Handelsabkommen mit Indien: ein pragmatischer Erfolg und eine Wette auf das indische Wirtschaftswunder Die Einigung mit Indien verhilft den Efta-Ländern zu einem echten Wettbewerbsvorteil. Es brauchte viel Flexibilität und die Bereitschaft, ein unorthodoxes Versprechen zu machen.

Die Einigung mit Indien verhilft den Efta-Ländern zu einem echten Wettbewerbsvorteil. Es brauchte viel Flexibilität und die Bereitschaft, ein unorthodoxes Versprechen zu machen.

Bundesrat Guy Parmelin und seine Amtskolleginnen und -kollegen aus Island, Liechtenstein und Norwegen haben am Sonntag in Delhi mit dem indischen Handelsminister Piyush Goyal ein Freihandelsabkommen unterzeichnet. (Foto: PD)

Es hat geklappt. Nach sechzehnjährigen komplizierten und schwierigen Verhandlungen haben der indische Handels- und Wirtschaftsminister Piyush Goyal, der schweizerische Bundesrat Guy Parmelin und Minister der übrigen Efta-Mitglieder Norwegen, Island und Liechtenstein am Sonntag in Delhi ihre Unterschriften unter den Text eines 69 Seiten langen Handelsabkommens gesetzt. Anders als der EU, Grossbritannien und Kanada ist es damit der kleinen Europäischen Freihandelsassoziation (Efta) gelungen, das Zeitfenster bis zu den anstehenden indischen Wahlen zu nutzen.

Ein echter Vorteil für die Industrie

Das ist ein Erfolg. Er bietet der indischen Seite die Gelegenheit, die Übereinkunft im Wahlkampf als Beweis hinzustellen, dass das historisch sehr protektionistische Land es unter Ministerpräsident Narendra Modi ernst meint mit der wirtschaftlichen Öffnung und dass es bei Hightech-Herstellern im Westen auf Interesse stösst.

Auf schweizerischer Seite ist das Abkommen vor allem für die schweizerischen Uhrenhersteller und Maschinenbauer ein Lichtblick am sonst eher düsteren Horizont. Sobald es in Kraft tritt, werden die Uhrenhersteller den Wachstumsmarkt Indien zollfrei und die Maschinenbauer zollfrei oder zu deutlich reduzierten Zollsätzen beliefern können – sofern die Swissness eingehalten ist und mindestens ein bestimmter Anteil in der Efta hergestellt wurde. Die schweizerischen Produzenten erhalten damit gegenüber anderen westlichen Anbietern einen substanziellen Wettbewerbsvorteil – zurzeit sind Zollsätze von um die 20 Prozent üblich.

Den erfolgreichen Verhandlungsabschluss gesichert hat ein gerüttelt Mass an Pragmatismus. Die Abdeckung des Abkommens beträgt zwar beachtliche 95,3 Prozent der Zolltarife (ohne Gold). Doch es werden nicht einfach alle Zölle auf null reduziert, wie dies die Schweiz bei Industriegütern schon getan hat. Je nach Zollposten gibt es Übergangsfristen und während Übergangsperioden von fünf bis zehn Jahren reduzierte Tarife.

Für die Pharmaindustrie bietet das neue Abkommen vorerst eher kleine Verbesserungen. Zugesichert wird neu, dass Waren auch dann in Indien Patentschutz geltend machen können, wenn Firmen nicht vor Ort produzieren. Die Anzahl Gerichtsverfahren und deren Dauer sollen beschränkt werden, wenn indische Konkurrenten Einspruch gegen Patentschutz erheben. Und pharmazeutische Testdaten sollen besser vor dem Zugriff von Konkurrenten geschützt werden, wobei man sich allerdings bisher noch nicht auf eine Dauer einigen konnte.

Die schweizerische Pharmaindustrie scheint eingesehen zu haben, dass der Spatz in der Hand besser ist als die Taube auf dem Dach und sie sich zugunsten der übrigen Industrie besser zurücknimmt.

Unorthodoxe Investitionsambitionen

Vor allem enthält die Übereinkunft ein sehr unorthodoxes Investitionspromotionskapitel. Die Efta-Seite erklärt darin die Ambition, Investitionen von 10o Milliarden Dollar und die Schaffung von einer Million Jobs zu ermöglichen. Das war offenbar die Voraussetzung dafür, dass eine Einigung erzielt werden konnte. Das Versprechen ist enorm gross im Verhältnis zu den 10,7 Milliarden Dollar, die Firmen aus Efta-Ländern laut Statistiken der Weltbank bisher in Indien investiert haben. Und es ist zumindest unorthodox, wenn man bedenkt, dass Staaten gar keine privaten Investitionen versprechen können.

Die Ambition ist wohl primär als pragmatische Wette zu verstehen. Die indische Seite ist überzeugt, dass sie mit ihrer Reformpolitik in den nächsten Jahren die Voraussetzungen dafür schafft, dass Indien ungestüm wachsen und zu einer echten Alternative zu China werden wird. Sollte dies zutreffen, so werden Firmen aus dem Efta-Raum daran teilhaben können und durch das neue Handelsabkommen einen Wettbewerbsvorteil haben.

Das Potenzial ist gross. Die Bevölkerungen von Indien und China sind derzeit gleich gross, doch während China 18 Prozent zur weltweiten Wirtschaftsleistung beisteuert, sind es bei Indien erst 3 Prozent. Ohne Gold verkauft die Schweiz gegenwärtig erst 0,7 Prozent ihrer Exporte nach Indien.

Ob es Indien tatsächlich endlich gelingen wird, die notorischen Probleme zu überwinden, ist offen. So oder so wirken die in Aussicht gestellten Investitionen sehr ambitiös. Auch wäre es keine gute Idee, solche Investitionsziele zu einem neuen Standard für Freihandelsabkommen zu machen. Doch das Abkommen mit Indien sieht vor, dass man nach 15 Jahren gemeinsam Bilanz zieht und es dann weitere 5 Jahre dauert, bevor Indien allenfalls einseitig Zollbefreiungen zurückziehen kann, sollte es die Versprechen als nicht erfüllt erachten. Bis dahin wird noch viel Wasser den Ganges hinunterfliessen.

Das eine tun und das andere nicht lassen

Das Abkommen, auf das man sich geeinigt hat, wird der Exportwirtschaft verbesserten Marktzugang bieten und damit den Wohlstand der Schweiz wie auch Indiens stärken. Es sollte nicht ein einsamer Erfolg bleiben. Eine Einigung mit den Mercosur-Ländern scheint ebenfalls in Griffweite und sollte nun nicht verpasst werden. Wobei die EU (50 Prozent) und die USA (18 Prozent) für die Schweiz noch lange die mit Abstand wichtigsten Exportdestinationen bleiben werden. Auch mit diesen gilt es die Beziehungen abzusichern.

Das eine tun und das andere nicht lassen: Der Erfolg vom Sonntag ist eine pragmatische Wette auf ein indisches Wirtschaftswunder. Es stärkt die Hoffnung, dass die Schweiz handelspolitisch handlungsfähig bleibt und ihre Trümpfe geschickt auszuspielen weiss. Hoffentlich nimmt es nun schnell die parlamentarischen Hürden und kann bald in Kraft gesetzt werden.

Peter A. Fischer, «Neue Zürcher Zeitung»

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