«Am gefährlichsten sind Mitarbeiter, die schweigen und die Faust im Sack machen»: Die wichtigsten Lehren aus dem misslungenen Turnaround bei der Credit Suisse Ein Manager nach dem andern ist an der Restrukturierung der Grossbank gescheitert. Generell ist es schwierig, ein Unternehmen, das sich in Schieflage befindet, wieder auf Kurs zu bringen. Worauf es bei einem erfolgreichen Turnaround ankommt.

Ein Manager nach dem andern ist an der Restrukturierung der Grossbank gescheitert. Generell ist es schwierig, ein Unternehmen, das sich in Schieflage befindet, wieder auf Kurs zu bringen. Worauf es bei einem erfolgreichen Turnaround ankommt.

 

Credit-Suisse-Sitz am Paradeplatz. Bild: unsplash

Immer wieder hatte die Führungscrew der Credit Suisse einen Neuanfang versprochen. So erklärte der Verwaltungsratspräsident Urs Rohner beispielsweise an der Generalversammlung vor sieben Jahren: «Mit der Neuausrichtung der Credit Suisse, die wir seit Oktober 2015 vorantreiben, haben wir ein neues Kapitel in der 160-jährigen Geschichte unserer Gesellschaft aufgeschlagen.» Noch stärker stellte sich sein Nachfolger António Horta-Osorio in den Dienst einer neuen Kultur: Jeder Banker müsse im Herzen ein Risikomanager sein, beteuerte der damalige VR-Präsident bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Derweil folgerte Axel Lehmann kurz nach seinem Amtsantritt im Jahr 2022: «Wir haben eine Governance-Krise, ein Vertrauensproblem und müssen konsequent Altlasten abarbeiten.»

Beim Untergang der einstigen Traditionsbank handelt es sich um ein besonders lamentables Beispiel eines misslungenen Turnarounds. Nicht jeder Fall endet in einem desaströsen Fiasko. Doch Tatsache ist auch, dass es äusserst schwierig ist, ein Unternehmen auf Kurs zu bringen, wenn es einmal in eine Schieflage geraten ist: 70 Prozent der Turnarounds, also der Versuche, ein Unternehmen von einer existenzbedrohenden Situation wieder in die Gewinnzone zu bringen, scheitern. Woran liegt das?

Grosser Leidensdruck, klare Vision

Rainer Niermeyer ist Dozent an der FH Köln und selbständiger Unternehmensberater. Bild: PD

«Um einen wirklichen Wandel herbeizuführen, muss der Leidensdruck gross sein», sagt Rainer Niermeyer, Dozent an der FH Köln und selbständiger Unternehmensberater. Ein Change- oder Turnaround-Manager solle erstens den Ernst der Lage erkennen, ihn benennen sowie die gravierenden Konsequenzen darlegen, die im Falle des Status quo drohten. Zweitens müsse er eine attraktive Vision für die Zukunft haben und drittens den Weg dahin klar aufzeigen können. «Der Leidensdruck und die Vision müssen stärker sein als der natürliche Wunsch der Menschen nach dem Verharren im Istzustand», erklärt Niermeyer.

Die Einsicht, dass sich die Bank seit Jahren in einer existenziellen Krise befand und Missmanagement sowie diverse Skandale zu einem grossen Vertrauensverlust geführt hatten, fehlte im Falle der Credit Suisse gänzlich. Wenn sich ihre Führungskräfte zu Wort meldeten, schien man oftmals eher den Eindruck zu gewinnen, dass sie von einer ganz anderen, erfolgreichen Bank sprachen. Jedenfalls nicht von der Credit Suisse, die sich seit geraumer Zeit im Niedergang befand.

