«Firmen mit starker Kultur sind erfolgreicher», sagt die neue Emmi-Chefin Ricarda Demarmels Erstmals führt eine Frau den grössten Schweizer Milchverarbeiter. Die Bündnerin sagt, in der heutigen Arbeitswelt seien die weichen Faktoren die harten Faktoren.

Erstmals führt eine Frau den grössten Schweizer Milchverarbeiter. Die Bündnerin sagt, in der heutigen Arbeitswelt seien die weichen Faktoren die harten Faktoren.

 

Ricarda Demarmels leitet seit Anfang 2023 die Emmi-Gruppe, den grössten Milchverarbeiter in der Schweiz. Bild: PD

Ricarda Demarmels ist keine Erbsenzählerin. Während die Managementwelt oft zahlenlastig und detailversessen ist, spricht sie offen heraus und geradlinig. «Wir haben alle den Anspruch, am Morgen mit Freude zur Arbeit zu gehen und etwas Sinnvolles zu tun. Wenn wir als Unternehmen eine Kultur schaffen, die das ermöglicht, haben wir ein kleines Stück zu einer besseren Welt beigetragen.» Solche Sätze sagt Demarmels gerne. Sie klebt nicht an Zahlen, sondern spricht von Begeisterung, Freude, Inspiration und Stolz.

Erste Chefin bei einer Traditionsfirma

Für eine Firma wie Emmi wirkt das auf den ersten Blick ungewöhnlich. Dem Luzerner Traditionsunternehmen haftet etwas Bodenständiges an: grösster Milchverarbeiter der Schweiz, starke Verwurzelung in der Landwirtschaft, bekannt bei den Kunden im In- und Ausland für seine Spezialitätenkäse und Produkte wie Emmi Caffè Latte. Demarmels ist Anfang Jahr als erste Chefin in der Firmengeschichte angetreten. Am Mittwoch hat sie die Geschäftszahlen des Konzerns vorgestellt, der im vergangenen Jahr erstmals die Schwelle von 4 Milliarden Franken Umsatz überschritten hat.

Die 43-Jährige wuchs in einem kleinen Bündner Dorf auf und ging als Kind im Stall die Milch holen. Auf ihren Akzent ist sie stolz. Dazu kommt, dass sie als vormalige Emmi-Finanzchefin ebenso ein Flair für die Zahlenwelt hat wie für die «weichen» Seiten des Geschäfts.

Demarmels ist nicht angetreten, um alles anders zu machen: «Emmi ist gut aufgestellt. Das Unternehmen verfolgt seit vielen Jahren die richtige Strategie und hat eine starke Kultur», betont sie. Tatsächlich hat sich Emmi unter der Führung ihres Vorgängers, Urs Riedener, von einem regionalen Milchverarbeiter zu einem internationalen Konzern entwickelt. Das Erfolgsrezept lautete, sich auf starke Marken und Nischenprodukte zu spezialisieren und sorgfältig in verschiedene Auslandsmärkte vorzustossen, von Europa über die USA bis nach Lateinamerika.

Fokus auf die «weichen» Faktoren

Die neue Chefin betont jetzt allerdings stärker die Bedeutung der Firmenkultur. «Die weichen Faktoren sind heute die harten Faktoren. Sie sind matchentscheidend, wenn es etwa darum geht, motivierte Mitarbeitende auch aus den jüngeren Generationen zu gewinnen. Firmen mit einer starken Kultur sind erfolgreicher.»

Für Demarmels hat Emmi bereits eine Firmenkultur des Miteinanders, die sie weiter pflegen will. Wodurch zeichnet sie sich aus? «Unsere Kultur ist wertebasiert und wertschätzend. Wir schauen aufeinander», erklärt die Konzernleiterin. Auch andere Faktoren gehörten dazu: «Wir verstehen unser Handwerk und sind stolz darauf. Wir haben die Füsse auf dem Boden und die Ohren offen, um nahe an den Marktentwicklungen, Kundenwünschen und Konsumtrends zu sein. Wir haben einen offenen Geist und wollen uns weiterentwickeln. Jeder bei uns ist ein kleiner Unternehmer im Unternehmen.» Dass dies tatsächlich so sei, spüre man jeden Tag in den Produktionsbetrieben und in den Büros.

Kostendruck macht Emmi zu schaffen

Die Emmi-Chefin weiss jedoch auch, dass ein Unternehmen nicht allein von seiner Kultur lebt. Ein CEO brauche ein tiefes Verständnis des Geschäfts, sagt sie, man müsse wissen, wo im Unternehmen die Wertschöpfung entstehe. Das ist derzeit besonders wichtig, und dabei hilft ihr die Erfahrung als vormalige Finanzchefin. Das vergangene Geschäftsjahr war für Emmi kein einfaches. Die steigenden Kosten für Energie, den Transport und den Rohstoff Milch machten dem Unternehmen zu schaffen. Und die Herausforderung bleibt: «Wir haben den Höhepunkt der Kostensteigerungen noch nicht überschritten.»

Emmi vermochte die höheren Kosten zum Teil an die Kunden weiterzureichen – so wie das derzeit alle Lebensmittelhersteller tun. Aber das Unternehmen musste auch den Gürtel enger schnallen, damit die eigene Profitabilität nicht zu stark erodierte. «Wir haben an unzähligen kleinen und grösseren Stellschrauben gedreht, um unsere Effizienz zu erhöhen», sagt Demarmels. So habe man in Kalifornien zum Beispiel zwei Tochterfirmen zusammengelegt, gruppenweit die Abläufe gestrafft und Energiesparmassnahmen umgesetzt. Das trug dazu bei, dass die Marge des Betriebsgewinns im Geschäftsjahr 2022 nur leicht von 7,3 Prozent auf 6,3 Prozent zurückging. Für Demarmels ist indessen klar, dass Emmi die entstandene Lücke bei der Ertragskraft wieder schliessen muss. Das zählt sie zu den wichtigsten Aufgaben in ihrem ersten Amtsjahr.

Freiheit als zentraler Wert

Die grossen Linien hat sie dennoch fest im Blick. «Mir war es immer wichtig, einen gewissen Grad an Freiheit zu haben» – so lautet eine weitere Aussage von ihr, die für Topmanager eher ungewöhnlich ist. «Auch als Firmenchefin nehme ich mir diese Freiheit.»

Einerseits gehe es um Freiheit über die Zeit, die sie sich als Mutter von zwei kleinen Kindern einrichte. «Das führt zu einer Balance, die einen besser macht.» Anderseits benötige es Freiheit der Gedanken, die gerade an der Spitze eines Unternehmens besonders wichtig sei. «Man sollte sich nicht nur um das Umsetzen im Hier und Jetzt kümmern, sondern auch überlegen, was in der nächsten Geländekammer auf das Unternehmen wartet und wie man diese gestalten kann.»

Keine Diversitätsprogramme

Dass sie eine Frau ist, war laut Demarmels nie ein Thema bei Emmi. Als das Unternehmen sie im Jahr 2019 als Finanzchefin geholt habe, sei sie schwanger gewesen. «Es ist richtig, dass es eine Selbstverständlichkeit ist, dass Frauen solche Positionen besetzen.» Bemerkenswerterweise gibt es bei Emmi keine speziellen Diversitätsprogramme. «Wir leben Diversität und sind auf vielen Stufen bereits divers aufgestellt mit Blick auf Geschlechter, Nationalitäten oder Alter.» Für Demarmels ist es ein weiteres Merkmal einer Firmenkultur, die das Beste aus den Menschen herausholen soll.

Matthias Benz, «Neue Zürcher Zeitung»

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