Wie die Umverteilungsmaschine AHV funktioniert – das unbequeme Geheimnis des Sozialwerks Die zwei AHV-Volksinitiativen für den Urnengang vom 3. März unterscheiden sich vor allem in ihren Verteilungswirkungen. Der grösste politische Knackpunkt dieses Sozialwerks: Je eher eine Massnahme generationengerecht ist, desto unpopulärer ist sie.

Die zwei AHV-Volksinitiativen für den Urnengang vom 3. März unterscheiden sich vor allem in ihren Verteilungswirkungen. Der grösste politische Knackpunkt dieses Sozialwerks: Je eher eine Massnahme generationengerecht ist, desto unpopulärer ist sie.

Die AHV ist populär. Der Grund ist einfach: Die meisten Rentner ziehen mehr aus dem Sozialwerk heraus, als sie einbezahlt haben. Und das Schönste daran: Die massiven Subventionen für die Rentner sind versteckt, so dass sich die Begünstigten einreden können, ihre Rente «voll verdient» zu haben. In der Wirklichkeit deckt die AHV schätzungsweise 40 Prozent seiner Gesamtausgaben von zurzeit 50 Milliarden Franken pro Jahr mit Subventionen. Tendenz weiter steigend.

Zu den Subventionen zählen vor allem die Beiträge aus der allgemeinen Bundeskasse und von der Mehrwertsteuer. Die AHV war 2022 mit rund 13 Milliarden Franken der mit Abstand grösste Ausgabenposten beim Bund. Dieser Posten wird laut Bundesprognosen weiter wachsen – bis 2030 auf über 17 Milliarden Franken. Zusätzliche Subventionen kommen in Form von AHV-Beiträgen der Hochverdiener; deren Beiträge auf Jahreslöhnen über etwa 100 000 Franken erhöhen die Rente der Betroffenen nicht und sind damit faktisch Steuern, welche die Renten der anderen subventionieren.

Die Gegenpole

Am 3. März stimmt die Schweiz über zwei Volksinitiativen mit völlig unterschiedlichen Stossrichtungen ab. Die eine Initiative kommt von den Gewerkschaften und fordert eine Erhöhung aller bestehenden und künftigen AHV-Renten um 8,3 Prozent. Die andere Initiative kommt von den Jungfreisinnigen und fordert eine schrittweise Erhöhung des ordentlichen Rentenalters zunächst von 65 auf 66 und danach eine Anbindung des Rentenalters an die Entwicklung der Lebenserwartung.

Auf den ersten Blick erscheint dies wie ein klarer Fall: Ein Vorstoss, der mehr Geld zulasten von anderen verspricht, ist viel attraktiver als ein Vorstoss, der nur mehr Arbeit verspricht.

Versteckspiel

Doch das ist eine optische Täuschung. In der Politik der Altersvorsorge geht es meist um versteckte Umverteilungen, und dies trifft auch hier zu. Die Initiative für höhere AHV-Renten ist nicht «angenehmer» für die Gesamtbevölkerung als die Initiative für ein höheres Rentenalter. Im Kern unterscheiden sich die beiden Volksvorstösse «nur» in den Umverteilungswirkungen auf die verschiedenen Jahrgänge und Einkommensgruppen.

Die AHV ist eine riesige Umverteilungsmaschine. Die Umverteilungen sind angesichts der Komplexität der Finanzströme schwer zu durchschauen. Das System ist überdies anfällig auf demografische Veränderungen: Die heutigen Erwerbstätigen zahlen für die heutigen Rentner, und die Erwerbstätigen von morgen sollen die Rentner von morgen finanzieren. Das funktioniert gut, solange die Erwerbsbevölkerung im Verhältnis zur Rentnerbevölkerung genügend gross ist und die Reallöhne deutlich wachsen. Diese Bedingungen trafen nach der Gründung der AHV 1948 lange zu.

Doch die Situation hat sich verändert. Die Geburtenrate ist zurückgegangen, die Löhne steigen nicht mehr so stark wie in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, und die laufende Zunahme der Lebenserwartung steigert ohne Erhöhung des Rentenalters automatisch die Rentenverpflichtungen des Sozialwerks. Umgerechnet auf Vollzeitstellen kamen 1991 auf jeden über 65-Jährigen rund drei 20- bis 64-jährige Erwerbspersonen; 2022 war das Verhältnis trotz gestiegenen Erwerbsquoten nur noch 1 zu 2,3. Dieses Verhältnis dürfte sich in den kommenden Jahrzehnten noch deutlich verschlechtern, weil die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen und die Lebenserwartung wahrscheinlich weiter steigt.

Zwei Hauptkanäle

Von grosser Bedeutung sind in der AHV zwei Umverteilungskanäle. Der eine geht von den Hochverdienern zu den Tiefverdienern kraft der erwähnten Quersubventionierung via Lohnbeiträge. Eine Mathematikerin des Bundesamts für Sozialversicherungen hatte 2016 vorgerechnet, dass aufgrund der Umverteilung von oben nach unten etwa 92 Prozent der AHV-Versicherten mehr bekommen, als sie einzahlen. Berücksichtigt man auch die Steuerzahlungen dieser Versicherten, dürfte die Quote der Nettoprofiteure tiefer sein und vielleicht zwischen 60 und 80 Prozent liegen.

Besonders gut versteckt ist die Umverteilung von Jung zu Alt, so dass niemand genau sagen kann, wie hoch diese Umverteilung ist. Für das Verständnis der politischen Mechanismen in der Altersvorsorge ist ein Befund zentral: Die Wirkungen politischer Massnahmen zur AHV auf die Umverteilungskanäle von oben nach unten und von Jung zu Alt verlaufen typischerweise im Gleichklang: Was die Umverteilung von oben nach unten erhöht, erhöht auch die Umverteilung von Jung zu Alt. Und was die Umverteilung von Jung zu Alt bremst, bremst auch die Umverteilung von oben nach unten.

