«Den Verbrennungsmotor brauchen wir im globalen Verkehrssektor noch sehr viel länger, als es in Europa viele erwarten», sagt Arnd Franz, Chef des Automobilzulieferers Mahle Der in der Krise steckende Mahle-Konzern passt sich an die Welt der E-Mobilität an, hält aber weiterhin am Verbrennungsmotor fest. Laut dem Konzernchef Franz sollte sich Berlin für die Wasserstoffwirtschaft und die dafür nötige Transport- und Tankinfrastruktur bereitmachen.

Der in der Krise steckende Mahle-Konzern passt sich an die Welt der E-Mobilität an, hält aber weiterhin am Verbrennungsmotor fest. Laut dem Konzernchef Franz sollte sich Berlin für die Wasserstoffwirtschaft und die dafür nötige Transport- und Tankinfrastruktur bereitmachen.

(Bild: Theo auf Unsplash)

Das Ende des Verbrennungsmotors werden einige deutsche Autozulieferer wohl nicht überleben. Mahle aus der Autohochburg Stuttgart soll nicht dazugehören. Dafür sind jedoch weiterhin gewaltige Anstrengungen nötig, denn Mahle stand jahrzehntelang vor allem für Motorkolben.

Seit einer Dekade arbeitet der Konzern jedoch an der Transformation. «Ich bin überzeugt, dass wir die notwendige Grösse, die notwendigen Produktions- und Entwicklungsnetzwerke sowie Kundenverbindungen haben, um die Transformation zu schaffen», sagt der Konzernchef Arnd Franz im Gespräch. «Es liegt in unseren Händen.»

Thermo-Management als wichtigstes Zukunftsgeschäft

Der Konzern ist nach den Platzhirschen Bosch, ZF Friedrichshafen und Continental einer der grössten deutschen und europäischen Automobilzulieferer. Doch die vergangenen fünf Jahre waren turbulent: Das Unternehmen schrieb teilweise deutliche Verluste, und der interne Kampf um die richtige Strategie hat eine Handvoll Konzernchefs verschlissen. Franz ist seit November 2022 bei Mahle tätig und setzt voll auf das inzwischen wichtigste Geschäftsfeld Thermo-Management, wozu die Batteriekühlung und die Fahrzeugklimatisierung gehören.

«Wir gehen davon aus, dass sich der Markt für Thermo-Management-Produkte stark vergrössern wird, der globale Umsatz könnte sich für Mahle verdoppeln oder sogar verdreifachen», sagt Franz. «Und wir werden in diesem Segment überproportional wachsen.»

Der gebürtige Stuttgarter verweist dabei auf die globale Produktionsinfrastruktur und das umfassende Portfolio an Komponenten und Modulen für das Thermo-Management. Im Zentrum steht unter anderem die Batteriekühlung. Auf der diesjährigen Branchenmesse IAA Mobility hatte Mahle im Herbst eine neuartige Batteriekühlplatte vorgestellt.

In den Geschäftseinheiten Thermo-Management sowie Elektronik und Mechatronik begleitet Mahle sozusagen den Energiefluss durch das Fahrzeug, von der Ladeinfrastruktur über Batteriesysteme bis zum elektrischen Antrieb.

Dabei optimiert der Konzern die Betriebstemperatur der Leistungselektronik, den Motor, die Batterien und vieles mehr. Zudem wird dank einer Immersionskühlung für Traktionsbatterien die Ladezeit für die Akkus von E-Autos stark verkürzt – das ist aus der Sicht von Mahle ein technologischer Durchbruch.

Zu den Innovationen der vergangenen Jahre gehört neben der genannten Immersionskühlung auch ein magnetfreier Elektromotor, bei dem die Übertragung der elektrischen Ströme im Inneren des E-Motors zwischen rotierenden und stehenden Teilen kontaktlos und daher verschleissfrei erfolgt.

