Der Chiphersteller U-Blox hat eine Schweizer Erfolgsgeschichte geschrieben – und muss mit einem grossen Makel leben GPS-Chips von U-Blox halten Kühe auf der Weide und Autos auf der Strasse. Aber sie lenken auch russische Drohnen in die Ukraine. Nach mehr als 20 Jahren wechselt jetzt der Chef.

GPS-Chips von U-Blox halten Kühe auf der Weide und Autos auf der Strasse. Aber sie lenken auch russische Drohnen in die Ukraine. Nach mehr als 20 Jahren wechselt jetzt der Chef.

Highways in Los Angeles: U-Blox setzt grosse Hoffnungen auf autonomes Fahren. Bild: unsplash

Jede Medaille hat zwei Seiten. Computerchips auch. So wie jene des Herstellers U-Blox aus Thalwil, der seit Jahren Massstäbe beim Design von Chips zur Standortbestimmung setzt. Die gute Seite macht zum Beispiel Zäune auf der Kuhweide obsolet: Wenn die Kuh einen Bereich verlassen will, den der Bauer per Handy-App definiert hat, wird das von einem U-Blox-GPS-Modul an ihrem Halsband registriert. Es stösst unangenehm hohe Töne aus, und die Kuh kehrt um.

Das ist die gute Seite. Die schlechte Seite tötet Menschen. GPS-Chips von U-Blox wurden in Drohnen verbaut, mit denen die russische Armee Ziele für Artillerie- und Raketenangriffe auf die Ukraine ausspäht. Berichte über die Verwendung von U-Blox-Bauteilen in Drohnen des Typs Orlan-10 gibt es seit dem Jahr 2018. Nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs wurden sie auch in abgeschossenen Drohnen entdeckt.
 
U-Blox macht viel gegen einen Militäreinsatz, aber es kann nicht reichen
 
U-Blox ist dieser Einsatz nicht recht. «Spätestens seit ich in der Firma bin, ist es nicht erlaubt, unsere Produkte für militärische und paramilitärische Anwendungen zu verwenden», sagt Firmenchef Thomas Seiler. Das bedeutet: seit Jahrzehnten. Seiler fing als Mitarbeiter Nr. 38 bei U-Blox an und ist seit 21 Jahren der CEO. Das ist fast so lang wie die 25 Jahre, seit denen es U-Blox überhaupt gibt. Mittlerweile zählt das Unternehmen weltweit mehr als tausend Angestellte.
 
Seiler gilt als das Gesicht von U-Blox. Zum Jahreswechsel tritt er nun ab. Das Waffenproblem bleibt seinem Nachfolger erhalten. «Wir machen sehr viel, um den militärischen Einsatz zu verhindern», sagte Stephan Zizala jüngst auf dem Kapitalmarkttag. Der ehemalige Manager des deutschen Halbleiterherstellers Infineon übernimmt ab Januar die Chefrolle. U-Blox verkauft nicht an militärische Kunden oder in Länder wie Russland und Iran; die Vertriebsmitarbeiter werden entsprechend geschult. Aber das ist keine wasserdichte Lösung.
 
Positionierungschips sind keine Einzelanfertigungen. Sie werden in hohen Stückzahlen produziert, für zivile Anwendungen gebraucht und können leicht im Grosshandel oder über das Internet erworben und weiterverkauft werden. Der Graumarkt ist gross. Eine umfassende Export-Bewilligungspflicht wie bei sogenannten Dual-Use-Gütern, zum Beispiel militärisch nutzbaren Antrieben oder Werkzeugmaschinen, gilt als schier unmöglich. Manche der Bauteile unterliegen amerikanischen Exportkontrollen – mit offensichtlich geringer Wirkung.
 

U-Blox steht beileibe nicht allein am Pranger. Wissenschafter des britischen Militärforschungsinstituts Rusi fanden in russischen Raketen und Drohnen 450 Arten von Komponenten westlicher Hersteller, darunter von Intel und Texas Instruments. Aus der Schweiz sind auch Chips von STMicroelectronics aus Genf vertreten. Sie werden für das Flugkontrollsystem der Orlan-10-Drohnen gebraucht.

