Geldregen über Zürich: Die vom Himmel fallenden Noten waren echt – und vieles deutet auf Guerilla-Marketing hin Ein Schweizer Startup bediente sich in der Vergangenheit ähnlicher Methoden, um seine Vitamingetränke zu bewerben.

Ein Schweizer Startup bediente sich in der Vergangenheit ähnlicher Methoden, um seine Vitamingetränke zu bewerben.

Ein Netz, so gut gefüllt mit Bargeld, dass es raschelt. (Foto: Oracle Comics via Tiktok)

Am Wochenende machte Zürich dem Klischee alle Ehre, wonach in der Limmatstadt das Geld derart reichlich vorhanden ist, dass es wortwörtlich vom Himmel regnet.

Bündelweise Zehnernoten flatterten am Samstag auf die Chinawiese herab. Abgeworfen wurde das Bargeld von einer Drohne. Im Park am Zürichseeufer standen bereits Hunderte bereit, um den Geldsegen zu empfangen.

Die Aktion war zuvor von einem Benutzer namens «Oracle Comics» auf der Kurzvideo-Plattform Tiktok angekündigt worden. Er werde Zehnernoten im Wert von 24 000 Franken unter die Leute bringen, lautete das Versprechen.

In Videoaufnahmen ist ein Mann zu sehen, der an einem Tisch mit stapelweise Zehnernoten hantiert. Seine Identität verbirgt er hinter einer goldenen Maske. Ein weiteres Video zeigt ein Netz, das an einer Drohne hängt und das vor lauter Noten raschelt.

Auch die Aktion selbst wurde auf Video verewigt. Zu sehen sind kreischende, rennende und fuchtelnde Menschen. Manch einer hat sich zwecks besserer Fangquote mit einem umgedrehten Regenschirm bewaffnet, jemand anderes hat einen Kescher mitgenommen.

Allerdings hat der Geldregen ein Nachspiel. Im Gedränge wurde ein Jugendlicher mit einem spitzen Gegenstand schwer verletzt, wie die Polizei am Sonntag schrieb. Der 12-Jährige habe mit der Ambulanz ins Spital eingeliefert werden müssen.

Zum Opfer sowie zu möglichen Tatverdächtigen machte die Polizei am Montag auf Anfrage keine Aussagen. Die Ermittlungen laufen.

Jemand gab sich vor Ort der Polizei zu erkennen

Die Videos aus Zürich haben in der Zwischenzeit ein Millionenpublikum gefunden. Zwei Fragen treiben die Leute um: Ist das Geld echt, und wer steckt hinter dem Ganzen?

Die erste Frage ist schnell beantwortet. Laut Polizei handelte es sich nicht um Falschgeld. Bis jetzt gebe es jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, sagt die Sprecherin Judith Hödl. Fleissige Hamsterer rühmen sich denn auch online mit ihrer neuen Barschaft.

Die Frage, wer hinter dem Trubel steckt, ist schwieriger zu beantworten. Der Polizei ist der Veranstalter bekannt. Vor Ort habe sich jemand zu erkennen gegeben, sagt Hödl. Der Rest sei Gegenstand der laufenden Ermittlungen.

Die Aktion war der Stadtpolizei im Vorfeld nicht bekannt gewesen, wie Judith Hödl weiter mitteilt. Es sei kein Gesuch eingegangen, «dieses wäre auch nicht bewilligt worden». Es handle sich deshalb um eine unbewilligte Aktion.

Gerade beim Drohnenflug über der Menschenmenge dürfte jedem Drohnenpiloten klar sein, dass derlei Manöver nicht erlaubt sind. Die Polizei ermittelt entsprechend dazu, ob Vorschriften im Umgang mit Drohnen verletzt wurden. Auch Verletzungen der Bewilligungsvorschriften würden abgeklärt.

