Professorin an der ESB Business School: «In Firmen mit Präsenzpflicht sind Mitarbeitende weniger loyal» Johanna Bath, Professorin an der ESB Business School, sagt im Gespräch, weshalb Führungskräfte die Leistung der Angestellten im Home-Office weniger gut einschätzen. Und warum eine Präsenzquote nicht wirkt.

Johanna Bath, Professorin an der ESB Business School, sagt im Gespräch, weshalb Führungskräfte die Leistung der Angestellten im Home-Office weniger gut einschätzen. Und warum eine Präsenzquote nicht wirkt.

Johanna Bath, Professorin an der ESB Business School: «Viele Firmen geben dem Home-Office die Schuld an ihren Problemen.» (Bild: PD)

Frau Bath, viele Firmen holen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurück ins Büro. Wie sehen das die Angestellten?

Sehr unterschiedlich. Rund ein Drittel arbeitet am liebsten so viel wie möglich mobil, gleichzeitig will etwas weniger als ein Drittel die meiste Zeit im Büro arbeiten. Die Präferenzen der übrigen Angestellten liegen breit verteilt irgendwo zwischen diesen Extremen. Die wenigsten bevorzugen eine ausgeglichene Verteilung zwischen Home-Office und Arbeiten vor Ort.

Droht dadurch eine Spaltung der Belegschaft?

Diese Gefahr besteht durchaus. Die Firmen hatten gehofft, dass die Präferenzen der Angestellten einheitlicher sind und viele eine relativ ausgeglichene Verteilung von Home-Office und Präsenz wünschen. Da sich die Büros nicht wieder belebt haben, verpflichten jetzt viele Unternehmen ihre Angestellten, eine bestimmte Anzahl von Tagen vor Ort zu verbringen.

Wie zielführend ist eine solche Präsenzquote?

Diverse Studien zeigen, dass eine Präsenzquote nicht wie gewünscht wirkt. Zwar hat sich die Zahl der spontanen Begegnungen im Büro dadurch leicht erhöht, doch die gewünschten Effekte sind ausgeblieben. Weder Kreativität, Innovationskraft noch die Kommunikation haben sich durch Quoten per se verbessert. Menschen identifizieren sich deswegen auch nicht stärker mit ihrem Arbeitgeber und sind nicht loyaler. Im Gegenteil, wir sehen sogar eine Korrelation zu einer geringeren Identifikation in «Quotenunternehmen». In Firmen mit Präsenzpflicht sind Mitarbeitende weniger loyal. Ein Gradmesser dafür ist, dass Angestellte in «Quotenfirmen» ihre Arbeitgeber im Durchschnitt deutlich seltener weiterempfehlen als Mitarbeitende in Firmen ohne Quote.

Wo sollten Unternehmen stattdessen ansetzen?

Das Ende der Pandemie gab den Firmen die Möglichkeit, sich auf der grünen Wiese zu überlegen, wie sie in Zukunft arbeiten und wie sie die Chancen des mobilen Arbeitens für sich nutzen wollen. Doch die wenigsten haben dies getan. Im Gegenteil: Viele Firmen geben dem Home-Office die Schuld an ihren Problemen und erhoffen sich eine automatische Verbesserung, wenn nur wieder mehr Menschen im Büro arbeiten. Doch schon vor der Pandemie haben wir nicht im Paradies gelebt: Es gab Kommunikationsprobleme, ineffiziente Prozesse und Konflikte. Anstatt sich in Diskussionen um die optimale Anzahl Präsenztage zu verlieren, sollten die Unternehmen die tiefer liegenden Probleme identifizieren und angehen.

Führungskräfte befürchten, dass Mitarbeitende im Home-Office weniger produktiv sind . . .

Beim Home-Office besteht eine Diskrepanz zwischen der Sichtweise der Chefs und jener der Mitarbeitenden. Diverse Studien – unter anderem eine Befragung von Microsoft bei über 30 000 Teilnehmenden – zeigen, dass Führungskräfte die Produktivität der Mitarbeitenden viel geringer einschätzen als die Mitarbeitenden selbst. Letztere geben an, dass sie genauso produktiv arbeiten wie im Büro.

Wer ist näher an der Wahrheit, die Chefs oder die Angestellten?

Die Mitarbeitenden schätzen die Realität besser ein. Diverse Studien haben deren Selbsteinschätzung mit der tatsächlichen Produktivität verglichen und kommen zum Schluss, dass die Angestellten ihre Leistung in anonymen Befragungen gut einschätzen. Auch quantitative Studien zeigen, dass Mitarbeitende zu Hause ebenso produktiv arbeiten wie im Büro. Führungskräfte geben in Befragungen übrigens ebenfalls an, dass ihre Leistungsfähigkeit im Home-Office nicht leidet.

Fehlt es den Führungskräften an Vertrauen?

Die meisten Chefs sind keine Mikromanager und Kontrollfreaks. Sie wollen eine gute Beziehung zu den Teammitgliedern pflegen. Häufig liegt es daran, dass sie nicht geübt darin sind, explizit nach Zielen zu führen, kritisches und konstruktives Feedback zu geben und regelmässig einen Dialog über die Prioritäten zu führen. Sie vermeiden solche Gespräche unter Umständen sogar, wenn diese zu Konflikten führen. Mit der Zeit wird es ihnen unwohl, weil sie nicht mitkriegen, was ihre Mitarbeitenden leisten. Im Büro fällt diese fehlende Dialogbereitschaft weniger ins Gewicht: Die Chefin erfährt implizit, woran die Mitarbeiterin gerade arbeitet, und der Mitarbeiter entwickelt ein Gespür dafür, welche Erwartungen der Vorgesetzte an ihn hat, ohne dass explizit darüber gesprochen wird.

Hat dies zur Folge, dass Vorgesetzte einen weniger guten Draht zu den Angestellten im Home-Office haben?

Ja. Untersuchungen haben ergeben, dass viele Führungskräfte, die vorwiegend im Büro arbeiten, einen ausgeprägten Proximity-Bias haben. Das heisst, sie haben fälschlicherweise den Eindruck, dass Teammitglieder, die sie am Bürotisch sitzen sehen, mehr leisten als ihre Kolleginnen und Kollegen im Home-Office. Die Teammitglieder im Büro sind für sie greifbarer: Sie kommen ihnen als Erstes in den Sinn, wenn es um lästige Aufgaben, aber auch, wenn es um spannende Projekte oder um Beförderungen geht.

Natalie Gratwohl, «Neue Zürcher Zeitung»

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