Die Aufgaben werden immer mehr, die Vergütung stagniert: Wer will heute noch Verwaltungsrat werden? Kleinen Unternehmen fällt es nicht leicht, die richtigen VR-Mitglieder zu gewinnen. Anders als Grossunternehmen zahlen sie nämlich oft nur ein paar tausend Franken Entschädigung im Jahr. Einfach mehr Geld auf den Tisch zu legen, bringt mitunter aber neue Probleme.

Kleinen Unternehmen fällt es nicht leicht, die richtigen VR-Mitglieder zu gewinnen. Anders als Grossunternehmen zahlen sie nämlich oft nur ein paar tausend Franken Entschädigung im Jahr. Einfach mehr Geld auf den Tisch zu legen, bringt mitunter aber neue Probleme.

Kleinen Unternehmen fällt es manchmal schwer, gute VR-Mitglieder zu finden. Bild: Goran Basic, NZZ

Wie gut verdienen die Schweizer Verwaltungsräte? Bei der Antwort denken viele wohl nur an Nestlé, Novartis oder die Grossbanken und gehen von sechs- oder gar siebenstelligen Summen aus. In Wahrheit verdienen die meisten VR-Mitglieder aber viel bescheidenere Beträge. Das zeigt der neue «Swiss VR Monitor», eine Erhebung der Vereinigung Swiss VR, der Beratungsfirma Deloitte und der Hochschule Luzern bei 453 VR-Mitgliedern.

In Kleinunternehmen erhält die Mehrheit (52 Prozent) der befragten Verwaltungsräte weniger als 15 000 Franken Entschädigung, 16 Prozent sogar weniger als 5000 Franken. Nur jeder Zwanzigste erhält mehr als 25 000 Franken ausbezahlt. Ganz anders sieht es in Grossunternehmen aus: Hier verdienen 64 Prozent der VR-Mitglieder mehr als 50 000 Franken. Die Anteile haben sich im Vergleich zu 2018 nur unwesentlich verändert (siehe Grafik).

Die Arbeitsbelastung nimmt zu

«Viele Verwaltungsräte in KMU erhalten eine eher tiefe Entschädigung, obwohl sie nach dem Gesetz dieselbe Verantwortung tragen», sagt Christoph Lengwiler. Der Wirtschaftsprofessor leitet an der Hochschule Luzern die Weiterbildungen für Verwaltungsräte, ist Vizepräsident von Swiss VR und selbst in Verwaltungsräten tätig. Man müsse bedenken, dass in nichtkotierten Unternehmen die Eigentümer oft in der Geschäftsleitung mitarbeiteten und gleichzeitig Mitglied des Verwaltungsrats seien. In diesem Fall sind sie nicht auf Einkünfte aus dem VR-Mandat angewiesen.

Etwas anders sieht es bei externen VR-Mitgliedern aus, die auch in Verwaltungsräten von nichtkotierten KMU eine wichtige Rolle einnehmen. Vakanzen liessen sich stets besetzen, sagt Lengwiler. «Aber es ist für Kleinunternehmen anspruchsvoll geworden, gute VR-Mitglieder zu finden, die Mehrwert bringen.»

Der Unterschied in der Entlöhnung ist markant, weil die Arbeitsbelastung für alle Verwaltungsräte, gross wie klein, ansteigt. Jedenfalls hat in den vergangenen Befragungen, 2018, 2020 sowie 2022, stets eine Mehrheit der VR-Mitglieder geantwortet, der Zeitaufwand habe in den vergangenen zwölf Monaten zugenommen.

Und eigentlich geben knapp drei Viertel der Befragten im neuen «Swiss VR Monitor» an, dass der Zeitaufwand eine der wichtigsten Bemessungsgrundlagen für die Entschädigung des Verwaltungsrats sein sollte. Die meisten (92 Prozent) empfinden zwar die Verteilung der Entschädigungen in ihrem eigenen Gremium als gerecht oder eher gerecht. 26 Prozent sind jedoch der Ansicht, dass die Vergütung den effektiven Aufwand der einzelnen Mitglieder nicht berücksichtige.

