So kommen Firmen mit einem «Buebetrickli» zu günstigerem Strom «Einmal frei, immer frei»: Betriebe, die ihren Strom auf dem Markt kaufen, dürfen nicht zurück in die Grundversorgung. So steht es im Gesetz. Doch es gibt ein Schlupfloch.

«Einmal frei, immer frei»: Betriebe, die ihren Strom auf dem Markt kaufen, dürfen nicht zurück in die Grundversorgung. So steht es im Gesetz. Doch es gibt ein Schlupfloch.

Bäckereien, die ihren Strom auf dem freien Markt einkaufen und sich nicht abgesichert haben, erhalten eine gesalzene Rechnung. Bild: Goran Basic / NZZ

Da ist diese Bäckerei, die vor der Krise für ihren Strom 100 000 Franken im Jahr bezahlt hat. Sie konnte sich jahrelang auf dem freien Markt günstig Strom besorgen. Doch jetzt kommt das böse Erwachen: Die Bäckersleute zahlen nun 1 Million Franken für die Elektrizität, die sie benötigen, um ihre Backöfen zu heizen. Sie haben zudem darauf verzichtet, sich gegen Strompreiserhöhungen abzusichern. Die Bäckerei ist kein Einzelfall: Aus allen Landesteilen sind Klagen von Firmen über die hohen Strompreise zu hören. Potenziell betroffen sind rund 22 000 Betriebe, die ihren Strom auf dem freien Markt einkaufen. Ein Teil davon dürfte sich abgesichert haben.

Bei den Haushalten ist es gerade umgekehrt. Sie haben jahrelang mehr bezahlt für den Strom als die Betriebe im freien Markt. Jetzt profitieren sie von den regulierten Stromtarifen in der Grundversorgung. Hier müssen sich nämlich die Tarife an den Gestehungskosten und den langfristigen Lieferverträgen orientieren. Bei den Gestehungskosten handelt es sich vereinfacht gesagt um die Selbstkosten. Die Regulierung führt dazu, dass die Strompreise für die Haushalte im Durchschnitt «nur» um 30 Prozent steigen dürften per Januar 2023, was weit unter den massiv gestiegenen Marktpreisen liegt.

Schlupfloch Verbrauchsgemeinschaft

Die Situation für den Bäcker – und andere Betriebe im freien Markt – würde sich massiv entspannen, wenn er wieder zurück in die Grundversorgung wechseln könnte. Der Aufschlag wäre viel moderater. Doch der Weg zurück in den regulierten Markt ist nicht möglich. So wollte es der Gesetzgeber nach dem Prinzip «Einmal frei, immer frei», festgehalten in der Verordnung zum Stromversorgungsgesetz von 2008.

Jetzt haben findige Betriebe allerdings ein Schlupfloch entdeckt. Es kommt daher unter dem sperrigen Namen «Zusammenschluss zum Eigenverbrauch» (ZEV). Seit 2018 können sich benachbarte Stromkonsumenten zu einer Gemeinschaft zusammentun. So kann beispielsweise Partei A ihren Solarstrom vom eigenen Dach den Nachbargebäuden B und C direkt verkaufen. Das hat für diese den Vorteil, dass sie keine Netzgebühren bezahlen und den Strom deshalb günstiger beziehen können. «Die Idee hinter ZEV ist, dass der Strom möglichst lokal produziert und konsumiert wird», sagt GLP-Präsident Jürg Grossen. Von ihm stammt der Antrag, den das Parlament 2016 ins Energiegesetz aufgenommen hat.

Nun hält das Energiegesetz fest, dass der Zusammenschluss wie ein einziger Endverbraucher zu behandeln ist. Das heisst, rechtlich tritt der ZEV und nicht die teilnehmenden Endverbraucher eigenständig auf. Dies ermöglicht, dass eine Firma, die heute ihren Strom auf dem freien Markt beschafft, über den Umweg einer Verbrauchsgemeinschaft zurück in die Grundversorgung wechseln kann. Das Energiegesetz und das Stromversorgungsgesetz widersprechen sich in diesem Punkt.

Grossen spricht von einem «Buebetrickli». Dies sei nicht im Sinne des Erfinders. Die Betriebe im freien Markt hätten lange von günstigen Preisen profitiert. «Es gab Bäckereien und Pizzerias, die absichtlich ihre Öfen länger laufen liessen, damit sie den notwendigen Stromverbrauch von 100 000 Kilowattstunden pro Jahr für einen Wechsel in den freien Markt erreichten», sagt der Politiker. Würden nun reihenweise Firmen zurück in die Grundversorgung wechseln, bringe dies Energieversorger in die Bredouille. Diese müssten den zusätzlichen Strom auf den Märkten teuer besorgen und dann zu den regulierten, günstigeren Preisen verkaufen.

