Der erste Klimazoll der Welt: Was das neue Instrument der EU bewirken soll Die EU verhängt einen Klimazoll bei der Einfuhr einiger emissionsreicher Rohstoffe und Produkte. Ausserhalb Europas regt sich Widerstand. Doch dass der Zoll andere Länder aufschreckt, ist Teil des Programms.

Die EU verhängt einen Klimazoll bei der Einfuhr einiger emissionsreicher Rohstoffe und Produkte. Ausserhalb Europas regt sich Widerstand. Doch dass der Zoll andere Länder aufschreckt, ist Teil des Programms.

Klimaziele ja, Industrieabbau nein: Die EU verfolgt eine grüne Industriepolitik. Bild: unsplash

Mit Argumenten allein kann die EU den Rest der Welt nicht für Klimaschutz begeistern. Darum greift Brüssel jetzt zu einem härteren Mittel: Dem Klimazoll. Vier Jahre hat es gedauert, bis die Idee zu einer (politisch angepassten) Realität wurde.

1. Welche Probleme soll der Zoll lösen?

Im Namen des «grünen Deals» müssen Unternehmen zunehmend strengere Umweltauflagen erfüllen, um Stahl, Eisen, Zement oder Wasserstoff herzustellen – und somit fürchten, im internationalen Wettbewerb den Kürzeren ziehen.

Insbesondere der EU-Emissionshandel steigert die Kosten, die für Unternehmen anfallen, wenn sie Emissionen verursachen. Deswegen wurde ihnen bisher auch eine grosse Menge an kostenlosen Zertifikaten zur Verfügung gestellt.

Ursula von der Leyen, die deutsche Kommissionschefin, kam im Jahr 2019 mit dem Vorstoss, einen Klimazoll einzuführen. Im sperrigen EU-Jargon ist er als CO2-Grenzausgleichs-Mechanismus, oder verkürzt CBAM, bekannt.

Von der Leyen leitete damit eine neue Phase in der europäischen Klimapolitik ein. Längst ging es nicht mehr nur um umweltpolitische Anliegen.

Mit CBAM wurde klar, in Brüssel wird die Klimapolitik nun mit industrie- und wirtschaftspolitischen Interessen zusammen gedacht. Denn der Klimazoll soll sicherstellen, dass sich die energiehungrige und emissionsreiche Schwerindustrie nicht in «laxere Regionen» aufmacht.

Das würde der Wettbewerbsfähigkeit der EU schaden – und die Wirkungen der eigenen Klimapolitik untergraben. Denn dem Klima ist nicht geholfen, wenn Emissionen einfach verlagert – und schmutzig produzierte Produkte wieder eingeführt werden.

So betrifft der Klimazoll unter anderem Eisen und Stahl, Zement, Düngemittel, Aluminium, Strom und Wasserstoff. Weitere Produkte könnten in den kommenden Jahren dazukommen.

Ab Oktober wird er schrittweise eingeführt. In den ersten Jahren werden Unternehmen erst einmal darüber Daten erheben müssen, wie viele Emissionen in der Herstellung der jeweiligen Produkte anfallen. Alleine das ist schon ein kostspieliger Aufwand für viele.

2. Der Preis lenkt die Klimapolitik

Die EU sieht den EU-Emissionshandel als zentrales Instrument, um das Verbrennen fossiler Brennstoffe teurer zu machen und Anreize für erneuerbare Energien und andere saubere Alternativen zu setzen.

Dabei verfolgt die EU auch das Ziel, dieses Preisinstrument weltweit zu fördern. Der Klimazoll ist ein Druckmittel, um Handelspartner dazu zu bringen, eine CO2-Bepreisung einzuführen und Emissionsminderungen zu beschleunigen.

Ab 2026 werden Unternehmen bei der Einfuhr der betroffenen Produkte eine Abgabe entrichten müssen, wenn sie keine vergleichbare Klimapolitik vorweisen können. Der Grenzausgleich wird ab dann phasenweise erhöht, ab Mitte der 2030er Jahre wird er wohl voll greifen.

Wie hoch diese Abgabe ist, wird durch den Preis im EU-Emissionshandel bestimmt, schliesslich soll er die Kosten für Unternehmen im EU-Emissionshandel spiegeln. Zurzeit liegt dieser bei knapp 90 Euro. Das soll den Wettbewerb mit Betrieben in der EU ausgleichen – und gleichzeitig die CO2-Bepreisung als Instrument stärken.

So werden diejenigen Länder vom Zoll ausgenommen sein, die ein ähnliches System vorweisen können. Das betrifft beispielsweise die Schweiz, seit dem Jahr 2020 ist ihr Emissionshandel mit dem der EU gekoppelt.