Abnehmer dafür hat Mahle zwar offenbar noch nicht, doch das soll sich bald ändern. «Wir sind in der Vorentwicklung mit verschiedenen Kunden und gehen davon aus, dass wir in den nächsten Jahren entsprechende Serienanläufe haben werden», erklärt Franz. Beide Produkte seien inzwischen «sehr reif».

Sinkender Umsatz mit dem Verbrennungsmotor

Neben dem Thermo-Management gehören die Elektronik und die Mechatronik zu den Zukunftsgeschäftsfeldern des Unternehmens, das dieses Jahr seinen 103. Geburtstag gefeiert hat. Dazu gibt es noch die Geschäftsbereiche Motorsysteme und Komponenten, Filtration und Motor-Peripherie sowie das Ersatzteilgeschäft.

Mahle ist ebenso wie Bosch ein Stiftungsunternehmen. 99,9 Prozent der Anteile gehören der gemeinnützigen Mahle-Stiftung, welche die Namensgeber Hermann und Ernst Mahle 1964 ins Leben gerufen haben. Im Rahmen der Transaktion verzichteten sie auf einen Grossteil ihres persönlichen Vermögens. Die restlichen 0,1 Prozent gehören dem Verein zur Förderung und Beratung der Mahle-Gruppe, der zugleich 100 Prozent der Stimmrechte hält.

Die Aufgabe für Franz bei Mahle ist schwierig, denn der Umsatz mit Produkten für den Verbrennungsmotor sinkt, und beim Thermo-Management gib es einen immer grösseren Wettbewerb, weil viele Zulieferer inzwischen auf dieses Segment setzen. Dazu kommen hohe Schulden, eine geringe Eigenkapitalquote und ein niedriges Rating.

Der Manager kennt den Konzern gut. Franz arbeitete bereits von 2002 bis 2019 für Mahle, unter anderem als Leiter des Controllings und Ersatzteilgeschäfts, und war ab 2013 in der Geschäftsführung des Konzerns. Danach wechselte er als Konzernchef zu LKQ Europe mit Sitz im Kanton Zug. LKQ ist in Europa nach eigenen Angaben der führende Ersatzteilehändler für Autos, Nutz- und Industriefahrzeuge.

Elektromobilität erfordert weniger Mitarbeiter

Mahle beschäftigt noch rund 72 000 Mitarbeiter, von ihnen gut 10 000 in Deutschland. Über die Hälfte der Stellen stehen in Verbindung mit dem Verbrenner. «Die Kompetenz für den Verbrennungsmotor am Standort Deutschland ist besonders ausgeprägt», sagt Franz. «Für die Elektromobilität werden am Ende aber deutlich weniger Mitarbeiter erforderlich sein. Auch bei einem steigenden Umsatz wird die Beschäftigung bei dieser Entwicklung nicht mithalten.» Die Zahl der Standorte werde deshalb voraussichtlich abnehmen.

Die grossen Veränderungen würden aber erst ab der zweiten Hälfte des Jahrzehnts kommen. Mahle hat deshalb im neuen Tarifvertrag eine Beschäftigungsgarantie in Deutschland bis Ende 2025 gegeben, inklusive einer Weiterbildungsinitiative für die 10 500 Mitarbeiter.

Der Strukturwandel betrifft nicht nur Deutschland, sondern die gesamte EU. Derzeit gebe es in Europa etwa 700 000 Mitarbeiter in der Automobilzulieferindustrie. Studien sprächen davon, dass der Beschäftigungsschwund über 40 Prozent der heutigen Arbeitsplätze treffen könne, sagt Franz. «Ich halte das für plausibel.»

Im Hinblick auf die Veränderungen erscheint es umso wichtiger, dass Deutschland die Standortbedingungen verbessert. Aus der Sicht von Franz gehören dazu vor allem wettbewerbsfähige Energiekosten, die digitale und physische Infrastruktur sowie eine Entbürokratisierung der öffentlichen Verwaltung. Deutschland importiert etwa 70 Prozent seines Primärenergiebedarfs. «Wir glauben nicht, dass sich daran viel ändern kann», sagt Franz. «Das bedeutet, dass wir die 70 Prozent Energieimporte von heute fossil auf künftig CO2-frei umstellen müssen.»

