Weniger Arbeit bei vollem Lohn: Ein Architekt und ein Hotelier erzählen, warum sich die Viertagewoche für ihren Betrieb lohnt Kann eine Viertagewoche auch in Branchen mit langen Arbeitszeiten funktionieren? Zwei Zürcher Betriebe haben einen Weg gefunden.

Kann eine Viertagewoche auch in Branchen mit langen Arbeitszeiten funktionieren? Zwei Zürcher Betriebe haben einen Weg gefunden.

Einen Tag weniger arbeiten als bei der Konkurrenz, und das zum gleichen Gehalt: Was nach einem Traum klingt, wird auch in der Schweiz zunehmend Realität. Immer mehr Betriebe testen die Viertagewoche und lassen ihre Mitarbeiter freitags frei machen.

Beim Zürcher Architekturbüro toblergmür ist das Konzept schon seit vier Jahren Standard – in einer Branche, die normalerweise für lange Arbeitszeiten bekannt ist. Während in den meisten Betrieben 42 Stunden gearbeitet wird, kommen die Architekten bei toblergmür nur 35 Stunden die Woche ins Büro. «Man kann die Stunden in vier Tagen machen oder sie sich auf fünf Tage aufteilen», erklärt der langjährige Mitarbeiter Samuel Waehry.

Bei toblergmür ist man überzeugt, dass kürzere Arbeitszeiten auch für das Unternehmen gut sind. Denn Mitarbeiter, die ausgeruht ins Büro kommen, können konzentrierter und fokussierter arbeiten. «Es hilft sehr, dass man auch mal einen Nachmittag frei machen und den Kopf frei bekommen kann», findet Samuel Waehry.

Die Mitarbeiter müssen flexibel sein

Waehry glaubt, dass er bei toblergmür in kürzerer Zeit genauso viel Arbeit erledigt wie bei anderen Architekturbüros. Damit das Konzept aufgehen kann, ist allerdings eine gewisse Flexibilität nötig. «In unserer Branche gibt es auch Phasen, in denen mehr gearbeitet werden muss, etwa bei Wettbewerben.» Die Viertagewoche funktioniere daher nur im Jahresarbeitszeit-Modell.

«Je mehr wir wachsen und je grösser unsere Projekte werden, desto mehr steht das Modell auch auf dem Prüfstand.» Bis anhin funktioniere es gut – sei aber nicht für jeden das richtige. Schliesslich müsse man bereit sein, in kürzerer Arbeitszeit ähnlich viel zu leisten wie mit sieben Stunden mehr.

Arbeitszeit als Wettbewerbsvorteil

Dennoch: Die Viertagewoche ist für toblergmür ein Wettbewerbsvorteil. «Auch wir spüren den Fachkräftemangel, gute Leute sind immer schwieriger zu finden», erklärt Samuel Waehry. Vor allem bei jüngeren Mitarbeitern sei die Arbeitszeit ein wichtiges Kriterium.

Ähnlich verhält es sich bei der Hotelgruppe 25hours Hotels. Hier wurde die Viertagewoche im Jahr 2021 eingeführt, mit dem Ziel, mehr Mitarbeiter anzulocken. Mit Erfolg, sagt Lukas Meier, General Manager der beiden Hotels in Zürich: «Heute haben wir überhaupt keine Schwierigkeiten mehr, Leute zu finden.»

Bei 25hours arbeiten die Angestellten etwas mehr als bei toblergmür, nämlich 38 Stunden. «Man macht jeden Tag eine Stunde mehr und hat dafür einen zusätzlichen Tag frei», erklärt Meier. Das Gehalt bleibt trotz der verringerten Arbeitszeit gleich.

Die Zahl der Ausfälle hat sich halbiert

Die Umsetzung des neuen Arbeitszeitmodells sei eine Herausforderung gewesen: «Als wir nach der Pandemie wieder öffnen konnten, hatten wir sowieso schon zu wenige Mitarbeiter. Und um die Viertagewoche umzusetzen, brauchten wir noch mehr.»

«Heute erhalten wir jede Menge Bewerbungen», sagt Meier. Die Herausforderung sei vielmehr, das richtige Personal zu finden. «Wenn jemand nur zu uns will, weil wir die Viertagewoche anbieten, und keine weitere Motivation mitbringt, dann ist diese Person falsch.»

Das Erstellen der Dienstpläne sei durch die neuen Arbeitszeiten nicht schwieriger geworden, im Gegenteil. «Das Mühsamste bei Dienstplänen sind Ausfälle und kurzfristige Krankschreibungen. Und die haben seit der Einführung der Viertagewoche massiv abgenommen», sagt Meier. «Statt mit zehn Krankheitstagen pro Mitarbeiter müssen wir jetzt nur noch mit fünf planen.» Die Leute kämen lieber zur Arbeit, seit das neue Arbeitszeitmodell gelte.

Nicht alle können profitieren

Obwohl alle Mitarbeiter ihre Arbeitszeit um 10 Prozent reduzierten, sind die Lohnkosten für 25hours nur um zwei Prozent gestiegen. Bei den Bürotätigkeiten habe man überhaupt kein zusätzliches Personal einstellen müssen, so Meier. Im Service arbeite man hingegen vermehrt mit Praktikanten sowie Teilzeit- und Aushilfskräften, die keine Viertagewoche haben.

So zeigt das Beispiel 25hours zugleich die Grenzen der Viertagewoche auf. Dass eine weitere Reduzierung der Arbeitszeit möglich sei, könne er sich nicht vorstellen, sagt Lukas Meier. Auch in manch anderen Hotelleriebetrieben hält er das Konzept für unrealistisch: «In den Bergregionen macht für mich eine Viertagewoche wenig Sinn. Wo die Gastronomie einen hohen Anteil hat, sind die Margen meist tiefer, und die Arbeitszeiten sind schwieriger anzupassen. Das System basiert darauf, dass man während der Saison viel arbeitet.» Weniger Arbeit bei gleichem Lohn bleibt also für viele weiter ein Traum.

Nelly Keusch, «Neue Zürcher Zeitung»

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