Ein Land von Hobby-Online-Shop-Betreibern In der Schweiz gibt es Tausende kleine Internetläden. Die Szene floriert seit Jahren – doch jetzt zeichnen sich schwierige Zeiten ab

In der Schweiz gibt es Tausende kleine Internetläden. Die Szene floriert seit Jahren – doch jetzt zeichnen sich schwierige Zeiten ab

Sandra Fischer hatte eine 80-Prozent-Stelle, als sie ihre Internetfirma gründete. Bild: Dominik Meier

«Plötzlich war ich Unternehmerin. Ich habe nie ein Produkt zum Verkaufen gesucht. Irgendwie hat mich aber eins gefunden.»

2016 hat die Zürcherin Sandra Fischer ihren Internetladen Sheayeah.ch gegründet, diesen Herbst wird sie erstmals Personal anstellen. Ihr Weg ist gezeichnet von Leidenschaft und Verzicht. Fischer hat seit einer Zweitlehre als Bäuerin Naturpflegeprodukte für sich selbst gemacht. Irgendwann stellte sie fest, dass ihr ihre Freunde immer mehr von den Salben auf Sheabutter-Basis abkauften. Also stiefelte sie einen Online-Shop zusammen.

Sie arbeitete noch in einem 80%-Pensum, ihre Mutter half ihr bei der Produktion der Kosmetika in der eigenen Küche. «Es war wahnsinnig intensiv. Da ich kaum mehr Freizeit hatte, hatte ich auch nicht mehr viele Gelegenheiten, Geld auszugeben. So habe ich automatisch all mein Geld in Shea Yeah investiert.» Vor zwei Jahren setzte sie alles auf eine Karte. Seither lebt sie von und für den Laden, den man nur im Internet findet.

Sandra Fischers Unternehmen ist eines von unzähligen, die in der Schweiz in den letzten Jahren im Bereich Online-Handel entstanden sind. Beherrscht wird der Markt von Milliardenfirmen wie Zalando, der Migros-Tochter Digitec-Galaxus und Amazon. Doch am Leben gehalten wird er von vielen kleinen Internetläden. Das zeigt eine neue Untersuchung der Zürcher Fachhochschule (ZHAW).

62% der in der Schweiz aktiven Internetläden haben ein bis vier Mitarbeiter. 36% machen weniger als 100000 Fr. Umsatz im Jahr. «Man redet immer nur von den Grossen, aber es gibt Tausende, die in der Nische Erfolg haben», sagt Darius Zumstein, Autor der Studie. Für ein kleines Land sei das aussergewöhnlich. «Ich habe zahlreiche Studenten, die mit einem eigenen Online-Shop experimentieren. Wir sind ein Land von Hobby-Online-Shop-Betreibern», sagt Zumstein.

Die Voraussetzungen in der Schweiz sind günstig: Die Bevölkerung ist stark digitalisiert, und die Kaufkraft ist hoch. Rund 15 Mrd. Fr. werden Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten dieses Jahr im Internet ausgeben. Der Markt wächst, wenn auch nach Corona etwas langsamer.

Gleichzeitig wird es immer einfacher, ein eigenes Online-Geschäft einzurichten. Spezialisierte Webseitenbauer bieten Shops nach dem Baukastenprinzip an, welche die Händler bloss mit Inhalten zu füllen brauchen.

Hinzu kommt, dass die physische Infrastruktur so ausgebaut ist, dass die Pakete auch zuverlässig ankommen. Die Post hat einen Marktanteil von rund 80%. «Es herrscht konstant Bewegung in der E-Commerce-Branche», kommentiert die Post. «Es werden viele neue Shops eröffnet, gleichzeitig werden auch immer wieder Shops geschlossen.»

Nur wenige Produkte

«Wir haben ein Kundensegment, das naturnahe und nachhaltige Produkte bevorzugt, die weit über den Bio-Standard hinausgehen», sagt Guido Leutenegger vom Shop Natur-konkret.ch aus Kreuzlingen. Hätte er irgendwo einen Laden aufgemacht, wäre die Zahl der Kunden zu klein gewesen. «Das Internet bringt uns mit diesen Leuten in Kontakt.»