Einerseits hätten Digitalisierung, Regulierung, die Pandemie und die geopolitischen Entwicklungen neue Herausforderungen gebracht, sagt Lengwiler. «Andererseits hat auch das Verantwortungsbewusstsein der Verwaltungsräte selbst zugenommen.» In der Schweiz ist der Verwaltungsrat nicht bloss für die Aufsicht zuständig, gemäss Obligationenrecht muss er die Oberleitung des Unternehmens wahrnehmen. Er legt im Kern die Strategie und Organisation fest und ist für zentrale Investitions- oder für Personalentscheide auf oberster Stufe zuständig.

«Das Bewusstsein für diese vom Gesetz auferlegte Verantwortung ist gewachsen», sagt Lengwiler. Wer nicht die nötige Sorgfalt walten lasse, gehe ein Haftungsrisiko ein. In der Folge habe auch bei kleineren Verwaltungsräten eine Professionalisierung stattgefunden: Die Gremien bildeten mehr Ausschüsse und rückten generell näher an die Probleme der Unternehmen heran. Gemäss «Swiss VR Monitor» fühlen sich heute denn auch 94 Prozent der VR-Mitglieder rechtzeitig und umfassend informiert.

Diese Professionalisierung geht allerdings in vielen Fällen mit einem zunehmenden Formalismus und einer Flut an Dokumenten einher; ein zweischneidiges Schwert. Gefördert wird dieser Formalismus auch durch gesetzliche Vorgaben und Reporting-Pflichten.

Zweifelhafte Anreize und Unabhängigkeit

Die Arbeit im Verwaltungsrat scheint also mehr zu werden, die Entschädigung nicht. Natürlich könnten Unternehmen nun einfach mehr Geld zahlen, um die richtigen Kandidatinnen und Kandidaten für ein offenes Mandat zu gewinnen. Das mag manchmal die richtige Lösung sein, kann aber auch neue Probleme schaffen.

Lengwiler empfiehlt Verwaltungsräten, nicht jährlich an der Vergütung zu schrauben. «Man läuft sonst Gefahr, sie in ausserordentlich herausfordernden Jahren zu erhöhen, im Anschluss aber nicht wieder zu senken.» Die meisten Schweizer Verwaltungsräte zahlen ihren Mitgliedern nur eine Pauschale, keine erfolgsabhängigen Boni. 61 Prozent entrichten eine Fixentschädigung, bei 17 Prozent kommt ein Sitzungsgeld dazu. Aus der Sicht Lengwilers ist das sinnvoll. «Für Geschäftsleitung und Verwaltungsrat sollte nicht dasselbe Anreizsystem gelten.»

Eine zu hohe Entschädigung ist ein zweischneidiges Schwert, denn sie kann VR-Mitglieder von ihrem Mandat abhängig machen. «Bei den grossen, börsenkotierten Unternehmen ist das eine wichtige Frage», sagt Lengwiler. Entscheidend sei im Einzelfall wohl weniger die absolute Summe als vielmehr der relative Anteil, den ein Mandat am Gesamteinkommen ausmache.

Im schlechtesten Fall wird ein VR-Mitglied wirtschaftlich abhängig und kann es sich nicht leisten, ein Amt abzugeben. Diese Person wird sich aus Sorge um ihr Mandat vielleicht mit Kritik zurückhalten, auch wenn solche angebracht wäre. «Wer in einen Verwaltungsrat eintritt, sollte jederzeit zurücktreten können, falls ihm oder ihr die Entwicklung nicht mehr passt», fasst Lengwiler die wichtigste Regel für die Unabhängigkeit zusammen.

André Müller, «Neue Zürcher Zeitung»

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