Schweizer Startups in Not: «Schwierig, wenn sich von einem Moment auf den nächsten die Spielregeln ändern» Vor kurzem warf man ihnen noch Geld hinterher. Jetzt haben Jungunternehmen Mühe, sich zu finanzieren. Branchenkenner rechnen mit grösseren Konkursen.

Vor kurzem warf man ihnen noch Geld hinterher. Jetzt haben Jungunternehmen Mühe, sich zu finanzieren. Branchenkenner rechnen mit grösseren Konkursen.

Investoren schauen genauer hin. Hier die Geldgeber, die in der Sendung «Die Höhle der Löwen» auf dem Sender 3+ Startups bewerten. Bild: PD

Letztes Jahr wurden gleich zwei Rekorde gebrochen: Fast 4 Mrd. Fr. wurden 2022 in Schweizer Jungunternehmen investiert, 383 Finanzierungsrunden wurden geschlossen, heisst es im «Swiss Venture Capital Report». Doch diese Superlativen täuschen über die Stimmung in der Branche hinweg. In der eigentlich vor Optimismus und Selbstvertrauen strotzenden Startup-Szene ist Ernüchterung eingekehrt. Manche Insider sprechen von «Verzweiflung».

Lange Jahre wurden die Nachwuchsunternehmen grosszügig mit Geld versorgt. Stimmte der Markt, das Team oder die Idee, gab’s Unterstützung. Doch plötzlich vollzogen die Investoren eine Kehrtwende. Sie sind nicht mehr bereit, in Wachstumsversprechen zu investieren. Heute wollen sie Resultate sehen. Umsatz ist zwingend, baldige Gewinnaussichten ebenfalls.

«Bis vor kurzem zählte nur eines: Umsatz und Wachstum. Dann änderte sich die Perspektive von einem Tag auf den nächsten. Jetzt schauen alle auf die Profitabilität. Wer keine Aussicht hat, sehr bald Gewinn zu schreiben, hat heute wenig Chancen auf Investorengeld», sagt Max Meister, Mitgründer des Risikokapital-Gebers Serpentine Ventures sowie Gründer des Jungunternehmens Stash in Zürich.

Die Betroffenen müssen das Ruder nun schnell herumreissen, wenn sie für die Investoren attraktiv bleiben wollen. «Für Startups ist es schwierig, wenn sich von einem Moment auf den anderen die Spielregeln ändern. Sie müssen in kurzer Zeit ihre gesamte Strategie überarbeiten», sagt Meister.

CS-Kollaps drückt auf die Stimmung

Jungunternehmen haben eine spezielle Stellung in der Volkswirtschaft. Zwar werfen die wenigsten von ihnen Gewinn ab. Aber sie sorgen für Innovation und Dynamik. Werden sie erfolgreich, schaffen sie zudem überproportional viele Stellen. Kein Wunder, werden sie von Politik und Wirtschaft gehätschelt und gefördert.

Doch die Startups brauchen Geld wie die Menschen Luft zum Atmen. Ohne gehen sie pleite, bevor sie sich am Markt beweisen können. Genau das droht jetzt zu passieren. «Viele, auch grössere, Startups suchen aktuell Kapital. Das sehen wir unter anderem daran, dass wir viele Finanzierungsanfragen bekommen», sagt Max Meister. Er geht deshalb davon aus, dass es zu Konkursen kommen wird.

Doch warum diese plötzliche Zurückhaltung? Einerseits haben die Zentralbanken die Zinsen erhöht. Die Investoren kommen deshalb nicht mehr so günstig an Geld wie früher. Andererseits herrscht wegen der Konkurse der Silicon Valley Bank in den USA und der Credit Suisse in der Schweiz schlechte Stimmung.

Kommt hinzu, dass sich die Investoren in den letzten Jahren beachtliche Startup-Portfolios aufgebaut haben. Statt in neue zu investieren, müssen sie nun schauen, dass die Firmen im eigenen Stall über die Runden kommen.

