch werden KMU bei Zahlungsverzug grosser Kunden Entschädigung verlangen oder ihre Kunden doch lieber nicht «unnötig» verärgern wollen? Letztlich ist dies eine Frage der Chemie und der Verhandlungsmacht. EU-Vertreter sprechen von einer «Asymmetrie» zwischen KMU-Lieferanten und Grosskunden. Doch die vorgeschlagenen Regeln sollen das Wissen über die Gläubigerrechte und die Bereitschaft zu deren Inanspruchnahme steigern.

Abbau der Steuerbürokratie

Im Weiteren will die EU-Kommission die Hemmschwellen bei den KMU zu grenzüberschreitenden Aktivitäten senken. Sie verspricht einen «Vereinfachungsschock» bei den Steuern. Hat zum Beispiel ein KMU aus Portugal erhebliche wirtschaftliche Aktivitäten in fünf anderen EU-Ländern, wird es dort auch steuerpflichtig und muss die Steuersysteme all dieser Länder kennen. Laut Kommissionsschätzung verlieren KMU im Mittel 2,5 Prozent ihres Umsatzes wegen Kosten für die «Steuerbürokratie».

Gemäss dem Vorschlag der Kommission hätte das erwähnte portugiesische KMU künftig die Option, sich nur noch mit den Steuerregeln im eigenen Land herumzuschlagen – während die Steuerbehörden der anderen betroffenen Länder den portugiesischen Behörden mitteilen würden, welcher nationale Steuersatz auf den dortigen Aktivitäten anzuwenden wäre. Zwecks Vermeidung von Missbräuchen müssten die Firmen für dieses vereinfachte Regime gewisse Bedingungen erfüllen.

Der Vorschlag würde laut der EU-Kommission die steuerbedingten Administrativkosten bei den betroffenen KMU um rund einen Drittel senken. Hinzu käme die Hoffnung auf eine verstärkte grenzüberschreitende Tätigkeit mancher KMU. Die EU-Kommission verspricht mutig allein aus dieser Massnahme eine Steigerung der jährlichen Wirtschaftsleistung um 0,7 Prozentpunkte. Für die Annahme dieses Vorschlags braucht es wie bei Steuerthemen üblich die Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten.

EU-weite Berechnung

Vereinfachungen verspricht die EU-Kommission auch für internationale Grossfirmen – mit dem Vorschlag zu einer EU-weiten Bemessungsgrundlage für die Firmenbesteuerung. Dieses Konzept ist angelehnt an die Diskussionen im Länderverein OECD zur Mindestbesteuerung. Gemäss dem Vorschlag wäre die EU-Berechnungsart für die rund 4000 EU-Firmen mit weltweitem Jahresumsatz von mindestens 750 Millionen Euro obligatorisch.

Basis der Bemessungsgrundlage bleibt die Rechnungslegung der betroffenen Unternehmen. Vorläufig nicht vorgesehen ist eine Aufteilung der EU-weiten Steuerzahlungen der Firmen auf die einzelnen Länder anhand einer Formel, die zum Beispiel nationale Umsätze und Lohnsummen berücksichtigt. Eine solche Formel würde laut ihren Befürwortern die fiktive Verschiebung von Erträgen von Hoch- in Tiefsteuerländer eindämmen.

Beamte aus der EU-Kommission deuteten an, dass so etwas in den 2030er Jahren kommen könnte. Zurzeit gebe es vor allem zwei Hindernisse: Die politischen Widerstände in Mitgliedstaaten seien zum Teil gross, und man habe derzeit schlicht nicht genügend zeitnahe Daten für eine zuverlässige Formel zur Aufteilung der Steuererträge.

Hansueli Schöchli, Brüssel, «Neue Zürcher Zeitung»

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