Narzisstische Charaktere

Niermeyer stellt dem Management von Grossbanken, in deren Auftrag er auch schon Persönlichkeitsprofile des Führungskaders erstellt hat, kein durchgehend gutes Zeugnis aus. Er sei in den oberen Führungsetagen häufig narzisstischen Charakteren begegnet, die sich wenig mit der Unternehmenskultur identifiziert hätten. «Sie hatten ihre eigene persönliche Agenda und waren vor allem damit beschäftigt, ihr eigenes berufliches Leben zu optimieren», sagt der Managementberater.

Es gebe viele Söldner, die bald für die eine, bald für die andere Bank arbeiteten. Die identitätsstiftende Kraft werde zunehmend geringer. Bei kleineren Finanzinstituten sei die Verbindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Arbeitgeber oftmals grösser, erklärt Niermeyer mit Blick auf seine beruflichen Erfahrungen. Da sei bei den Angestellten eher die Bereitschaft vorhanden, auch einmal eine Durststrecke durchzustehen. In Grossfirmen gähne das Management hingegen meist nur noch, wenn man als Change-Manager auftauche.

Christian Sartorius ist Inhaber und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Servus. Bild: PD

Die Widerstandskräfte innerhalb von Unternehmen werden von vielen Kaderkräften unterschätzt. «Wenn mehr als ein Drittel der Belegschaft überzeugte Nein-Sager sind, wird es sehr schwierig», sagt Christian Sartorius, der Firmen wie Lindt & Sprüngli oder die Swisscom sowie Führungskräfte in Veränderungsprozessen berät.

Natürlich brauche es auch Leute, die kritische Fragen stellten. Zentral ist im Urteil des Coachs ein gutes Gleichgewicht zwischen Initiatoren, die Veränderungen vorwärtstreiben und begeistern können, sowie konstruktiven Kritikern, die auf Schwierigkeiten hinweisen. Widerstände müssten an die Oberfläche gebracht und diskutiert werden. Am gefährlichsten sind laut Sartorius nämlich Personen, «die schweigen und die Faust im Sack machen». Von permanenten Nein-Sagern müsse man sich trennen.

Die Mär vom Superstar-Manager

Zu den grössten Schwierigkeiten eines Turnarounds zählt ausserdem – neben der Sicherung der Liquidität – die Erstellung und Implementierung eines tragenden Geschäftsmodells. Dies zeigt auch der Fall der Credit Suisse: «Der Strategieplan, den das Duo Axel Lehmann und Ulrich Körner im Oktober 2022 präsentierten, hat leider Analytiker und Investoren von Anfang an nicht überzeugt», sagt Christoph Lechner, Direktor des Instituts für Betriebswirtschaft der Universität St. Gallen. Die erwarteten Erträge seien in Anbetracht der enormen Kostenbasis viel zu gering ausgefallen.

Christoph Lechner ist Direktor des Instituts für Betriebswirtschaft der Universität St. Gallen. Bild: PD

Den idealtypischen Turnaround-Manager gibt es nicht, sind sich die Experten einig. Die Geschichte vom erfolgreichen Leader, der in der Lage ist, den Dampfer in stürmischer See vor dem Untergang zu bewahren und in ruhige Gewässer zu führen, ist ein Narrativ, das nicht zuletzt von Journalisten gerne verbreitet wird. So auch im Falle des neu ernannten UBS-Chefs Sergio Ermotti, der in Pressebeiträgen als der Superstar und Heilsbringer gefeiert wird. Doch es gibt allzu viele externe Variablen, die das Management nur schwer beeinflussen kann. Wenn ein Turnaround gelingt, dann ist oftmals auch Glück im Spiel. Es gibt jedoch verschiedene zentrale Faktoren und Führungsprinzipien, die Turnaround-Manager und -Managerinnen beachten sollten.

Gelungene Restrukturierung von Clariant

Lechner verweist hierbei auf die gelungene Restrukturierung von Clariant vor fünfzehn Jahren. Hariolf Kottmann übernahm 2008 das CEO-Amt mitten in der Restrukturierung von ­Clari­ant; sein Vorgänger war abgesetzt worden. Das Unternehmen war ein kostenintensives Spezialchemieunternehmen mit bescheidener Rentabilität, das zunehmend unter Druck von Konkurrenten aus Schwellenländern stand. Hinzu kam die wirtschaftliche Rezession, die die Chemiebranche besonders hart traf.