Anstelle des «Buebetrickli» schlägt Grossen den Betrieben vor, Strom effizienter zu nutzen. Das Potenzial betrage bis zu 40 Prozent. Zudem könne ein Teil des Kostenanstiegs auf die Kunden überwälzt werden. Niemand gehe zur Konkurrenz, wenn die Pizza um 30 oder 50 Rappen aufschlage.

Für die Aufsicht ist das «Buebetrickli» zulässig

Für den Regulator hingegen ist das «Buebetrickli» zulässig. Die Elektrizitätskommission Elcom hat sich aufgrund von Anfragen von Betrieben und Stromversorgern zum Thema geäussert. Ein Zusammenschluss sei grundsätzlich eine neue Verbrauchsstätte, schreibt die Elcom. Bei seiner Gründung befindet sich der ZEV in der Grundversorgung. Weil der Zusammenschluss und der Endverbraucher im freien Markt nicht dieselbe wirtschaftliche Einheit seien, handle es sich um keine eigentliche Rückkehr in die Grundversorgung. Das tönt nach juristischer Spitzfindigkeit. Denn für den Betrieb, der seinen Strom auf dem freien Markt besorgt, bedeutet es ein Zurück in den regulierten Bereich.

Einen Vorbehalt macht die Elcom: Der Wechsel in die Grundversorgung darf nicht missbräuchlich sein. Was dies heisst, erläutert die Elcom indes nicht. Hinweise liefert der Bundesrat in seiner Antwort auf eine Interpellation des grünen Ständerats Mathias Zopfi. Missbräuchlich wäre beispielsweise, wenn der Betrieb die eigene Stromproduktion nicht oder nur marginal erhöht. Voraussetzung für einen ZEV ist, dass 10 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen selbst produziert wird.

Diese Hürde ist nicht allzu hoch. Bei einem jährlichen Stromverbrauch von 100 000 Kilowattstunden können die geforderten 10 Prozent Eigenproduktion mit einer rund 50 Quadratmeter grossen Photovoltaik-Anlage auf dem Dach erreicht werden. Eine rasche Umsetzung bremsen könnten jedoch die Lieferschwierigkeiten von Solarpanels.

Dennoch dürfte manch ein notleidender Betrieb versucht sein, via eine solche Verbrauchsgemeinschaft zurück in die Grundversorgung zu kommen. Der Netzbetreiber kann den ZEV grundsätzlich nicht verhindern. Er ist aber frei, von einem Gericht prüfen zu lassen, ob kein Rechtsmissbrauch vorliegt. Solche Verfahren mit Rekursmöglichkeiten sind aber sehr zeitintensiv.

Der Branchenverband VSE fordert deshalb von der Politik, die Frage zu klären, unter welchen Bedingungen Kunden in die Grundversorgung zurückkehren können. Das Departement von Bundesrätin Simonetta Sommaruga prüft derzeit zusammen mit der Elcom, ob eine Änderung des Gesetzes oder der Verordnung notwendig ist.

Grüne wollen das Konzept prüfen

Ständerat Zopfi rechnet damit, dass die Nachfrage nach den Verbrauchsgemeinschaften steigen wird. Es sei einer der Wege, um aus dem Markt in die Grundversorgung zu kommen. Er könnte sich deshalb vorstellen, solche Zusammenschlüsse für notleidende Betriebe so zu regeln, dass ein rascher Wechsel möglich wird. Das müsste mit der Auflage verbunden sein, eine gewisse Mindestdauer in der Grundversorgung zu bleiben und allenfalls verzögert einen Eintrittspreis zu bezahlen. Eine solche Regelung hätte laut Zopfi den positiven Nebeneffekt, dass die Firmen in PV-Anlagen investieren müssten. Die Grünen möchten dieses Konzept prüfen lassen.

Doch die Nachteile eines solchen Modells wiegen schwer. Während des Spiels würden die Regeln geändert. Die Betriebe hätten den Fünfer und das Weggli: Sie profitierten jahrelang von tiefen Strompreisen auf dem freien Markt und würden jetzt in der Grundversorgung vor starken Preisaufschlägen geschützt.

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