Dies erschwert die Situation für die Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer. Vor allem, wenn sie noch am Anfang stehen. «Wir sind seit drei Wochen in der Funding-Phase. Kapital für Investitionen wäre vorhanden, wir werden regelmässig kontaktiert», sagt Manuel Gerold, Co-Gründer von Ask Earth. Die Zürcher Firma hat sich auf das Aufbereiten und Verkaufen von Satellitendaten spezialisiert und wurde erst dieses Jahr gegründet.

Doch er stellt fest: «Es geht sehr schnell um den Umsatz, und dann heisst es, dass wir noch ein paar Monate warten müssten, bis die Firmen investieren können.»

Ask Earth ist eine Deeptech-Firma. Sie arbeitet mit komplexer Technologie und stösst dabei immer wieder auf unvorhergesehene Hindernisse. Bis ihr Produkt reif ist, dauert es länger als bei anderen Startups. Ask Earth sieht sich nun aber gezwungen, parallel zur Produktentwicklung auch auf Kundenakquise zu gehen und erste Geschäftserfolge vorzuweisen. Das verschlingt Ressourcen. Besonders in einem Team, das mit vier Personen noch sehr klein ist.

Weil die privaten Geldgeber derzeit zugeknöpft sind, will sich die Firma vermehrt über öffentliche Gelder finanzieren. «Sollten Investoren in der Schweiz und in Europa zurückhaltend sein, dann kommt es für uns auch infrage, in die USA zu gehen», sagt Manuel Gerold.

Krise hat ihr Gutes

Trotz allen Schwierigkeiten gewinnen Experten der Situation auch positive Seiten ab. Als noch viel Geld vorhanden war, seien Gründer sehr einfach an Investitionskapital gekommen. Sie hätten es dann mit beiden Händen ausgegeben. Jetzt seien sie gezwungen, ihre Geschäftsidee zu schärfen.

«Die meisten Startups scheitern nach wie vor daran, dass sie eine Lösung für ein Problem entwickeln, das kein wirkliches Problem am Markt ist», sagt Daniel Dietrich. Er ist Mitgründer des Jungunternehmens Vamoz. Dieses stellt Firmen, deren Mitarbeiter sogenannte «Workations» im Ausland machen, eine Softwarelösung zur Verfügung. Die Geschäftsidee baut auf dem Bedürfnis auf, welches während der Pandemie aufkam: Temporär via Computer von irgendwo auf der Welt arbeiten.

Während Corona haben viele Regierungen diese Art von Arbeit geduldet. Seither haben sie die Regelerleichterungen wieder zurückgenommen. «Somit lösen wir ein sehr akutes Problem für Unternehmen. Das hilft enorm bei der Suche nach Investoren», sagt Dietrich.

Die Schweiz ist kein Einzelfall. In den USA klagen Startups schon seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise, dass die Investoren die Schraube angezogen haben. Während in fast allen Branchen Stellen geschaffen werden, hat der Tech-Sektor, unter ihnen viele Startups, seit letztem Sommer Hunderttausende Jobs abgebaut.

Die derzeitige Trockenphase mag auch mit einem gewissen Taktieren der Investoren erklärbar sein. Sie halten sich zurück in der Hoffnung, dass die Bewertungen der Unternehmen fallen. Das erlaubt ihnen zu einem späteren Zeitpunkt einen günstigeren Einstieg.

«Deshalb bin ich zurzeit eher pessimistisch. Ich rechne damit, dass die jetzige Situation noch bis Mitte 2024 dauert», sagt Startup-Experte Max Meister.

Für die Branche bedeutet das nichts Gutes. Nachdem in den letzten Jahren sehr viele junge Firmen entstanden sind, werde es in nächster Zeit wahrscheinlich weniger Neugründungen geben, sagt Meister. «Der Gründer-Geist wird in diesen Zeiten belastet.»

Moritz Kaufmann, «NZZ am Sonntag»

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