Die Schweizer halten sich beeindruckend gut

Höchstwahrscheinlich sind U-Blox-Komponenten auch in anderen militärischen Geräten zu finden. Das ist der Makel am bemerkenswerten Aufstieg des Unternehmens, der durch den Siegeszug der digitalen Positionsbestimmung möglich wurde. Davon abgesehen ist der Fall klar: «Es ist beeindruckend, wie U-Blox trotz kleineren Ressourcen als bei vielen Konkurrenten technologisch weit vorne mitspielt. Das Unternehmen kann sich in seinen Zielmärkten sehr gut behaupten», sagt Mark Diethelm, Analytiker bei der Bank Vontobel.

U-Blox entstand im Jahr 1997 als ein Spin-off der ETH Zürich. «Dass wir mit Positionierungstechnik begonnen haben, war fast ein Zufall», sagt Seiler. U-Blox wurde eigentlich wegen einer Assemblierungstechnik gegründet, um Module, also Kombinationen von Chips, klein zu machen. Davon leitete sich der ursprüngliche Name «µ-Blox» ab, mit dem griechischen «µ» als ein Hinweis auf «mikro».

Thomas Seiler tritt nach 21 Jahren als Chef von U-Blox ab. Bild: PD

Fast nebenbei entwickelte das Unternehmen ein Modul zur Standortbestimmung. Das erwies sich als goldrichtig. Die Positionierung steuert gemäss Vontobel immer noch geschätzt rund 80 Prozent zum operativen Gewinn (Ebit) bei. Zunächst führte der Schritt aber beinahe ins Verderben. U-Blox schloss einen Vertrag, um seine Positionierungschips im grossen Stil beim finnischen Handyhersteller Benefon unterzubringen. Doch der ging im Jahr 2004 Konkurs und riss das Schweizer Unternehmen fast mit.

Daraus zog man in Thalwil eine Lehre: U-Blox soll sich spezialisieren, und zwar nicht auf Hersteller von Konsumgütern, sondern auf Kunden aus der Industrie und der Autobranche. Sie steuern heute etwa 60 beziehungsweise 30 Prozent zum Umsatz bei. Dort herrsche ein anderes Qualitätsverständnis, sagt Firmenchef Seiler. Der erste Grossauftrag war ohnehin die Beteiligung am Bau von Erfassungsgeräten für die Einführung der Schweizer Schwerverkehrsabgabe für Lastwagen im Jahr 1998.

Die Forschung verschlingt Unsummen

Mit GPS-Anwendungen für die Fahrzeugindustrie setzte U-Blox auf das richtige Pferd. Jetzt ruhen grosse Hoffnungen auf selbstfahrenden Autos. Ebenso auf dem Internet der Dinge. Dabei geht es inzwischen nicht nur um die Standortbestimmung, sondern auch um Datenübertragung, Sicherheit und niedrigen Stromverbrauch. Die Lebensdauer der Batterien war ein Grund für das norwegische Startup Nofence, um sich bei seinen eingangs erwähnten «virtuellen Zäunen» für U-Blox-Chips zu entscheiden.

Damit U-Blox die führende Stellung hält, sind grosse Anstrengungen nötig. Über 1000 der rund 1300 Mitarbeiter sind Ingenieure. 106 Millionen Franken oder einen Viertel des Umsatzes investierte U-Blox im vergangenen Jahr in Forschung und Entwicklung. Diese Investitionen stehen in einem Zielkonflikt mit einem hohen Cashflow, aus dem Anleger eine Dividende erhalten können.

«Die Cash-Generierung war immer ein Kritikpunkt bei U-Blox», sagt Mark Diethelm von Vontobel. Es gebe auch andere Unternehmen in der Schweiz, die viel Engineering machten – bei denen die Cashflow-Kraft im Vergleich aber relativ stärker sei. Firmenchef Seiler mahnt hingegen, die Aufteilung zwischen Forschung und Erträgen für Kapitalgeber müsse kritisch abgewogen werden. Der Ingenieursgeist hat U-Blox eben auch lange nach dem Börsengang nicht verlassen, mit dem sich im Jahr 2007 Wagniskapital-Investoren verabschiedet hatten und Geld für die Expansion aufgenommen worden war.