Kottmann leitete ein zweijähriges Umstrukturierungsprogramm ein und machte hierbei einige wenige Themen aus, die konsequent abgearbeitet wurden: «Cash generieren, Kosten senken und Komplexität reduzieren. «Darauf und auf nichts anderes fokussiert sich das gesamte Unternehmen», sagte Kottmann 2009 in einem Interview in der «Finanz und Wirtschaft».

Um die Liquidität sicherzustellen, stoppte Clariant sämtliche Einkäufe von Rohmaterialien und Halbfabrikaten und baute stattdessen die hohen Lagerbestände ab. Bezahlmodalitäten mit Lieferanten wurden neu ausgehandelt. Aktionäre mussten 2009 auf eine Dividende verzichten. Im Rahmen des Kostensenkungsprogrammes verloren 2500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Job. Durch die Schliessung diverser Standorte, einen Produktionsstopp für niedrigmargige Produkte sowie eine organisatorische Verschlankung wurde die Komplexität reduziert. Die vier Divisionen wurden in zehn Business-Einheiten aufgeteilt, die grosse unternehmerische Freiheit und Verantwortung erhielten. «Wir brauchen Schnellboote, keine Tanker», so begründete Kottmann die Reorganisation.

Entweder mit an Bord oder raus!

Gleichzeitig wurde unter seiner Leitung das Verbesserungsprogramm «Clariant Excellence» eingeführt: eine Art Sturmtruppe von mehr als hundert Personen, die damit beauftragt wurden, die Wettbewerbskraft der einzelnen Geschäftseinheiten zu verbessern. Ende 2010 zeichnete sich eine deutliche Trendwende ab: Umsatz, Profitabilität und Liquidität hatten sich deutlich verbessert, und der Aktienkurs zeigte steil nach oben. 2011 übernahm Clariant den deutschen Süd-Chemie-Konzern und stärkte dadurch die Entwicklung zu margenstärkeren, weniger zyklischen Geschäften. Weniger profitable Aktivitäten wurden veräussert.

Clariants Wachstumskurs und Kottmanns Amtszeit waren auch von Rückschlägen begleitet. Jüngst sah sich das Unternehmen mit happigen Abschreibern, Untersuchungen über Unregelmässigkeiten in der Finanzbuchhaltung sowie einer weiteren Reorganisation konfrontiert. Ausserdem gibt es immer wieder Spekulationen, der saudiarabische Grossinvestor und Chemieriese Sabic könnte Clariant ganz übernehmen oder auf eine Zerschlagung drängen. Kottmann galt als Alleinherrscher sowie Perfektionist und hat Altlasten hinterlassen. Gleichwohl ist es ihm gelungen, den einstigen Restrukturierungsfall Clariant zu einem rentablen Spezialchemiekonzern zu formen.

Worauf Turnaround-Manager achten sollten

Wie Praxis und Wissenschaft zeigen, gibt es einige Vorgehensweisen und Kriterien, die für einen erfolgreichen Turnaround erfüllt sein müssen.

