Zwei Drittel der Schweizer träumen von einer 13. AHV-Monatsrente: Plötzlich wird ein massloser Sozialstaat salonfähig Nur jeder Dritte will aber das Rentenalter an die Lebenserwartung knüpfen. Um dieses Ergebnis noch zu drehen, braucht es die Solidarität der älteren mit den jungen Bürgern.

Nur jeder Dritte will aber das Rentenalter an die Lebenserwartung knüpfen. Um dieses Ergebnis noch zu drehen, braucht es die Solidarität der älteren mit den jungen Bürgern.

Wenn der Bancomat nichts mehr ausspuckt. Die AHV gerät ohne Gegenmassnahmen in den 2030er Jahren in Unterdeckung. (Foto: Mika Baumeister auf Unsplash)

Das müsste bürgerliche Kreise alarmieren: Traut man einer Umfrage des Gewerkschaftsbundes, sind 70 Prozent der Stimmbürger für eine 13. AHV-Rente. Gewiss, eine Umfrage ist noch keine Abstimmung, und bis im März, wenn der Souverän das letzte Wort haben wird, fliesst noch viel Wasser die Aare herunter. Doch das Anliegen ist bei allen Schichten, Altersgruppen und in allen Regionen beliebt. Selbst bei den FDP-Anhängern beträgt die Zustimmung 56 Prozent, bei der SVP 65 Prozent.

Nun lässt die Initiative offen, wie die zusätzlichen 5 Milliarden Franken an Kosten finanziert werden sollen. Nötig wären neben einer Milliarde durch den Bund zum Beispiel 0,8 Prozentpunkte an Lohnabzügen (Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag), die über die Zeit zunähmen. Die Befragten wurden immerhin darauf hingewiesen, dass es eine 13. AHV-Rente nicht «gratis» gibt.

Die hohe Zustimmung lässt befürchten, dass die Zeiten, in denen sich die Schweiz gegenüber dem Ausland durch eine zurückhaltende Sozialpolitik auszeichnete, vorbei sind. Man erinnert sich zum Beispiel an die klare Ablehnung der Initiative für sechs Wochen Ferien (66,5 Prozent Nein) und derjenigen für ein bedingungsloses Grundeinkommen (77 Prozent Nein) sowie die Abfuhr für einen nationalen Mindestlohn (76 Prozent Nein). Diese Urnengänge liegen indes allesamt schon einige Jahre zurück.

Gewarnt sein sollte man zudem durch die Abstimmung über die Angleichung des Rentenalters für Frauen auf 65 Jahre, die letztes Jahr nur hauchdünn angenommen wurde. Doch auch diese kleine Reform ändert langfristig nichts daran, dass die AHV ohne Gegenmassnahmen finanziell bald in Schieflage gerät. Durch den Renteneintritt der Babyboomer steigt die Summe der Renten in den nächsten zehn Jahren von 48 auf 63 Milliarden Franken pro Jahr.

Das Rentenalter bei der Gründung der AHV 1948 lag wie heute bei 65 Jahren. Doch damals lebte ein Pensionär im Schnitt noch 12 Jahre, heute sind es bereits 20 Jahre, und 2050 werden es schätzungsweise 24 Jahre sein (Zahlen für Männer). Anders gesagt: Genösse man heute einen gleich langen Ruhestand wie 1948, müsste man bis 73 Jahre arbeiten.

Es liegt deshalb auf der Hand, wie man die AHV sanieren sollte: Die Schweiz müsste das Pensionierungsalter an die Lebenserwartung koppeln. In skandinavischen Ländern ist dies längst selbstverständlich. Eine Initiative der Jungfreisinnigen, über die im März ebenfalls abgestimmt wird, will denn auch genau dies: Das Rentenalter 67 würde dabei voraussichtlich im Jahr 2043 erreicht.

Doch selbst diese moderate Initiative scheint im Moment chancenlos: Lediglich 30 Prozent können sich eine Annahme vorstellen, 67 Prozent sind dagegen. Einzig die Sympathisanten der FDP können sich mit der Initiative aus ihren Reihen anfreunden.

Es ist wohl nicht zu hoch gegriffen, die Abstimmung vom März als Richtungswahl zu sehen. Sie wird Auskunft darüber geben, wohin sich der Schweizer Sozialstaat entwickelt. Mit einem Ausbau der ersten Säule würde die Umverteilung stark zu- und die Eigenverantwortung für die Altersvorsorge abnehmen.

Wer deshalb für eine solide finanzierte AHV eintritt, die den Grundbedarf deckt, muss Gas geben, um die Leute noch davon zu überzeugen – gefordert sind gerade auch die Wirtschaftsverbände. Zwar spricht allein schon die «kalte» ökonomische Logik dafür, dass bei einer zunehmenden Lebenserwartung der grössere Teil der zusätzlichen Zeit zum Arbeiten genutzt wird, damit man den Rest als Freizeit geniessen kann. Doch das wird nicht reichen, um neben dem Kopf auch die Herzen zu erobern.

Deshalb sollte man zu einem Begriff Zuflucht nehmen, den sonst gerne die Gewerkschaften auf ihren Schild heben: die Solidarität. Die junge Generation zahlt mit ihren Beiträgen die AHV der Rentnergeneration. Aber Solidarität ist keine Einbahnstrasse. Gefordert ist jetzt die Solidarität der älteren mit der jüngeren Generation: Wenn die ältere Generation etwas länger arbeitet, sorgt sie dafür, dass die Jungen nicht auf dem ungedeckten Check eines masslosen AHV-Ausbaus sitzenbleiben.

Christoph Eisenring, «Neue Zürcher Zeitung»

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