Eine Bluetooth-Platine von U-Blox: Konnektivität ist bei Industrieanwendungen nicht mehr wegzudenken. Bild: PD

«Die Börse verzeiht viel, wenn das Wachstum stimmt»

Der Aktienkurs spiegelt den Zwiespalt. Nach einer Hausse von 2015 bis 2017 hat er sich im Jahr 2018 mehr als halbiert. Dies auch, weil die Umsätze sanken. «Die Börse verzeiht viel, wenn das Wachstum stimmt. Aber stimmt es nicht, werden alle Teile der Strategie hinterfragt», sagt Diethelm. U-Blox hatte bis Ende 2020 so viel für Forschung und Akquisitionen ausgegeben, dass statt eines Nettovermögens eine Nettoverschuldung resultierte.

Zukäufe sind eine Möglichkeit, das relative Gewicht der Forschungsausgaben zu reduzieren. Vor zwei Jahren wollte U-Blox den britischen Modulhersteller Telit erwerben. Das hätte den Umsatz verdoppelt. Doch das Geschäft kam nicht zustande. Insgesamt hat U-Blox seit der Gründung 18 Akquisitionen getätigt, aber kleinerer Art und meist zur Abrundung bestehender Aktivitäten.

Umgekehrt könnte die Firma aufgrund der breit gestreuten Aktien und der Börsenkapitalisierung von unter 1 Milliarde Franken selbst leicht zum Ziel werden. Für Chipriesen wie Qualcomm oder Mediatek wären die Schweizer ein kleiner Happen.

Mittlerweile sind die Investoren glücklicher: U-Blox beeindruckt nämlich wieder beim Wachstum. Vergangenes Jahr kletterte der Umsatz um einen Viertel auf 414 Millionen Franken. Im laufenden Jahr hat U-Blox die Prognose schon zwei Mal nach oben korrigiert. Mittlerweile geht man ohne Wechselkurseffekte von einem Umsatzplus um rund die Hälfte aus. Die operative Marge (Ebit) könnte bis zu 19 Prozent erreichen, nach knapp 9 Prozent im Jahr 2021.

U-Blox muss besonders bleiben

Den Optimismus lässt sich CEO Thomas Seiler auf seine letzten Amtstage hin nicht nehmen. Der Auftragsbestand sei hoch, die Lieferzeiten lang, und die Zielmärkte würden weiterhin grösser. Für Mark Diethelm von Vontobel ist das weniger sicher. U-Blox sei zwar zurück auf dem alten Wachstumstrend. Aber noch sei nicht klar, wie stabil die Entwicklung ausfallen werde. «Ist jetzt der Moment gekommen, wo Anwendungen zum Internet der Dinge verlässlich wachsen? Oder haben Nachholeffekte aus den letzten drei Jahren überwogen?», fragt Diethelm.

Die grosse Herausforderung für U-Blox ist, den Massenmarkt für Chips nicht mit Massenware zu beliefern. Das Thalwiler Unternehmen muss Einzigartiges bieten. Dafür setzt es auch stärker auf Dienstleistungen rund um Daten. Zuverlässigkeit und Robustheit spielen ohnehin eine grosse Rolle – die Produkte mancher Industriekunden haben eine Lebenszeit von 20 Jahren. Allerdings würde man sich wünschen, dass die Chips in russischen Drohnen öfter ausfallen.

War da eine Lieferketten-Krise?

bet. · U-Blox entwirft Chips, aber das Unternehmen produziert sie nicht selbst. Das übernehmen Auftragsfertiger. Umso bemerkenswerter ist es, wie schnell U-Blox im vergangenen Jahr auf die anziehende Nachfrage reagieren konnte – trotz Lieferkettenkrise und obwohl der Nachfrageschub unerwartet kam. «Es war überraschend, dass U-Blox viel besser durch die Supply-Krise gekommen ist als andere Chiphersteller», sagt Mark Diethelm von Vontobel. Bei vielen Konkurrenten sei es ein Nachteil gewesen, externe Produzenten zu haben.

Doch U-Blox konnte liefern. «Wir haben in den frühen Jahren gelernt, dass man sich nicht abhängig machen darf», sagt Firmenchef Thomas Seiler. «Deshalb haben wir in allen Dimensionen auf Diversifizierung geachtet.» Für die meisten Bauteile hat U-Blox zwei Lieferanten, und die Chip-Auftragsfertiger unterscheiden sich auch bei den angewandten Herstellungstechnologien. In China findet keine Produktion statt. Und wo Teile nicht verfügbar waren, konnte U-Blox oft andere Komponenten einsetzen, die dasselbe Ergebnis brachten.

Benjamin Triebe, «Neue Zürcher Zeitung»

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