Der Kollaps des Chip-Marktes stellt Schweizer Firmen auf die Probe – kommt die Wende? Abseits der KI-Euphorie wandelt die Halbleiterindustrie im finsteren Tal. Während der Schweizer Zulieferer VAT reagierte, wiegte sich U-Blox in falscher Sicherheit. Jetzt wächst die Hoffnung auf den Aufschwung.

Abseits der KI-Euphorie wandelt die Halbleiterindustrie im finsteren Tal. Während der Schweizer Zulieferer VAT reagierte, wiegte sich U-Blox in falscher Sicherheit. Jetzt wächst die Hoffnung auf den Aufschwung.

(Foto: Vishnu Mohanan auf Unsplash)

Im Markt für Computerchips gibt es wenig Licht und viel Schatten. Aber das wenige Licht blendet extrem. Der Aufstieg von künstlicher Intelligenz (KI) regt die Phantasie der Anleger an. Der Aktienkurs von Nvidia, einem Hersteller von Chips für KI-Anwendungen, kletterte seit Jahresbeginn um mehr als 200 Prozent nach oben.

Doch der Rest der Chip-Welt ist auf Talfahrt: Bei Samsung, dem Smartphone-Riesen und auch weltgrössten Hersteller von Speicherchips, brach der Betriebsgewinn im dritten Quartal um 78 Prozent zum Vorjahreszeitraum ein – hauptsächlich wegen des schleppenden Chip-Geschäfts.

Man sollte es nicht erwarten, aber dieser hohe Rückgang stimmt Beobachter zuversichtlich. Die Kontraktion fiel nämlich kleiner aus als erwartet. Zudem war der Betriebsgewinn von umgerechnet knapp 2 Milliarden Dollar deutlich höher als in den zwei Quartalen zuvor. Samsung hofft, dass die Talsohle im Chipmarkt durchschritten ist.

VAT hat mehr verloren – und steht dennoch besser da

Das wünschen sich auch die Schweizer Zulieferer VAT und U-Blox. Sie wurden in diesem Jahr ebenfalls Opfer des grossen Abschwungs: Von Januar bis September lag der Umsatz bei VAT um 22 Prozent und bei U-Blox um 8 Prozent unter jenem des Vorjahreszeitraums. Dennoch steht VAT heute besser da als U-Blox, weil das Unternehmen früher auf die Krise reagierte. Hingegen erlebte U-Blox eine kalte Dusche.

Investoren sind sich einig, was ihnen lieber ist: VAT-Aktien sind gemessen am erwarteten Gewinn und am Buchwert um ein Vielfaches teurer als Papiere von U-Blox. Die Anleger trauen dem Unternehmen mehr zu und halten deshalb höhere Bewertungen für gerechtfertigt. Auch hat sich der Kurs bei VAT seit Herbst 2022 erholt, während er bei U-Blox im Verlauf von 2023 einbrach. Dort hat das Erwartungsmanagement nicht funktioniert, bei VAT schon.

Das Chip-Geschäft verläuft typischerweise in einem Zyklus von Übertreibung und Korrektur. Diesmal war das Auf und Ab besonders ausgeprägt: In der Pandemie explodierten die Konsumausgaben; die Nachfrage nach Elektronik und damit nach Chips schoss in die Höhe. Hersteller produzierten immer mehr. Händler füllten die Lager bis unter die Decke, um jeden Auftrag bedienen zu können.

«Circle of Knife» in der Halbleiterbranche

Dann endete der Boom. Rezensionsängste, Inflation und steigende Zinsen liessen Konsumenten zögern; Händler leerten ihre Lager, statt neue Chips zu bestellen. Halbleiterproduzenten strichen Investitionen in grössere Kapazitäten. Dagegen spielt sich der KI-Boom in einem Paralleluniversum ab.

VAT kennt den Zyklus. Die Firma aus Haag im Rheintal produziert Vakuumventile, die für Anlagen zur Halbleiterproduktion benötigt werden. VAT hatte im Juni Kurzarbeit für die beiden Werke am Stammsitz eingeführt. Davon waren rund 650 Mitarbeiter betroffen. Inzwischen wurde die Massnahme bis Ende November verlängert. Bereits 2018 und 2019, als der Markt ebenfalls eingebrochen war, hatte VAT Kurzarbeit angemeldet.

Es ist möglich, dass es bei der einmaligen Verlängerung bleiben wird. VAT erzielte im dritten Quartal zwar nur einen Umsatz von 210 Millionen Franken. Das sind 31 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Auch der Auftragseingang ist seither um fast die Hälfte erodiert – aber immerhin das zweite Quartal in Folge gestiegen. «Es gibt Hinweise, dass wir die Talsohle des Zyklus erreicht haben», zeigte sich Firmenchef Mike Allison am Donnerstag gegenüber Analytikern optimistisch. Das reichte, um die Aktien um knapp 4 Prozent klettern zu lassen.

U-Blox trifft auf Skepsis

Bei dieser Kursreaktion dürfte die Glaubwürdigkeit von VAT eine Rolle gespielt haben. Am Mittwoch hatte auch Stephan Zizala, der Chef von U-Blox, einen positiven Ausblick für den Rest des Jahres gewagt. Die Anzeichen für eine Besserung im vierten Quartal seien klar erkennbar, sagte er. Doch darauf reagierten die Aktien von U-Blox nicht.

Die Skepsis hat Gründe. U-Blox sei wieder in altes Fahrwasser geraten, tadelte in dieser Woche die Helvetische Bank. Gemeint ist die Neigung zu unerwarteten Gewinnentwicklungen und hohen Schwankungen, die schon die Vergangenheit der Firma aus Thalwil am Zürichsee geprägt habe. U-Blox entwirft unter anderem Positionierungschips, wie sie bei GPS-Anwendungen genutzt werden, und Verbindungschips für das Internet der Dinge.

Im März wurde das Ziel ausgegeben, im laufenden Jahr den Umsatz zwischen 6 und 16 Prozent zu steigern. Noch im Juli hielt U-Blox daran fest – was angesichts der schlechten Branchenlage für Aufsehen sorgte. Doch im August folgte die Korrektur: Nun wird im besten Fall ein unveränderter Umsatz prognostiziert, im schlimmsten Fall ein Rückgang um 6 Prozent.

Auf einmal sah U-Blox die hohen Lagerbestände der Kunden als Problem, in Kombination mit dem starken Franken und den hohen Vergleichswerten des Vorjahres. Der Aktienkurs stürzte um fast 20 Prozent ab und hat sich bis heute nicht erholt.

U-Blox braucht einen Spurt zum Jahresende

Der Chip-Markt sei eindeutig überhitzt gewesen, sagte CEO Zizala vor Analytikern. Als Risiko hat U-Blox das aber offenbar zu spät wahrgenommen. Das wirft kein gutes Licht auf die internen Analysefähigkeiten und die Planbarkeit des Geschäfts. Im dritten Quartal resultierte ein Umsatz von nur noch 104 Millionen Franken. Das sind 37 Prozent weniger als von April bis Juni.

Das bedeutet: Im Rest des Jahres braucht es eine markante Erholung, um selbst das reduzierte Jahresziel zu erreichen. Firmenchef Zizala versprach höhere Verkaufsmengen und erwähnte langfristige Abnahmeverträge, die nun greifen würden. Doch für 2024 traut er sich keine Prognose zu. Echte Zuversicht sieht anders aus. Aber vielleicht hätte man die in diesem Fall auch nicht mehr beim Nennwert genommen.

Benjamin Triebe, «Neue Zürcher Zeitung»

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