Gesperrter Gotthard-Basistunnel blockiert die Lieferketten – unsere Versorgung ist deswegen aber nicht gefährdet Je länger die Güterzüge nicht durch den Gotthard fahren können, desto schwieriger für die Wirtschaft. Die BLS bekräftigt deshalb ihre Forderung nach einem Vollausbau des Lötschbergs und stösst damit auf offene Ohren im Bundesrat.

Je länger die Güterzüge nicht durch den Gotthard fahren können, desto schwieriger für die Wirtschaft. Die BLS bekräftigt deshalb ihre Forderung nach einem Vollausbau des Lötschbergs und stösst damit auf offene Ohren im Bundesrat.

Braucht es auch hier durchgehend zwei Spuren, um Probleme im Gotthard ausgleichen zu können? Blick auf die Einfahrt zum Lötschberg-Basistunnel in Frutigen. (Foto: Christoph Ruckstuhl / NZZ)

Wegen der Entgleisung eines Güterzuges ist der Gotthard-Basistunnel seit vergangenem Donnerstag (10. 8.) gesperrt und kann erst ab dem 23. August wieder befahren werden; vorerst nur durch eine der beiden Röhren. Im Jahr 2021 wurden über und durch die Alpen in der Schweiz 38 Millionen Tonnen Güter transportiert. Davon passierte fast die Hälfte den Gotthard auf der Schiene. Fehlen nun in der Schweiz bald wichtige Produkte, weil die Gütertransporte auf der Nord-Süd-Achse eingeschränkt sind?

Der Gotthard dient vor allem dem Transitverkehr

Benjamin Giezendanner von der gleichnamigen Logistikfirma sagte gegenüber SRF, dass die Inlandversorgung eine längere Sperrung zu spüren bekäme. So könne man unter Umständen gewisse Güter wie Stickstoff und Sauerstoff für Tessiner Spitäler nicht mehr transportieren, wenn der Strassenverkehr nach den Ferien in Italien wieder zulege.

Doch ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass dieser Binnenverkehr nur einen verhältnismässig kleinen Teil der Nutzung des Gotthards ausmacht. Nur 6 Prozent des Volumens sind für die Schweiz gedacht, auf der Strasse sind es gleichenorts 16 Prozent. Auch Import und Export sind vergleichsweise unbedeutend. Den Löwenanteil macht vielmehr der Transitverkehr aus.

Trotz der hohen Bedeutung des Gotthards für den alpenquerenden Güterverkehr braucht man sich hierzulande also keine Sorgen wegen einer Unterversorgung zu machen. Sowieso wird die Schweiz in erster Linie von den grossen europäischen Häfen in Rotterdam (Niederlande) und Antwerpen (Belgien) von Norden her versorgt. Was dann von da weiter über die Alpen geht, ist in erster Linie für Italien bestimmt. Zudem können die inländischen Frachtzüge auch über die alte Gotthard-Bergstrecke geführt werden.

Problematischer sieht es hingegen für den Transitverkehr aus. Denn es gibt keinen Alpenübergang, über den mehr Güter per Zug transportiert werden als über den Gotthard. Nimmt man die Nachbarländer Frankreich und Österreich hinzu, liegt sein Marktanteil bei 15 Prozent.

Dieser Transitverkehr sucht sich nun während der Sperrung andere Wege. Denn internationale Konvois mit ihren 4-Meter-Containern können zum Beispiel nicht über die alte Gotthard-Bergstrecke verkehren. Normalerweise durchqueren pro Tag bis zu 260 Güterzüge den Gotthard-Basistunnel. Ein Teil davon wird nun durch den Lötschberg umgeleitet. Doch ist dessen Aufnahmekapazität beschränkt. Die BLS schreibt, dass im Durchschnitt täglich 80 Güterzüge durch ihren Basistunnel fahren. Nun bietet man wegen des Unfalls einen Zug mehr pro Stunde und Richtung an. Mehr sei nicht möglich.
 
Erschwerend kommt hinzu, dass nicht nur der Gotthard gesperrt ist, sondern dass Züge bis am 23. August auch die Brenner-Strecke nicht befahren können, da dort Bauarbeiten durchgeführt werden. Immerhin ist für die Route über Österreich eine Ausweichstrecke vorgesehen. Dennoch dürfte für viele die Strasse die naheliegendste Alternative sein.
 