Wer oder was auch immer hinter dem Geldregen steckt, man hat sich gehörig ins Zeug gelegt. Denn es scheint nicht die einzige Nacht-und-Nebel-Aktion gewesen zu sein. Vielmehr gehört sie zu einer Abfolge von mehreren öffentlichkeitswirksamen Stunts.

Wenige Tage vor dem Drohnenflug lädt der Nutzer «Oracle Comics» einen Comic auf seinem Tiktok-Account hoch: Ein junger Mann namens Oracle, natürlich mit goldener Maske, erzählt darin von seinen Visionen. Ein Wissenschafter, zufälligerweise Albert Einstein wie aus dem Gesicht geschnitten, hat eine neuartige Superkraft entdeckt. Und böse wie gute Mächte, zufälligerweise in Gestalt mancher Bundesrätinnen und Bundesräte, wollen sich diese zu eigen machen. Alles auf Schweizerdeutsch gehalten, durchaus professionell gestaltet.

Das Bestechende daran ist aber weniger der Plot als vielmehr, dass manche Comicszene in die Realität umgesetzt wird. Einmal steht die Attrappe eines goldenen Tesla-Cybertrucks irgendwo in der Agglomeration, einmal schleicht jemand mit Albert-Einstein-Maske um leuchtende Glaskästen, die in der Zürcher Bahnhofstrasse aufgestellt wurden.

Alles nur, um Flaschen zu verkaufen?

In den sozialen Netzwerken kursieren Gerüchte, dass es sich um Guerilla-Marketing handelt. Bei derlei Werbung geht es weniger darum, ein Produkt oder eine Botschaft direkt zu kommunizieren, als vielmehr darum, die Leute zum Spekulieren zu animieren. Oft erkennen die Leute die Werbebotschaft gar nicht, die sie online weiterverbreiten.

Vor allem eine Getränkefirma aus Glattbrugg wird auf den Plattformen immer wieder genannt. Die Firma, deren Vitamingetränke laut eigenen Angaben auch in der Migros und im Coop vertrieben werden, fiel in der Vergangenheit durch vergleichbare Aktionen auf. Manch einer spekuliert sogar, die Firma bringe bald einen neuen Drink heraus. Er heisse zufälligerweise «24 Karat Gold».

Auf Anfrage der NZZ will sich der Firmeninhaber nicht zum Vorfall äussern. Die Frage, ob sein Startup hinter dem Geldregen stecke, dementiert er nicht. Er sagt, er werde später zurückrufen. Doch der Rückruf bleibt aus. Auch eine schriftliche Anfrage bleibt unbeantwortet.

In Videos gibt sich die Firma sonst weniger zurückhaltend. Gerade auch Utensilien wie Masken oder Drohnen setzt man gerne für Gags ein. So liess das Unternehmen einmal ein maskiertes Double des amerikanischen Rappers Travis Scott durch das Open Air Frauenfeld spazieren – natürlich mit einer geschickt platzierten Flasche in der Hand. Es gab eine ziemliche Aufregung unter den Festivalbesuchern. Mehrere Schweizer Newsportale nahmen die Geschichte auf.

Ein andermal wurde eine «20 000-Franken-Drohne» eingesetzt, um über dem Zürichsee eine fliegende Untertasse zu mimen. Das «Ufo» leuchtete natürlich in der Form der Marken-Initialen. Auch diese Aktion verbreitete sich online rasant.

Vieles spricht also dafür, dass der Getränkehersteller hinter der Aktion auf der Chinawiese steckt. Etwas allerdings spricht dagegen: Im Unterschied zu früheren Streichen ist beim Geldregen kein Markenlogo auszumachen.

Was nicht ist, kann aber noch werden. Denn beim Guerilla-Marketing geht der Ablauf so: Je nachdem, wie die Öffentlichkeit reagiert, gibt man weitere Aspekte bekannt. Oder man zieht sich zurück oder distanziert sich scharf. Nichts davon ist bisher eingetroffen. Die Öffentlichkeit darf also weiter gespannt sein.

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