Du-Kultur, agile Teams, keine Chefs: New-Work-Ideen sind so beliebt wie noch nie – aber meist doch nur PR Militärische Vorgesetzte will niemand zurück. Aber zu viele Freiheiten in der Firma können auch schaden. Während die Axa Titel abschafft, buchstabieren andere Firmen schon wieder zurück.

Militärische Vorgesetzte will niemand zurück. Aber zu viele Freiheiten in der Firma können auch schaden. Während die Axa Titel abschafft, buchstabieren andere Firmen schon wieder zurück.

Im Team zu besseren Entscheidungen kommen. New Work greift um sich. (Foto: Shridhar Gupta auf Unsplash)

Diese Schlagzeile legte es auf faule Sprüche an: «Schweizer Grosskonzern schafft Chefs ab», titelte der «Blick» Anfang Woche auf Seite 1. Wie genau das funktioniere, erklärte ausgerechnet – Sie ahnen es schon – die Personalchefin.

Konkret geht es um den Versicherungskonzern Axa Schweiz. Er verzichtet ab sofort auf hochtrabende Titel wie «Vice Director» oder «Director» und strafft gleichzeitig die Hierarchieebenen. Neu gibt es bei der Axa 13 sogenannte «Joblevel» und 450 Jobprofile. Die Firma ist also weit von einer egalitären Organisationsform entfernt.

Bei den Jobprofilen müsse noch nachgebessert werden, räumt die Axa-Personalchefin Daniela Fischer ein. «Da steckt teilweise noch zu viel alte Welt drin.» Damit ist das Schlagwort gesetzt: alte und neue Arbeitswelt. Oder auch: New Work.

Das ist der Sammelbegriff für alle Arten von Ideen, mit denen das Arbeiten weniger starr und von oben herab gestaltet werden soll. Es reicht vom firmenintern verordneten Duzen über neu gestaltete Kaffee-Ecken bis hin zu selbst organisierten Teams und anderen Formen von Mitbestimmung.

Der Staatskonzern Swisscom etwa arbeitet schon seit zehn Jahren mit sogenannt «agilen» Teams – viel Business-«Denglisch» inklusive. Laut der Firmen-Webseite starte der Tag mit einem «Daily Stand-up», also einem täglichen Austausch. Dabei stelle man sich selbst die Frage, wie man sein Team am besten unterstützen könne – unter anderem in der Selbstorganisation, Problemlösung, Konfliktnavigation und Kommunikation.

Ziel ist, den einzelnen Einheiten mehr Verantwortung zu übertragen, in der Hoffnung, dass dadurch bessere Resultate erzielt werden. Von den 16 000 Swisscom-Angestellten arbeiten rund 5000 mit solchen Strukturen. Meist sind es Informatiker und Produktentwickler.

Die sogenannte Holakratie, eine Organisationsform, welche Hierarchien weitgehend abschafft, ist vor allem bei IT-Firmen beliebt. Die Zürcher Web-Agentur Liip oder das Crowdfunding-Unternehmen We Make It orientieren sich daran.

In der Pflege wiederum arbeiten diverse Schweizer Spitex-Organisationen mit dem niederländischen Buurtzorg-Modell. Dieses sieht vor, dass die Angestellten sich weitgehend selbst organisieren – Schichtplan inklusive. Die Patientinnen und Patienten, ihre Angehörigen sowie teilweise sogar ihre Nachbarn werden dabei mit einbezogen.

«Lohnarbeit im Minirock»

Gerade wird viel experimentiert. «Die Bedeutung neuer Arbeitsformen nimmt massiv zu, vor allem in den letzten zwei, drei Jahren», sagt Patrick Mollet, Mitinhaber von Great Place To Work Schweiz, einer international tätigen Beratungsfirma, die sich einer «vertrauensbasierten» Arbeitsplatzkultur verschrieben hat.

Es gebe mehrere Gründe dafür, sagt Mollet. Der technologische Wandel ermögliche mehr Flexibilität. Bestes Beispiel dafür ist Home-Office, wofür es neben einer guten Internetverbindung auch sichere Zugänge zum Firmennetzwerk braucht.

Hinzu kommt der Fachkräftemangel, der Arbeitnehmenden mehr Verhandlungsspielraum gibt. Vor allem aber finde ein Wertewandel statt, sagt Mollet: «Die Leute fragen sich: Lebe ich für die Arbeit, oder arbeite ich fürs Leben?»

Wichtiger Treiber seien die jungen Leute. Die Generation Z mit Jahrgang 1995 bis 2010 drängt auf den Arbeitsmarkt. «Sie ist vielleicht die erste Generation, die das neue Arbeiten konsequent einfordert», sagt Mollet.

