Die Wirtschaft steht hinter dem Neuanfang mit der EU – eine einheitliche Front ist dennoch nicht sicher Die Gewerkschaften wollen sich ihr Ja zu einem Abkommen mit der EU teuer abkaufen lassen. Doch den Arbeitgebern ist nicht nach Geschenken zumute.
Die Gewerkschaften wollen sich ihr Ja zu einem Abkommen mit der EU teuer abkaufen lassen. Doch den Arbeitgebern ist nicht nach Geschenken zumute.
Nach den Sondierungen ist vor den Verhandlungen: Zweieinhalb Jahre nach dem Ende des Rahmenabkommens will der Bundesrat erneut mit der EU über eine Neuordnung der bilateralen Beziehungen verhandeln. Das gab das Gremium am Mittwoch bekannt.
Zugeständnisse oder Konfrontation?
Ob dem jüngsten Anlauf Erfolg beschieden sein wird, entscheiden auch die Sozialpartner. Anfang Woche waren die Gewerkschaften einmal mehr ausgeschert. Sie geisselten die laufenden Gespräche mit der EU als Liberalisierungsprogramm. Die Bundesverwaltung habe einem Abbau des Lohnschutzes und des Service public zugestimmt, behaupteten der Schweizerische Gewerkschaftsbund und Travail Suisse.
Sie forderten den Bundesrat auf, diese Fehler zu korrigieren. Ferner müssten die Arbeitgeber endlich Hand bieten, um den Lohnschutz hierzulande zu verbessern. Adrian Wüthrich, der Präsident von Travail Suisse, zweifelte gegenüber der NZZ zudem daran, ob die Wirtschaft überhaupt eine Einigung mit der EU wolle.
Für die Arbeitgeber ist die Sache delikat. Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob die Wirtschaftsvertreter sich im Unterschied zum Rahmenabkommen diesmal einigermassen geschlossen hinter den Neuanfang mit der EU stellen. Sodann ist zu entscheiden, wie man auf die Forderungen der Gewerkschaften reagiert.
Entweder gehen die Arbeitgeber auf gewisse Forderungen ein und verbessern den Lohnschutz einmal mehr. Oder die Arbeitgeber bleiben diesmal hart und setzen auf Konfrontation – letztlich dann wohl auch in einer Volksabstimmung.
Spesen machen auch Wirtschaftsvertretern Mühe
Die drei grossen Wirtschaftsverbände Economiesuisse, Arbeitgeberverband und Gewerbeverband begrüssten am Mittwoch den Auftrag für ein Verhandlungsmandat einhellig.
Geregelte Beziehungen und Rechtssicherheit im Verhältnis mit der EU seien von «essenzieller Bedeutung», schrieb der Dachverband der Schweizer Wirtschaft, Economiesuisse. Bei den Sondierungen seien genügend Fortschritte erzielt worden, um Verhandlungen aufzunehmen.
Der Arbeitgeberverband betonte, dass ein möglichst problemloser EU-Marktzugang sehr wichtig sei. Die unsichere Beziehungssituation mit der EU sei eines der grössten Probleme für die exportorientierte Wirtschaft und für die Standortattraktivität.
Ähnlich tönte es beim Gewerbeverband. Der Marktzugang zur EU müsse gewahrt werden. Ein Verhandlungsmandat für eine Paketlösung sei ein «Schritt in die richtige Richtung».
Die Stimmung ist also in der Wirtschaft für die Ausarbeitung des Mandates positiv. Und auch die Reaktion auf die Forderungen der Gewerkschaften war am Mittwoch klar: Man setzt sich für den Erhalt des Lohnschutzes auf dem heutigen Niveau ein. Doch dessen Ausbau sowie weitere sozialpolitische Wünsche werden abgelehnt.
Die Gewerkschaften wollten durch die Ausdehnung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) flächendeckend Mindestlöhne einziehen, sagte Roland Müller, der Direktor des Abeitgeberverbandes. Das habe aber nichts zu tun mit den Problemen von Firmen, die von EU-Unternehmen mit entsandten Angestellten konkurrenziert würden. In betroffenen Branchen wie dem Bauhaupt- und Baunebengewerbe, der Reinigung, der Sicherheit und Hotellerie sowie Gastronomie gebe es bereits GAV.
Grundsätzlich ist der Arbeitgeberverband überzeugt, dass mit den während der Sondierungsgespräche mit der EU und im Austausch mit den Arbeitnehmervertretern gefundenen Lösungen das heutige Niveau beim Lohnschutz gewährleistet werden könne.
Ebenfalls Einigkeit besteht darin, dass die in der EU vorgesehene Spesenregelung für entsandte Mitarbeiter für die Schweiz problematisch ist. Das sehen auch die Gewerkschaften so. In dem Staatenbund soll zwar grundsätzlich am gleichen Ort für die gleiche Arbeit der gleiche Lohn bezahlt werden. Doch müssen entsandten Angestellten «nur» die Spesen gemäss ihrem Heimatland vergütet werden.
Hier wird der Bundesrat aufgefordert, in den Verhandlungen für Remedur zu sorgen.
Der Tag der Wahrheit kommt erst noch
Zu den pointiertesten Kritikern des gescheiterten Rahmenabkommens gehörte Autonomiesuisse. Die Vereinigung zählt auf ihrer Website detailliert auf, was ein akzeptables Abkommen für sie ausmacht. Stimmen die kolportierten Vereinbarungen der Unterhändler, so dürften einige Kritikpunkte entkräftet werden, andere nicht.
Ob das Gesamtpaket die Wirtschaft überzeugt, wird entsprechend erst klar sein, wenn der verhandelte Text vorliegt. Und dieser wird auch darüber entscheiden, zu welchen Zugeständnissen die Arbeitgeber allenfalls bereit sind, um die Chancen der «Bilateralen III» zu erhöhen.