Schweizer Startup-Geschichten: Die bohrerlose Kariesbehandlung kam gut an, der OP-Roboter aber scheiterte Die Erfinder unserer Zeit arbeiten in Jungunternehmen. Finanziert werden sie in einer ersten Phase von Business-Angels. Ein langjähriger Investor erzählt von Pleiten, Pech und . . . Erfolgen.
Die Erfinder unserer Zeit arbeiten in Jungunternehmen. Finanziert werden sie in einer ersten Phase von Business-Angels. Ein langjähriger Investor erzählt von Pleiten, Pech und . . . Erfolgen.
AOT war 2014 der hellste Stern am Schweizer Startup-Himmel. Das Medtech-Unternehmen entwickelte einen Operationsroboter, mit dem Chirurgen schnell und präzis Knochen schneiden können. AOT gewann die Pionierpreise des Zürcher Technoparks und der Zürcher Kantonalbank, insgesamt flossen 48 Millionen Franken ins Unternehmen. Und heute? Heute ist AOT in Liquidation.
Erich Platzer ist seit 2011 Mitglied von Start Angels. Start Angels ist eine Schweizer Non-Profit-Organisation. Das gilt allerdings nicht für ihre achtzig Mitglieder. Diese investieren, um Gewinne zu erzielen. Gleichzeitig sind sie überzeugt, dass sie mit ihren Investitionen etwas Gutes tun. Business-Angels schafften Arbeitsplätze und investierten in technische Innovationen, die einen grossen Nutzen für die Gesellschaft hätten, sagt Platzer. Im Vergleich zu institutionellen Anlegern wie Banken oder Fondsmanagern legen sie ihr eigenes Kapital an und sitzen oft im Verwaltungsrat.
Doch auch die Start-Angels können nicht garantieren, dass eine junge Firma gross wird. Das zeigt der Fall AOT: Platzer war Verwaltungsratspräsident und hatte persönlich investiert. Business-Angels legten über 30 Millionen Franken im Unternehmen an. Platzer sagt: «Es war ein herber Verlust, wir haben alles verloren.»
AOT: technisch erfolgreich, bankrott
Der letzte CEO von AOT war Elmar Zurbriggen. Im April 2022 wurde er von AOT an Bord geholt, um das Unternehmen zurück in die Erfolgsspur zu führen. Als Zurbriggen die Stelle antrat, sah er die Erfolgsaussichten bei 50 Prozent.
Das Startup war in eine Abwärtsspirale geraten. Ein Jahr bevor Zurbriggen ins Unternehmen kam, hatte der Bundesrat die Verhandlungen zum Rahmenabkommen mit der EU abgebrochen. Als Folge davon anerkannten EU-Staaten das Schweizer Zulassungssystem in der Medizintechnik nicht mehr. Der Operationsroboter von AOT war nur von einer Schweizer Prüfstelle zugelassen. Das Startup musste auf das europäische System wechseln. Die Kundschaft im Ausland wurde nervös, wartete mit Bestellungen zu.
Als Zurbriggen seine Arbeit aufnahm, war Russland in die Ukraine einmarschiert. Die Investoren waren verunsichert: Für Jungunternehmer wurde es zunehmend schwieriger, an frisches Kapital zu gelangen. Um den Roboter weiterzuentwickeln, suchte das Startup 20 Millionen Franken. So viel Kapital konnten Business-Angels aber nicht mobilisieren. Seit Mitte November im vergangenen Jahr ist die Liquidation von AOT amtlich.
Es waren nicht nur externe Faktoren, die zum Scheitern führten. Zurbriggen sagt, das Startup habe den Markt falsch eingeschätzt und sei, was die Technologie anbelange, zu verspielt gewesen.
AOT wollte mit dem Operationsroboter Carlo die Gesichtschirurgie revolutionieren, doch die Leistungserbringer waren nicht bereit, den Preis dafür zu zahlen. Der einzige Vorwurf, den sich Zurbriggen macht: Er hätte bereits in seinem ersten Monat restrukturieren sollen. 52 Mitarbeitende waren angestellt, genügt hätten 10 bis 15. Mit weniger Mitarbeitenden hätte das Geld länger gereicht.
Den Investor Platzer schmerzt es, wenn er an das Potenzial der Firma denkt. Er hatte noch nie von einem Startup ein solch hochentwickeltes Produkt gesehen. Letztlich sei der Einbruch des Finanzmarktes dafür verantwortlich gewesen, dass AOT pleitegegangen sei. Sonst hätte es mit dem Erfolg geklappt, sagt Platzer überzeugt.
Swiss Ocean Tech: auf der Schwelle zum Erfolg
Was 2014 AOT war, ist heute Swiss Ocean Tech. Es gilt als eines der vielversprechendsten Startups in der Schweiz. Der Firmengründer Thomas Frizlen sagt: «Wir sprechen von einem Multi-Milliarden-Markt, den wir mit unserem Produkt eröffnen.»
Frizlen und sein Team haben das System Anchor Guardian erfunden. Theoretisch funktioniert es bei jedem Schiff auf der Welt, das ankert. Es hält den Kapitän darüber auf dem Laufenden, wo sich sein Anker befindet. Ein zwischen Anker und Ankerkette angebrachtes Glied sendet die Position mit Ultraschall zum Schiffscomputer hoch. Es warnt den Kapitän über eine Applikation, sobald der Anker nur wenige Zentimeter abtreibt. Der Kapitän kann einen zweiten Anker setzen oder an eine ruhigere Stelle weiterziehen.
Dies ist wichtig, denn unkontrollierte Anker stellen eine Gefahr für die Besatzung dar. Schiffe können an eine Klippe stossen oder mit anderen Booten kollidieren. Auch für die Umwelt ist es eine Gefahr: Treibende Anker reissen Seegras mit, zerstören Lebensraum für Fische und setzen im Boden gespeichertes CO2 frei.
Frizlen ist in Schweden aufgewachsen. Auf Segeltouren mit seinem Vater hat er das Problem des sicheren Ankerns kennengelernt. Vater und Sohn waren nie sicher, ob der Anker hält, was für unruhige Nächte sorgte. Daraus ist die Idee für Anchor Guardian entstanden.
Nach einem Ingenieurstudium in Stockholm kommt Frizlen in die Schweiz und beginnt bei ABB zu arbeiten. In der Schweiz trifft er Suzy Chisholm aus Kanada und die weiteren vier Co-Gründer. Sie treffen sich regelmässig bei Frizlen. Die Ideen sprudeln. 2019 gibt Chisholm ihre Stelle als Schweizer Kommunikationsleitern bei Philips auf, Frizlen kündigt bei ABB als Leiter Beschaffung und Logistik. Beide tauschen gute Jobs gegen niedrige Bezahlung ein. 2020 folgt die erste Finanzierungsrunde.
Auf der Metstrade in Amsterdam, der grössten Messe für Zubehör im maritimen Bereich, hat das Team im November vergangenen Jahres Anchor Guardian lanciert. Die ersten Bestellungen sind bereits eingetroffen. Im nächsten Jahr will Swiss Ocean Tech eine limitierte Auflage von hundert Einheiten an Besitzer von Superjachten verkaufen. In den Folgejahren sollen auch Kapitäne von kleineren Freizeitschiffen oder kommerziellen Schiffen beliefert werden. Mit 200 Kapitänen habe das Team bereits gesprochen, sagt Chisholm. «Die vielen positiven Rückmeldungen waren überwältigend.»
Bis jetzt finanzieren hauptsächlich Business-Angels Swiss Ocean Tech: 4 Millionen Franken wurden mobilisiert. In den kommenden Finanzierungsrunden braucht es weitere 2 Millionen Franken. Da werden die Start-Angels gefragt sein: 13 von 80 Vereinsmitgliedern sind investiert. Auch Platzer ist involviert. Er sieht Swiss Ocean Tech auf der Schwelle zum Erfolg. Der Business-Angel traut dem Startup einen Umsatz im mittleren bis hohen zweistelligen Millionenbereich zu.
Credentis: wenn der Business-Angel weiterzieht
Wo Swiss Ocean Tech hinwill, ist Credentis bereits. Die Firma wurde 2020 an die Schwestern Golnar und Haleh Abivardi verkauft, die in der Schweiz die Zahnarztkette Swiss Smile gegründet hatten.
Am Anfang des Erfolgs von Credentis stand ein Doktorat. Dominik Lysek schrieb seine Dissertation im Bereich Strukturbiologie an der ETH Zürich. 2004 begann er für das Unternehmen Geistlich Pharma in Wolhusen zu arbeiten. Dort wurde seinem Team eine Technologie vorgestellt. Geistlich Pharma hatte kein Interesse, Lysek sah grosses Potenzial. Er arbeitete rund um die Technologie an einem Business-Plan.
2010 gründet Lysek Credentis. Beim ursprünglichen Produkt handelt es sich um eine wässrige Lösung, die Karies im frühen Stadium behandelt. Der Zahnarzt muss nicht zum Bohrer greifen, er trägt nur die Lösung auf, die sich zu einem Gel umformt. Die Behandlung erfolgt schmerz- und geräuschlos.
Heute verkaufen die Abivardi-Schwestern verschiedene Schönheitsprodukte auf der Basis der Entwicklung von Lysek: Zahnpasten, Seren und Mundwasser. Diese machen die Zähne nicht nur gesünder, sondern auch weisser. Die neuen Eigentümer hätten seit dem Kauf vor drei Jahren viel Geld in das Marketing und den Verkauf investiert, sagt Lysek. «Sie haben das Unternehmen um einiges weiter gebracht, als wir es je schafften.»
Über den Verkaufspreis wurde Stillschweigen vereinbart. Lysek und seine Partner hätten jedoch gut Geld verdient, sagt er. «Die Start-Angels dürften auch zufrieden sein.» Platzer bestätigt, dass es eine sehr erfolgreiche Investition gewesen sei – medizinisch und finanziell. Der Start-Angel wurde ausbezahlt und zog weiter.
Start-Angels: 305 Millionen Franken in 50 Unternehmen
Im Jahr 2022 wurden insgesamt 4 Milliarden Franken in Schweizer Startups investiert. Im ersten Halbjahr 2023 waren es laut der Schweizerischen Vereinigung für Unternehmensfinanzierung (Seca) 1,2 Milliarden Franken. Der Markt ist innert eines Jahres also um 54 Prozent eingebrochen.
In schwierigen Zeiten würden private Kapitalanleger wie Business-Angels umso wichtiger, sagt der stellvertretende Seca-Geschäftsführer Thomas Heimann. Er schätzt, dass Business-Angels in einer ersten Finanzierungsphase 70 bis 80 Prozent der Investitionen stemmen: Aufs Jahr gerechnet seien das 200 bis 250 Millionen Franken.
AOT, Swiss Ocean Tech und Credentis sind 3 von 50 Unternehmen, die von den Start-Angels seit 2005 eine Finanzierung erhalten haben. 33 der Unternehmen sind noch aktiv, 6 wurden verkauft, 11 gingen in Konkurs. Start-Angels haben insgesamt 305 Millionen Franken investiert. Platzer sagt: «Ob es sich auszahlt, wird die Zukunft zeigen.»
Andri Nay, «Neue Zürcher Zeitung»