Von «New Work» rede er nicht gerne, sagt Mollet. «Es suggeriert, dass man einfach den Schalter von Old Work zu New Work umlegen kann.» Wenn man unter dem Begriff aber neue Ansätze des Arbeitens verstehe, dann könne er ihm viel Positives abgewinnen.

Begründer der New-Work-Bewegung ist der amerikanisch-österreichische Philosoph Frithjof Bergmann, der vor drei Jahren verstorben ist. Er studierte Ende der siebziger Jahre die Arbeitskultur in den Ostblockstaaten und kam zum Schluss, dass der real existierende Sozialismus keine Zukunft habe. Als Gegenmodell kreierte er New Work. Er verstand darunter Arbeit, die man wirklich, wirklich will. Auf die Betonung des zweiten «wirklich» kam es Bergmann an.

«Er meinte damit in erster Linie kreative Entfaltung. Wenn uns neue Technologien immer effizienter machen, bleibt mehr Raum fürs Schreiben von Büchern, Bauen von Skulpturen oder was auch immer uns glücklich macht», sagt der emeritierte deutsche Wirtschaftsprofessor von der Uni Potsdam, Dieter Wagner. Wenn man zum Beispiel Überzeit ansammle, um dann ein kreatives Sabbatical einzulegen, komme das Bergmanns Ideen sehr nahe.

Der Experte für Organisationsformen kannte Bergmann persönlich. «New Work ist Philosophie, Technik und PR in einem. Die meisten Firmen, die New Work propagieren, haben die Ideen von Frithjof Bergmann nicht wirklich verstanden», sagt Wagner. Das bedeute jedoch nicht, dass die Initiativen nichts taugten.

Bergmann ärgerte sich selbst zeitlebens, wie mit seinem Begriff Schindluder betrieben wurde. Firmen würden das, was er New Work nenne, nur oberflächlich umsetzen, sagte er 2019 in einem Interview mit dem deutschen «Handelsblatt». «Man macht vielerorts nur die Lohnarbeit attraktiver, sympathischer und netter. Man kann auch sagen: Es ist Lohnarbeit im Minirock.»

Nur für Bürogummis?

Das grundsätzliche Problem des heutigen Verständnisses von New Work: Die praktische Umsetzung funktioniert fast nur in Büros. «Fragt man einen Logistik-Angestellten, der unter Zeitdruck Pakete ausliefern muss, nach New Work, erntet man höchstwahrscheinlich Gelächter. New Work ist vor allem für eine privilegierte Schicht möglich», sagt Dieter Wagner.

Dem pflichtet der Zürcher Personalmarketing-Experte Jörg Buckmann bei. «Es ist gut, dass Strukturen hinterfragt werden. Es will niemand die militärischen Chefs zurück.» Doch bei den New-Work-Ideen sei auch nicht alles Gold, was glänzt, sagt Buckmann. «Auf dem Papier mögen es super Konzepte sein. In der Realität gibt es jedoch schon auch ein paar Aber.»

So zeigen Umfragen, dass jüngere Menschen gar keine Lust aufs Chef-Sein haben. «Das beisst sich ein wenig mit der Idee, dass jeder Mitarbeiter Verantwortung übernimmt», sagt Buckmann.

Er sieht auch die Gefahr, dass Betriebe ineffizient werden, wenn alle mitdiskutieren können. Zudem hätten viele Menschen ein hohes Bedürfnis nach Sicherheit. Es gebe entsprechend viele Mitarbeiter, die klare Strukturen schätzen würden. «Diese kann es schnell überfordern, wenn von oben gesagt wird, dass jetzt jeder ein kleiner Chef ist», sagt Buckmann.

Bereits machen die Organisationsexperten ein Ende des Hypes aus. So pfeifen viele Unternehmen ihre Angestellten aus dem Home-Office zurück. Der deutsche IT-Gigant SAP machte jüngst Schlagzeilen, weil er wieder auf mehr Kontrolle und Bewertung des eigenen Personals setzt. «Wenn man es positiv formulieren will, könnte man sagen: Die alte Welt und die neue Welt pendeln sich ein», sagt der Wirtschaftsprofessor Wagner.

Patrick Mollet hingegen ist überzeugt: «Die Zahnpasta bringt man nicht mehr zurück in die Tube.» Starre Strukturen und fremdgesteuertes Arbeiten würden nicht mehr mit dem heutigen Wertesystem zusammenpassen. Damit müssten sich Unternehmen auseinandersetzen. «Ob man es nun New Work nennt oder nicht.»

Moritz Kaufmann, «NZZ am Sonntag»

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