Leuteneggers Online-Shop ist spezialisiert auf Gourmet-Lebensmittel, die ohne Zwischenhändler von den Bauern zu den Konsumenten kommen. «Auch dieses Jahr wachsen wir wiederum um 10%», sagt Leutenegger, der mit Natur-konkret.ch vor zehn Jahren online ging. Es ist viel mehr als ein Hobby. Weil frische Esswaren leicht verderblich sind, hat Leutenegger sogar eine eigene Logistik aufgebaut.

Wer im Internet Erfolg haben wolle, müsse sich differenzieren, sagt E-Commerce-Experte Zumstein. Irgendetwas müsse man besser können als die Konkurrenz. «Es ist Unternehmertum in Reinform und wird viel zu wenig gewürdigt.» Während die Grossen der Branche sich mit einem riesigen Sortiment brüsten – bei Digitec-Galaxus findet man nach eigenen Angaben über 3,5 Mio. unterschiedliche Produkte –, setzen die meisten Online-Shops auf eine kleine, aber feine Auswahl.

So kann man bei Shea Yeah von Sandra Fischer sechs unterschiedliche Produkte kaufen. 45% Prozent der Schweizer Onlinegeschäfte haben eine Auswahl von maximal 1000 Artikeln, was als kleines Sortiment gilt.

Was den Schweizer Markt besonders auszeichnet: Er ist durch Zollgrenzen ein Stück weit abgeschottet. Da die Schweiz nur teilweise Zugang zum EU-Binnenmarkt hat, können Konsumenten nicht einfach so im Ausland bestellen. Giganten wie Amazon liefern nur ein Teilsortiment, weil ihnen die Zollabfertigung und die Vielsprachigkeit zu aufwendig ist. Das gab Internet-Warenhäusern wie Digitec-Galaxus oder Brack zwar die Möglichkeit, einen starken Heimmarkt zu etablieren. Aber es hat auch negative Seiten: «Für die spezialisierten Shops mit einem innovativen Produkt ist der Aufwand grösser, ins Ausland zu exportieren», sagt ZHAW-Dozent Darius Zumstein.

«Die Luft wird dünner»

Das Online-Pflanzengeschäft Feey aus Flawil hat im Februar den Sprung nach Deutschland gemacht. Zwar entstand es bescheiden in einer Stube, doch die Gründer dachten von Anfang an gross. Erst 2019 gegründet, beschäftigt es heute 27 Angestellte. «Als Schweizer Online-Shop ins Ausland zu gehen, ist mit sehr viel zusätzlichem Aufwand verbunden. Wir mussten eine eigene GmbH gründen und ein Lager einrichten», sagt Chef Sven Jakelj.

Feey hat intensiv Marktforschung betrieben, setzt auf persönliche Kundenbetreuung und ist damit schnell gewachsen. In der Schweiz ist der Shop etabliert. Für die Branche sieht Jakelj aber dunkle Wolken heraufziehen. «Die Luft für Online-Shops wird dünner. Viele haben extrem günstig Online-Werbung eingekauft und so ihren Umsatz gemacht.»

Doch Online-Werbung ist teuer geworden. Einerseits wird sie nach Corona stärker nachgefragt, andererseits hat Apple mit einem Software-Update die Möglichkeiten zur personalisierten Werbung stark eingeschränkt. Hinzu kommt die Inflation. «Es wird eine Bereinigung geben. Uns wurden allein vier oder fünf Shops angeboten», sagt Jakelj. Übrig bleiben würden die, die ein seriöses Geschäftsmodell haben.

Und natürlich auch die, bei denen der Gewinn nicht im Vordergrund steht. Sondern die Leidenschaft für ein Produkt oder die Lust am Experimentieren.

Moritz Kaufmann, «NZZ am Sonntag»

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