Bedarf an Wasserstoff und klimaneutralen Kraftstoffen

Der Konzern setzt dabei stark auf Wasserstoff. Wenn man die Frage der Dekarbonisierung erfolgreich bewältigen wolle, brauche man mehrere Antworten. Zu diesen Antworten gehörten vor allem die Batterie und der Elektroantrieb. «Wir brauchen aber auch nachhaltige Kraftstoffe, nämlich Wasserstoff und klimaneutrale Kraftstoffe für bestehende Fahrzeuge», sagt Franz, «besonders für den Gütertransport im Schwerlastverkehr.»

Als Wasserstofftechnologien bieten sich dabei aus seiner Sicht vor allem die Brennstoffzelle und der Wasserstoffverbrennungsmotor an. Beide Technologien würden in den nächsten Jahren marktfähig, der Wasserstoffverbrennungsmotor noch vor der Brennstoffzelle. «Deutschland muss sich deshalb für eine Wasserstoffwirtschaft mit entsprechender Tankinfrastruktur bereitmachen», sagt Franz. Das Land benötige ein leistungsfähiges Netzwerk, um Wasserstoff zu transportieren und zu verteilen.

Berlin und Brüssel sollten ausserdem die regulatorischen Leitplanken so setzen, dass sich E-Fuels in bestimmten Segmenten in Europa entwickeln könnten. Mahle begrüsst daher ausdrücklich die Initiativen des Bundesverkehrsministers Volker Wissing zur Unterstützung der klimaneutralen Kraftstoffe. Wissing hatte sich für deren Zulassung in Brüssel starkgemacht.

Die Brennstoffzelle habe ihre Stärke bei schweren Lasten und mittellangen Distanzen. Bei sehr schweren Lasten und sehr langen Distanzen sei der Wasserstoffverbrennungsmotor im Vorteil. Den Einsatz der Brennstoffzelle bei Nutzfahrzeugen hält Franz ab dem Jahr 2027 für möglich. Wasserstoffverbrenner könne man früher einsetzen, Voraussetzung sei jedoch der weitere Ausbau der Tankinfrastruktur.

Kosten und Wirtschaftlichkeit im Fokus

Mahle hat jüngst vom Kölner Motorenhersteller Deutz einen Serienauftrag für die Entwicklung und Lieferung von Komponenten bekommen, die Deutz ab 2024 in stationäre Wasserstoffmotoren einbauen will. Derlei Motoren lassen sich laut Mahle mit regenerativ erzeugtem Wasserstoff klimaneutral betreiben, da bei der Energieumwandlung des Wasserstoffs kein CO2 entsteht. «Wir glauben, das ist erst der Anfang. Es wird viele weitere Lösungen geben. Jeder Spediteur, jeder Flottenbetreiber, jeder Fahrzeugführer muss seine eigenen Entscheidungen treffen», sagt Franz. Dabei stünden Kosten und Wirtschaftlichkeit im Fokus.

Vom Verbrennungsmotor will Mahle trotz Fokussierung auf die Elektromobilität vorerst nicht lassen. «Den Verbrenner brauchen wir im globalen Verkehrssektor noch sehr viel länger, als es in Europa viele erwarten», prognostiziert Franz. Mahle will bei dieser Technologie weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Das würden auch die Kunden erwarten. Selbst wenn Europa den Verbrennungsmotor aussortiere und seine Bedeutung in anderen grossen Märkten wie China, den USA und Japan sinke, werde die Technologie für viele Entwicklungs- und Schwellenländer eine lange und wohl zunehmende Bedeutung haben.

Michael Rasch, «Neue Zürcher Zeitung»

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