Farmy: Der Online-Lebensmittelhändler braucht dringend frisches Geld Das Finanzierungsumfeld für Startups hat sich nach dem Ende der Tiefzinsphase radikal verschlechtert. Das spürt auch der Online-Markt Farmy. Das Unternehmen musste seine Bewertung um fast 80 Prozent reduzieren, um nochmals Geld aufnehmen zu können.

Das Finanzierungsumfeld für Startups hat sich nach dem Ende der Tiefzinsphase radikal verschlechtert. Das spürt auch der Online-Markt Farmy. Das Unternehmen musste seine Bewertung um fast 80 Prozent reduzieren, um nochmals Geld aufnehmen zu können.

 

Farmy ist auf Frischprodukte von regionalen Bauern spezialisiert, die jeweils am Morgen geerntet und am gleichen Tag ausgeliefert werden. Bild: PD

Für die 1850 Crowd-Investoren des Online-Lebensmittelhändlers Farmy gab es vor kurzem unerfreuliche Post: Das Startup meldete, es sei dabei, eine weitere Finanzierungsrunde von 10 bis 16 Millionen Franken abzuschliessen. Dabei sei man zwar auf gutem Weg, heisst es in der E-Mail an die Anleger. Aber: Man habe das Unternehmen neu bewerten müssen.

Der Aktienkurs liege nicht mehr bei 11,99 Franken, wie bei der letzten Geldaufnahme, sondern bei 2,64 Franken. Das entspricht neu einem Unternehmenswert von rund 15 Millionen Franken (bzw. mit dem neuen Geld von 30 Millionen). Vor einem halben Jahr waren es noch 60 Millionen Franken gewesen.

Der Wert der Anteile der bisherigen Aktionäre – neben den Crowd-Investoren auch die der Gründer und aller anderen Alt-Investoren – sank also um 78 Prozent. Dieser Bewertungsabschlag war laut Farmy nötig, um überhaupt an Geld zu kommen: Um «den Betrieb fortzuführen und die Rentabilität zu sichern, hatten wir leider keine andere Wahl», heisst es in dem Schreiben. «Die Alternative wäre der Konkurs gewesen.»

Schwierige Zeit für Startups

Laut Farmy haben die Schwierigkeiten bei der Finanzierung nicht mit dem Unternehmen, sondern vielmehr mit dem wirtschaftlichen Umfeld zu tun. Tatsächlich durchleben Startups derzeit generell eine schwierige Zeit. Seit die Zinsen gestiegen sind und die Wirtschaft sich abgekühlt hat, sind die Investoren deutlich vorsichtiger geworden; statt luftiger Wachstumsziele wollen sie nun Profitabilität sehen.

Trotzdem fragt sich, wie viele der Probleme allgemeiner Natur sind und wie viele mit Farmy bzw. der Branche zu tun haben, in der das Unternehmen tätig ist. Farmy ist auf Frischprodukte von regionalen Bauern spezialisiert, die jeweils am Morgen geerntet und am gleichen Tag ausgeliefert werden. Aber auch Vorräte, Kosmetika, Babyprodukte und Haustierbedarf gehören zum Sortiment.

Das trifft zwar den Zeitgeist. Regionalität, Frische und Nachhaltigkeit sind gefragt. Indem die Produkte direkt von den Produzenten bezogen werden, bleiben auch höhere Margen. Aber das Online-Lebensmittelgeschäft ist generell nicht besonders rentabel.

Auch die Skaleneffekte sind kleiner als in anderen Geschäftszweigen. Natürlich lassen sich 1000 Bestellungen effizienter verarbeiten und ausliefern als 100. Aber die Grenzkosten werden nie nahe null sein. Jede zusätzliche Bestellung bleibt mit nicht zu vernachlässigenden Kosten verbunden.

Letzte Finanzierungsrunde vor dem Break-even?

Das Winterthurer E-Commerce-Beratungsunternehmen Carpathia jedenfalls sorgt sich um die Zukunft des Online-Markts. In einem Blog-Beitrag vom vergangenen Sonntag heisst es, es stelle sich ernsthaft die Frage, wie lange der Atem des dynamischen und mutigen E-Food-Anbieters noch reiche im Wettbewerb mit den Konzern-Tankern Migros, Coop und neu Aldi. Man hoffe und wünsche, dass die Kapitalerhöhung gelinge: «Aus Kundensicht ist Farmy eine echte Bereicherung.»

Von irgendwelchen Gefahren für Farmy will Dominique Locher, der seit März amtierende Verwaltungsratspräsident und Co-Investor, jedoch nichts wissen. Locher, der als früherer Chef von LeShop (heute Migros online) viel Erfahrung im Online-Lebensmittelhandel mitbringt, sagt auf Anfrage, es bestünden bereits Zusagen für mehr als 10 Millionen Franken von vornehmlich bestehenden Investoren: «Wir sind mit unserer Finanzierung auf gutem Weg und hoffen, dies in wenigen Wochen offiziell kommunizieren zu können.»

Gemäss der E-Mail an die Crowd-Investoren soll das neue Kapital in etwa ausreichen, um die Farmy AG bis zum Break-even zu finanzieren. Der Zeitpunkt, an dem das Unternehmen den Betrieb aus den laufenden Aktivitäten finanzieren kann, wird laut Locher für 2025 erwartet.

Wachstumsdelle nach der Pandemie

Wie genau die Profitabilität erreicht werden soll, ist für Aussenstehende allerdings nicht ganz ersichtlich. Die Kosten wurden zwar bereits deutlich gesenkt, laut Farmy um rund 50 Prozent. Aber ohne Wachstum wird es nicht gehen. Für den Break-even brauche es einen Jahresumsatz von 50 bis 60 Millionen Franken, sagt das Unternehmen. Das ist fast das Doppelte des heutigen Umsatzes von rund 31 Millionen Franken.

Farmy ist zwar seit der Gründung im Jahr 2014 jahrelang stark gewachsen, und die Pandemie gab einen zusätzlichen Schub. 2022 stagnierte der Umsatz jedoch bei rund 31 Millionen Franken, und auch im laufenden Jahr sieht es eher nach Konsolidierung aus.

Noch immer scheint das Unternehmen im Vergleich zu den Einnahmen zu viel Geld zu verbrauchen – möglicherweise auch, weil während Corona zu viel Kapazität aufgebaut wurde. Die Crowdinvesting-Kampagne, die 4,2 Millionen Franken eingebracht hatte, wurde erst im vergangenen November abgeschlossen. Und nun braucht es trotz Kosteinsparungen bereits wieder neues Geld – und dies so dringend, dass die Investoren mit einer um fast 80 Prozent tieferen Bewertung geködert werden müssen.

Eine niedrigere Bewertung bedeutet allerdings nicht, dass der «Endspurt zur Profitabilität», wie Locher es nennt, nicht gelingen kann. Sie zeigt nur, dass die Investoren die Bäume in diesem Geschäft derzeit nicht mehr in den Himmel wachsen sehen.

Andrea Martel, «Neue Zürcher Zeitung»

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