Gotthard-Sperrung verstärkt Rückverlagerung auf Strasse

Hupac, die Marktführerin beim kombinierten Verkehr auf der Schiene in Europa, transportiert alle möglichen Güter durch den Gotthard, darunter Speiseöl, Autoteile, chemische Grundstoffe, Textilien, Baumaterial und Informatikprodukte. Die Firma will nun auf die Lötschberg-Route ausweichen. Allerdings gibt es dort Einschränkungen, was Höhe, Breite und Gewicht der Züge betrifft.

Die Firma rechnet mit hohen Zusatzkosten und Umsatzausfällen, kann diesen Schaden aber noch nicht genauer beziffern. Im Fall einer längeren Sperrung befürchtet Hupac insbesondere einen Verlust des Vertrauens in den kombinierten Verkehr mit langfristigen negativen Auswirkungen.

Tatsächlich kommt die Blockade in einem ungünstigen Moment für die Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs. Hupac wies schon bei der Jahresmedienkonferenz Anfang Mai darauf hin, dass aufgrund der hohen Energiepreise und wegen zu vieler Ausfälle und Probleme bei der Pünktlichkeit eine Rückverlagerung auf die Strasse stattfinde.

Energieintensive Branchen wie Chemie, Stahl und Papier sind derzeit in Europa stark unter Druck. Sie setzen beim Transport traditionell auf die Bahn. Entsprechend nimmt nun aber ihre Nachfrage ab und damit auch die Auslastung des kombinierten Verkehrs und dessen Wettbewerbsfähigkeit.

Dazu kommt, dass die Bahnunternehmen mit Verweis auf die gestiegenen Stromkosten die Preise erhöht haben. Das verschlechtert das Preis-Leistungs-Verhältnis der Schiene weiter, das bereits unter sinkenden Kosten für Strassentransporte und der ungenügenden Pünktlichkeit leidet.

Hupac befürchtet, dass 5 Prozent des Volumens von 2022 im laufenden Jahr wegen der schleppenden Konjunktur wegfallen und bis zu 15 Prozent auf die Strasse verlagert werden. Und das war noch, bevor der Gotthard-Basistunnel für den Güterverkehr gesperrt worden ist.

Während bisher vor allem die Zufahrtsstrecken in den Nachbarländern Italien und insbesondere Deutschland wegen Kapazitätsengpässen und Qualitätsproblemen zu reden gaben, ist nun für einmal die Schweiz das Sorgenkind. Allerdings sollten die Probleme am Gotthard einfacher und schneller zu bewältigen sein als beispielsweise der für die Neat wichtige durchgehend vierspurige Ausbau der Rheintalbahn von Karlsruhe nach Basel. Frühestens 2040 soll es so weit sein.

Braucht es einen Vollausbau des Lötschberg-Basistunnels?

Dennoch nutzt gerade die BLS den Moment, um nun ihre Forderung nach einem Ausbau der Kapazitäten für den Schienenverkehr durch die Schweiz zu bekräftigen. Zwei Routen seien für einen zuverlässigen Schienenverkehr zwischen Norden und Süden elementar, teilt die BLS mit. Mit einem Vollausbau des Lötschberg-Tunnels könne nicht nur die Kapazität dieser Achse erhöht werden, sondern auch die Fahrplanstabilität und die Flexibilität bei unvorhergesehenen Ereignissen verbessert werden.

Am Mittwoch hat nun der Bundesrat mitgeteilt, dass er dem Parlament genau diesen Vollausbau zur Genehmigung vorlegen werde. Ein Entscheid dazu könnte also noch dieses Jahr fallen. Der Lötschberg-Basistunnel ist derzeit nur teilweise auf zwei Spuren ausgebaut. Einen Teilausbau hat das Parlament bereits 2019 bewilligt.

Doch auch dieses Projekt ist selbstverständlich keine kurzfristige Lösung für die Probleme am Gotthard. Die BLS geht derzeit von einem Baustart ab 2026 aus.

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