Politische Parteien von links bis rechts haben ein Interesse, die Älteren zulasten der Jungen stark zu subventionieren, denn über 60 Prozent der Urnengänger sind mehr als 50 Jahre alt. Die Linke will zudem die Umverteilung von oben nach unten maximieren und hat deshalb ein doppeltes Interesse, die AHV-Maschinerie laufend auszubauen.

Die Verlockung des Ausbaus

Eine Erhöhung der AHV-Renten erhöht die Umverteilung von oben nach unten, denn mehr Leistungen führen zu mehr Subventionen (die mehrheitlich von den Gutbetuchten finanziert sind). Gleichzeitig nimmt auch die Umverteilung von Jung zu Alt zu – denn Rentenerhöhungen greifen sofort, während die Finanzierung erst später erfolgt nach dem Motto «Je jünger, desto teurer».

Die AHV ist zurzeit nicht nachhaltig finanziert. Gemäss den jüngsten Szenarienrechnungen des Bundes rutscht das Sozialwerk ohne Reformen ab etwa 2031 in die roten Zahlen. Diese summieren sich im mittleren Szenario bis 2050 auf über 100 Milliarden Franken.

Zum Stopfen der künftigen Finanzlöcher sind folgende Massnahmen denkbar: Senkung der Jahresrenten, Erhöhung des ordentlichen Rentenalters, mehr Steuerfinanzierung (etwa via Bundeskasse, Mehrwertsteuer oder Nationalbank), mehr Lohnbeiträge.

«Gerecht» ist unpopulär

Wer Generationengerechtigkeit will (definiert als möglichst gleichmässige Verteilung der Lasten auf alle Jahrgänge), erreicht das Ziel am ehesten mit der Senkung der Jahresrenten – wobei man die 15 bis 20 Prozent Ärmsten durch Erhöhung der Ergänzungsleistungen schadlos halten könnte. Diese Massnahme würde alle Jahrgänge betreffen. Doch kein Politiker mit Überlebenstrieb wagt es, die Rentner mit einem solchen Vorschlag zu verärgern. Die Volksinitiative der Gewerkschaften fordert mit dem starken Rentenausbau sogar das exakte Gegenteil und würde gemäss Bundesschätzungen Zusatzkosten von 4 bis 5 Milliarden Franken pro Jahr verursachen. Ein Pendant in der Klimapolitik wäre eine Volksinitiative zur Erhöhung des CO2-Ausstosses.

Nach der Rentensenkung die zweitbeste Massnahme aus Sicht der Generationengerechtigkeit wäre die Erhöhung des ordentlichen Rentenalters. Dies fordert die Volksinitiative der Jungfreisinnigen. Ein bedeutender Schönheitsfehler: Die jetzigen Rentner, die als Gesamtgruppe finanziell mindestens so gut dastehen wie die Erwerbstätigen, kämen zulasten der Jüngeren völlig ungeschoren davon. Immerhin wären alle Erwerbspersonen unter 65 in ähnlichem Umfang betroffen. Die Finanzierung der Gewerkschaftsinitiative alleine wäre mit einer Erhöhung des ordentlichen Rentenalters um etwa ein Jahr möglich. Für die Finanzierung aller Rentenversprechen bis 2050 inklusive Gewerkschaftsinitiative wäre eine Erhöhung um drei bis vier Jahre erforderlich. Doch Popularitätspreise sind auch mit der Erhöhung des Rentenalters nicht zu gewinnen.

Die Finanzierung via Zusatzsteuern würde die Älteren klar bevorzugen und stösst deswegen auf weniger Widerstand. Ein 70-Jähriger müsste zum Beispiel einen Aufschlag auf der Mehrwertsteuer vielleicht noch 20 Jahre lang bezahlen, ein 20-Jähriger dagegen 70 Jahre lang. Für die Finanzierung der Gewerkschaftsinitiative braucht es laut Bundesschätzung zusätzlich 1,1 Mehrwertsteuerprozente pro Jahr. Für ein finanzielles Gleichgewicht der AHV bis 2050 einschliesslich Gewerkschaftsinitiative wäre eine Erhöhung um 3,4 Prozentpunkte nötig.

Am schlechtesten für die Generationengerechtigkeit wäre die Finanzierung durch Lohnbeiträge: Ein 20-Jähriger müsste Zusatzabgaben noch 45 Jahre lang bezahlen, ein 60-Jähriger nur fünf Jahre lang, und Rentner müssten überhaupt nichts zahlen. Die Gewerkschaftsinitiative würde laut Behördenschätzung nebst einer Bundesmilliarde pro Jahr zusätzlich 0,8 Lohnprozente kosten; für ein finanzielles Gleichgewicht der AHV bis 2050 würde es 2,6 Lohnprozente brauchen. Die Finanzierung via Lohnprozente würde die Umverteilung von Jung zu Alt und von oben nach unten maximieren und ist darum die bevorzugte Variante mancher Linken.

Was wollen die Stimmbürger?

Wollen auch die Stimmbürger eine möglichst grosse versteckte Umverteilung von Jung zu Alt und von oben nach unten, ist die Erhöhung der Renten mit späterer Finanzierung durch höhere Lohnbeiträge ein wirksamer Weg dazu. Wer die Umverteilung bremsen will, wäre mit einem höheren Rentenalter weit besser bedient. Wer die Umverteilung von oben nach unten steigern will, aber gleichzeitig nicht auch die Hypotheken für die Jungen erhöhen will, sollte den Ausbau der AHV ablehnen und stattdessen für eine stärkere Steuerprogression kämpfen.

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