  • Liquiditätsabfluss stoppen durch Aufbau von Vertrauen: Das Turnaround-Führungsteam müsse das sinkende Schiff stabilisieren, Vertrauen aufbauen und damit die Liquiditäts- und Ertragssituation verbessern, sagt Lechner. Das gilt gerade für die Integration, die der UBS nach der Übernahme der CS bevorsteht. Es kommt nicht von ungefähr, dass Lukas Gähwiler, Vizepräsident des Verwaltungsrates, an der Generalversammlung der Grossbank ankündigte, die Marke Credit Suisse werde in der Schweiz auf absehbare Zeit bestehen bleiben. Damit wird versucht, Kontinuität zu vermitteln und die verängstigten CS-Kundinnen und -Mitarbeiter sowie die verärgerte Öffentlichkeit zu besänftigen. Gerade bei Bankenfusionen ist dies zentral, denn es kommt in der Regel zu grösseren Abwanderungen von Kundengeldern. Laut Lechner ziehen 15 bis 20 Prozent der Kunden zu einer anderen Bank. 
  • Erfahrung und Vertrauen sind gefragt: Auch die Auswechslung des UBS-CEO Ralph Hamers durch Sergio Ermotti gehört ins Kapitel «vertrauensfördernde Massnahmen». Der Schweizer Bankmanager geniesst Glaubwürdigkeit, die für eine erfolgreiche Integration der angeschlagenen Credit Suisse dringend benötigt wird. Mit Ermotti signalisiert die Grossbank zugleich: «Wir haben die nötige Erfahrung, um den Kraftakt zu stemmen.» Er übernimmt denselben Job bei der Bank, die er neun Jahre lang geleitet hatte. Während seiner Amtszeit ist es ihm gelungen, das Vertrauen von Kunden und Investoren wiederherzustellen, die riskanten Aktivitäten der Investmentbank zurückzustutzen sowie die Schlagkraft der Vermögensverwaltung zu verbessern. Ähnlich sieht auch das heutige Pflichtenheft bei der neu entstehenden Riesenbank aus.
  • Dass hierfür eine intensive, glaubwürdige und transparente Kommunikation mit allen Stakeholdern erforderlich ist, versteht sich von selbst: Investoren, Kunden und Mitarbeiter oder auch die Presse, staatliche Stellen und Gewerkschaften müssen sich über die Marschrichtung sowie die Ziele im Klaren sein und wissen, welche Schritte eine Firma während des Turnarounds oder der Integration bereits durchlaufen und welche sie noch vor sich hat. Schlüsselpositionen gilt es rasch zu besetzen und bekanntzugeben. Schlechte Nachrichten wie Entlassungen sollten hierbei so rasch wie möglich und kompakt – also nicht häppchenweise – kommuniziert werden.
  • Zweifler an Bord holen und Widerstände überwinden: Eine klare Strategie und Kommunikation hilft auch, Mitarbeiter vom neuen Kurs zu überzeugen und Widerstände innerhalb des Unternehmens zu überwinden. Dazu gehört auch, sich von Nein-Sagern zu trennen. So liess Kottmann bei Clariant von Beginn an keinen Zweifel daran, dass Kaderangestellte, die die Veränderungen nicht mittragen wollen, den Konzern verlassen mussten.
  • Das neue Geschäftsmodell: Ist die Liquidität gesichert und die Erträge stabilisiert, gilt es, in einem letzten Schritt das zukünftige, veränderte Geschäftsmodell voranzutreiben. Was muss sich ändern? Welche Geschäftsbereiche werden eingestellt oder verkauft? Welche werden neu hinzugefügt oder ausgebaut?

Ist eine erste Etappe einmal geschafft, sollten sich Führungskräfte die Frage stellen, ob sie nach wie vor die richtigen Personen sind, um den Konzern weiterzutreiben. Mit der Zeit verlieren sie die kritische Distanz. Die Bereitschaft, Bestehendes zu hinterfragen und vorhandene Strukturen aufzubrechen, schwindet.

Deshalb sollten Turnaround-Manager folgende Punkte kritisch hinterfragen: Entsprechen meine Fähigkeiten sowie diejenigen der Führungsmannschaft noch dem idealen Anforderungsprofil, um die Firma in die Zukunft zu führen? Haben wir als Mannschaft den Kulturwandel geschafft und die gesteckten Ziele erreicht? Mehr Selbstreflexion in der Führungsetage der Credit Suisse sowie die kritische Hinterfragung des bisher Geleisteten hätten auch im Falle der Grossbank weiterhelfen können und unter Umständen den Niedergang verhindert.

Nicole Rütti, «Neue Zürcher Zeitung»

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