Schweizer Exporteure werden also keine Abgaben zahlen müssen. Ganz ohne Aufwand wird es jedoch für Länder wie die Schweiz nicht gehen. So beklagen schweizerische Unternehmen den administrativen Mehraufwand. Auch stellten sich handelsrechtliche Fragen, so der Dachverband der Schweizer Wirtschaft Economiesuisse.

3. Kritik am Zoll: Das Ausland wehrt sich

Der Zoll sei purer Protektionismus, ausgeschmückt mit einem grünen Mäntelchen, so der Vorwurf von Kritikern aus aller Welt. Der Vorstoss aus Brüssel drohte schnell zu Handelskonflikten und Widerstand bei Entwicklungsländern zu führen.

Seit Jahren steht die Frage im Raum, ob das Instrument gegen die Regeln der Welthandelsorganisation verstösst. Brüssel verneint das. Der Grund: Auch die heimischen Unternehmen werden ab 2026 schrittweise ihren Anspruch auf kostenlose Zertifikate im Emissionshandel verlieren. Somit steige die Kostenlast für beide – EU-Unternehmen und Importeure – gleichzeitig, heisst es in Brüssel.

NZZ Planet A

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Ganz überzeugt das besorgte Länder nicht. Analytiker sagen, der Klimazoll werde insbesondere die Länder in der nahen Nachbarschaft treffen, die Länder des Westbalkans und die Türkei. Bevor der Krieg losging, waren Russland, die Ukraine und Weissrussland ganz oben auf der Liste der betroffenen Regionen.

Doch auch über diese Grenzen hinaus sind Länder, beispielsweise Südafrika und Indien, beunruhigt. Dort ist die Herstellung von Stahl, Eisen oder Aluminium weiterhin sehr CO2-intensiv. So warnen afrikanische Forscher davor, dass der Zoll wirtschaftliche Schäden verursachen werde, wenn sich Industriebetriebe nicht klimafreundlicher aufstellten.

Der Klimazoll bremse Exporte aus und untergrabe Einnahmen, schimpft ein ägyptischer Diplomat, der in diesem Jahr an der Führung der Klimaverhandlungen beteiligt ist. «Er beunruhigt uns alle.»

EU-Beamte haben die vergangenen Jahre damit verbracht, Schwellen- und Entwicklungsländer zu beschwichtigen. Beobachter wie Anne Gläser von der NGO Germanwatch sagen, dass die ärmsten Länder kaum betroffen sein würden. Sie hätten schliesslich weder Schwerindustrie, noch exportierten sie (schmutzigen) Strom in die EU. «Das Problem ist tatsächlich eher klein», so Gläser.

Der Klimazoll befeuert jedoch eine langjährige Frustration unter Entwicklungsländern. Sie wollen, dass die reichen Industrieländer ihnen mehr Zugang zu klimafreundlichen Technologien zur Verfügung stellten, nicht neue Barrieren errichteten.

NGO wollen deswegen auch, dass die Einnahmen der internationalen Klimafinanzierung zugutekommen. Noch ist das ungeklärt.

4. Druck mit Wirkung?

Dass der Zoll Länder aufschreckt, ist Teil des Programms. Der CBAM ist der erste Klimazoll überhaupt.

Europäische Klimadiplomaten und Beamte verfolgen auch das Ziel, andere Länder – insbesondere die grossen und aufstrebenden Verursacher von Treibhausgasemissionen – davon zu überzeugen, ihre Gesetze und Auflagen zu übernehmen.

Das wird teils über Partnerschaften und (grosszügige) finanzielle Unterstützung versucht, teils mit Druck. Der CBAM etwa droht mit steigenden Kosten für die Exporte vieler Länder.

China beispielsweise werde eigentlich nicht besonders stark vom Klimazoll betroffen sein, so Analysten. Dennoch: Seine Signalwirkung könne den Ausbau des chinesischen Emissionshandels beschleunigen, prognostizieren Analytiker des Unternehmens Refinitiv.

Ein EU-Diplomat sagt vertraulich, alleine die Aussicht auf den Klimazoll habe geholfen, dass die Türkei das Pariser Klimaabkommen 2021 ratifiziert habe. Der Zoll erfülle damit schon eine Wirkung, bevor er überhaupt in Betrieb sei.

Gleichzeitig sind europäische Länder darauf bedacht, keine weiteren Konflikte mit Handelspartnern zu provozieren. So wurde unter der deutschen Führung der G-7 das Konzept eines Klimaklubs gefördert, der die grossen Verschmutzer zusammenbringen soll. Heute ist dieser Klub jedoch eine lose Allianz ohne Biss.

Die EU setzt mit dem Klimazoll ein Zeichen, dass sie bei der Umsetzung der eigenen Klimaverpflichtungen nun auch härter gegenüber anderen Staaten durchgreifen wird.

Kalina Oroschakoff, Brüssel, «Neue Zürcher Zeitung»

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