Erlauben die US-Zölle eine Vertragsanpassung? Aktenzeichen KMU_today_009: Die Kolumne von André Brunschweiler, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei LALIVE in Zürich, gibt Antworten auf juristische Fragen, die Schweizer KMU beschäftigen können beziehungsweise beschäftigen sollten.

Aktenzeichen KMU_today_009: Die Kolumne von André Brunschweiler, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei LALIVE in Zürich, gibt Antworten auf juristische Fragen, die Schweizer KMU beschäftigen können beziehungsweise beschäftigen sollten.

 
Lieber Vorsorgen als Prozessieren: Gerichtliche Vertragsanpassungen sind selten und werden nur in echten Ausnahmefällen gewährt. (Adobe Stock)

«Pacta sunt servanda.» Schon die alten Römer verankerten die Vertragstreue als Fundament eines geordneten Zusammenlebens. Auch heute sichert sie Rechtssicherheit und Berechenbarkeit im Geschäft. Doch wie sich bei der Corona-Pandemie und aktuell bei den US-Zöllen zeigt, kann es nach Vertragsabschluss zu radikalen Veränderungen im Geschäftsumfeld kommen – Veränderungen, die das Festhalten an der ursprünglichen Vereinbarung für eine Partei ruinös machen können. Was gilt dann?

Vertragliche Abreden sind (grundsätzlich) einzuhalten

Ein Vertrag kommt zustande, sobald Antrag (Offerte) und Annahme in den wesentlichen Punkten übereinstimmen (Art. 1 Abs. 1 OR). Ab diesem Moment trägt jede Partei jeweils auf ihrer Seite grundsätzlich das Risiko späterer Entwicklungen – seien es sprunghafte Einkaufspreise, neue Zölle oder Störungen in der Lieferkette. Der Grundsatz ist klar: Ein Vertrag ist wie vereinbart zu erfüllen.

Die Ausnahme: Clausula rebus sic stantibus

Trotz dieser Strenge lässt das Schweizer Privatrecht einen schmalen Korridor für nachträgliche Vertragsanpassungen durch ein Gericht offen: das Prinzip der «clausula rebus sic stantibus».
Danach kann ein Vertrag ausnahmsweise doch angepasst oder aufgelöst werden, wenn:

  • sich die Verhältnisse seit Vertragsabschluss fundamental verändert haben,
  • diese Veränderung unvorhersehbar und unvermeidbar war,
  • was zu einem krassen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung führt (sogenannte gravierende Äquivalenzstörung),
  • ohne, dass eine Partei das entsprechende Risiko implizit oder explizit vertraglich übernommen hat.

Diese richterliche Vertragsanpassung ist zwar gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, wurde jedoch von der Rechtsprechung auf Basis allgemeiner Rechtsgrundsätze anerkannt. Wie der lateinische Ausdruck vermuten lässt, reicht das Prinzip zurück bis ins römische Recht.

Gerichtliche Praxis: äusserst restriktiv

Gerichtliche Vertragsanpassungen sind selten und werden nur in echten Ausnahmefällen gewährt. Bekannte Beispiele stammen oft noch aus der Zeit der Weltkriege (z.B. infolge von kriegsbedingten Lieferembargos). Selbst bei der Corona-Pandemie hingegen verweigerten die Gerichte in vielen Fällen eine Vertragsanpassung, weil Pandemien zum allgemeinen Lebensrisiko gehören und vertraglich hätten geregelt werden müssen. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung müssen die Parteien insbesondere bei langfristigen Verträgen damit rechnen, dass sich die Verhältnisse später ändern, die zur Zeit des Vertragsabschlusses bestanden hatten. Namentlich Gesetzesänderungen gelten grundsätzlich nicht als unvorhersehbar. Auch ist grundsätzlich jederzeit mit dem Ausbruch einer Pandemie respektive Epidemie zu rechnen. Rund um die aktuell neu eingeführten US-Zölle gibt es noch keinen Gerichtsentscheid. Es scheint jedoch fraglich, dass die Einführung der Zölle zu einer richterlichen Vertragsanpassung führen wird, ohne eine entsprechende Anpassungsklausel im Vertrag.

Gerichte würden wohl eher an ständiger Praxis festhalten, wonach eine richterliche Vertragsanpassung nur in Betracht kommt, wenn eine extreme, unvorhersehbare Änderung es unzumutbar und offensichtlich unbillig machen würde, einen Vertrag aufrechtzuerhalten. Selbst bei schweren Krisen hat das Bundesgericht in den meisten Fällen eine Anpassung abgelehnt – zur Wahrung von Rechtssicherheit und Vertragstreue.

Fazit: Vorsorgen ist besser als prozessieren

Aufgrund dieser strengen Gerichtspraxis sollten Unternehmen Risiken und Unsicherheiten bereits bei Vertragsabschluss klar zuordnen und regeln. Empfehlenswerte Instrumente sind etwa Preisanpassungsklauseln (z.B. Indexierung an Rohstoffpreise, Transportkosten oder Wechselkurse), sogenannte Force-Majeure-Bestimmungen, also für den Fall höherer Gewalt (etwa auch für Zölle oder Pandemien) sowie Härtefallklauseln für aussergewöhnliche Marktveränderungen (z.B. Neuverhandlung bei Steigerung der Einkaufspreise um mehr als 30%). Auch eine bewusste Risikoaufteilung im Vertrag und Exit-Optionen für den Fall schwerwiegender Änderungen sind sinnvoll. Bei langfristigen Verträgen sollten regelmässige Überprüfungen vorgesehen werden.

Eine sorgfältige vertragliche Gestaltung ist heute dringender denn je: Angesichts von Pandemie-Erfahrungen, Sanktionen, Zöllen und anderen Handelshürden wird es künftig noch schwieriger sein, sich auf die Unvorhersehbarkeit von Krisen zu berufen.

 

André Brunschweiler, Partner der Anwaltskanzlei Lalive in Zürich. (Foto: PD)

Rechtsanwalt André Brunschweiler ist spezialisiert auf die Beratung und Vertretung von Klienten in (meist strittigen) wirtschaftsrechtlichen Angelegenheiten mit einem Fokus auf Vertrags- und Gesellschaftsrecht, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht sowie Arbeitsrecht. Er ist Partner bei der Wirtschaftskanzlei Lalive, die von den Standorten in Zürich, Genf und London aus Unternehmen, Behörden sowie Privatpersonen in komplexen, vorwiegend internationalen Sachverhalten und vor allem Streitigkeiten berät.

Das könnte Sie auch interessieren: