Nach Niederlagenserie bei Abstimmungen: Wirtschaftsverbände sagen der Linken mit neuer Politplattform den Kampf an Auf Wecollect lancieren linke Organisationen und Parteien eine Volksinitiative nach der anderen – häufig mit Erfolg. Nun wollen Economiesuisse und Co. mit einer bürgerlichen Alternative den liberalen Kampfgeist wecken.
Auf Wecollect lancieren linke Organisationen und Parteien eine Volksinitiative nach der anderen – häufig mit Erfolg. Nun wollen Economiesuisse und Co. mit einer bürgerlichen Alternative den liberalen Kampfgeist wecken.

Vor langer Zeit – man erinnert sich kaum – orientierte sich das Schweizer Stimmvolk noch ziemlich zuverlässig an den Vorgaben der «Wirtschaft». Was deren Spitzenverbände empfahlen, wurde an der Urne beschlossen. Heute gilt das immer seltener. Economiesuisse, der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) und der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) dringen mit ihren Argumenten kaum noch bis zur Bevölkerung durch. Die Niederlagen häufen sich. Die schmerzhafteste davon war die Abstimmung über die 13. AHV-Rente im März 2024.
Ob die Formschwäche mehr mit gesellschaftlicher Entfremdung oder mehr mit handwerklichem Unvermögen zu tun hat, bleibt offen. Jedenfalls steht es um die Schlagkraft der Verbände schlecht. Im Sommer 2024 setzte man sich daher zusammen. Die Idee einer eigenen Kampagnenorganisation, wie es sie bis zur Jahrhundertwende in Form der Wirtschaftsförderung (WF) gegeben hatte, wurde zwar fallengelassen. Dafür lancierte man Tiktok-Kampagnen und rekrutierte sogenannte Botschafterinnen und Botschafter, die sich in öffentliche Debatten einbringen sollen.
Eine damals ebenfalls vorgespurte Massnahme, die politisch einiges weitreichender sein dürfte, blieb bisher unter Verschluss: die Idee einer digitalen Plattform zur Unterstützung von Petitionen, Referenden und Initiativen. Die Plattform soll es ermöglichen, einfach und effizient Unterschriften zu sammeln für wirtschaftsfreundliche Anliegen. Im April wurde zu diesem Zweck ein Verein namens Civic gegründet.
Der Hintergrund der Massnahme: Die direkte Demokratie spielt sich immer stärker online ab. Standaktionen vor dem Einkaufszentrum am Samstagmorgen reichen nicht mehr. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Unterschriften auch online gesammelt werden können. Im November 2024 hat der Bundesrat bereits ein Vorprojekt in Auftrag gegeben, das Versuche mit einem E-Collecting vorbereiten soll. Kommenden Montag entscheidet der Nationalrat über einen entsprechenden Vorstoss. Der Ständerat hatte für das E-Collecting bereits im letzten Jahr grünes Licht gegeben. Die Verbände müssen sich auf digitales Unterschriftensammeln vorbereiten.
Linke mit Vorsprung bei digitaler Demokratie
In linken Kreisen hat man den Trend längst erkannt. Ein Beispiel ist die 2015 vom Politaktivisten Daniel Graf gegründete Plattform Wecollect. Diese wird von linken Parteien seit Jahren intensiv genutzt. Laut eigenen Angaben hat Wecollect schon 860 000 Unterschriften für 110 Initiativen und Referenden gesammelt. Zwar müssen die Unterschriftenbogen weiterhin ausgedruckt, von Hand unterschieben und per Post verschickt werden. Doch so kommt die Plattform an wertvolle Adressen, die für andere Projekte und Spendenaufrufe nutzbar sind.
Die Wirtschaftsverbände wollen die Gegner aus dem linken Lager nun mit deren eigenen Waffen schlagen. Statt weiter in einer passiven Haltung zu verharren, die sich meist darin erschöpft, Angriffe von links abzuwehren, soll mit der Plattform ein liberaler Kampfgeist entfacht werden. So wie etwa die SP und die Grünen mit Petitionen die Debatten befeuern, sollen neu auch Bürgerliche die direktdemokratischen Instrumente vermehrt nutzen. «Weil bis jetzt die linke Seite einen grossen Vorsprung hat, wird unser Projekt für mehr Ausgewogenheit sorgen», sagt der SAV-Direktor Roland A. Müller überzeugt.
Dass die Wirtschaftsverbände die Zeichen der Zeit erkennen, kommt bei den bürgerlichen Parteien grösstenteils gut an. Der St. Galler FDP-Nationalrat Marcel Dobler spricht von einem «extrem wichtigen Projekt». Er sagt: «Die Plattform stellt sicher, dass wir auch in Zukunft das politisch interessierte Publikum erreichen können.» Die bürgerliche Seite brauche gleich lange Spiesse wie die linke. Auch der designierte Mitte-Präsident Philipp Matthias Bregy begrüsst die Lancierung einer bürgerlichen Alternative zu Wecollect. Die Mitte werde die Sammelplattform für ihre Volksbegehren nutzen.
SVP geht auf Distanz
Reserviert reagiert allerdings die SVP. «Wir sammeln die Unterschriften für unsere Volksinitiativen und Referenden selbständig», sagt der SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. «Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.» Der Zuger Nationalrat bezweifelt zudem, dass die Wirtschaftsverbände etwa die Grenzschutzinitiative oder die Keine-10 Millionen-Schweiz-Initiative auf der Plattform platzieren würden.
Nicht alle SVP-Politiker sind so kritisch. «Ich bin überzeugt, dass solche digitalen Plattformen an Bedeutung gewinnen werden», sagt der Luzerner Nationalrat Franz Grüter. Der IT-Unternehmer weist jedoch darauf hin, dass es mit Team Freiheit bereits eine erfolgreiche Plattform gibt, die bürgerlich ausgerichtet ist. «Statt eine neue Plattform zu starten, könnten die Wirtschaftsverbände auch mit dem Team Freiheit zusammenspannen», so Grüter.
Die Träger der Plattform sind vorerst Economiesuisse, der Arbeitgeberverband, Swissmem und – nach einigem Zögern – soll auch der Gewerbeverband dabei sein; mit weiteren Verbänden laufen Gespräche. Man sei offen für alle Parteien, Organisationen und Einzelpersonen, die «Anliegen für das Erfolgsmodell Schweiz» lancierten, heisst es seitens des Vereins. Das umfasse Anliegen auf nationaler, kantonaler und kommunaler Ebene. Über die Plattform könne man Unterschriften und Spenden sammeln sowie Auswertungen erstellen. Besonders unterstützenswerte Anliegen werden zudem finanziell und operativ unterstützt.
In welchem Ausmass eine solche Hilfe stattfinden könnte, bleibt aber offen. Da sich der Verein noch im Aufbau befinde, gebe man derzeit keine Auskunft über das Budget, heisst es auf Anfrage.
Divergierende Interessen der Wirtschaft
Doch was macht das «Erfolgsmodell Schweiz» aus? Welche Anliegen erhalten Zugang zu Civic – und welche nicht? Als Kompass dienten die Marktwirtschaft, die Stärkung des Wohlstands und eine liberale Gesellschaftsordnung, betonen die Verbände. Allerdings ist das Spektrum von divergierenden Interessen innerhalb der Wirtschaft riesig. Während sich Teile der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit, Diversität und Europa bewegen, setzen andere auf abweichende Prioritäten.
Werden es die Wirtschaftsverbände etwa zulassen, dass auf der Plattform für eine Initiative geworben wird, welche die Personenfreizügigkeit aufkündigen will? «Unsere Plattform soll offen sein und die Breite des bürgerlichen Lagers abbilden», sagt dazu die Economiesuisse-Chefin Monika Rühl. Eine Übereinstimmung mit den Positionen der Träger sei nicht zwingend. Letztlich entscheide der Vorstand des Vereins Civic, ob ein Projekt auf der Plattform publiziert werde.
Einen fixen Starttermin für Civic kann Rühl derzeit nicht nennen. Ursprünglich geplant war, dass die Plattform im Juli den Betrieb aufnimmt. Offenbar dauert es nun etwas länger. Man gehe live, sobald die Trägerschaft, die Plattform und erste Anliegen bereit seien, so Rühl. Sie fügt an: «Ob wir Erfolg haben werden, wird sich zeigen. Aber dass wir es versuchen müssen, ist unbestritten.»